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Doping-Geständnis: „Ich wusste über alles Bescheid“

Potsdams Kugelstoß-Legende Udo Beyer räumt in einem Film erstmals Doping zu DDR-Zeiten ein. Wissenschaftlerin Jutta Braun ist über den Inhalt seiner Beichte nicht überrascht.

Udo Beyer macht reinen Tisch. Nach jahrelangem Schweigen räumt das Sport- Idol jetzt als erster früherer Potsdamer Spitzenathlet erstmals die selbstbestimmte Einnahme verbotener Substanzen zu DDR-Zeiten ein. Im Dokumentarfilm „Einzelkämpfer“ der früheren Wasserspringerin Sandra Kaudelka, der am heutigen Freitag auf der Berlinale seine Premiere erlebt, gibt die Kugelstoß-Legende erstmals Doping zu. Beyer war 1976 Olympiasieger, 1980 Olympia-Dritter sowie zweifacher Europameister und dreifacher Weltrekordler. Jetzt erklärt er, selbst über die Mittel entschieden zu haben. „Über alles, was mit mir gemacht wurde, wusste ich Bescheid. Dinge, die ich gemacht habe, habe ich selbst entschieden. Das Recht hatte ich, und das Recht habe ich mir herausgenommen“, sagt Beyer in dem Film, in dem auch die Lebenswege der Leichtathletinnen Marita Koch und Ines Geipel sowie der Wasserspringerin Brita Baldus erzählt werden. „Ich habe auch Sachen abgelehnt, ich habe Sachen gemacht. Aber: Ich wusste, ich habe es entschieden. Und es kamen keine Sachen heimlich in den Tee. So etwas gab es nicht“, erklärt Beyer, der damals für den Armeesportklub Vorwärts Potsdam startete, in dem Film.

Warum er jetzt diesen Schritt in die Öffentlichkeit tut, konnte Udo Beyer am Donnerstag nicht gefragt werden, weil sich der 57-Jährige derzeit im Krankenhaus befindet. „Mein Vater hat heute eine Hüftoperation“, erklärte seine Tochter Katja, die gemeinsam mit ihm ein Reisebüro in Potsdam führt, gestern auf Anfrage. Einstige sportliche Weggefährten des stets lebensfroh wirkenden Leichtathleten zeigten sich überrascht, als sie durch die PNN von Beyers Doping-Bekenntnis erfuhren. „Das verschlägt mir ein bisschen die Sprache, zumal Udo immer erzählt hat, dass es bei ihm nicht so war“, erklärte Ulrike Bruns, die unter ihrem Mädchennamen Klapezynski 1976 in Montreal Dritte über 1500 Meter wurde und insgesamt drei Weltrekorde aufstellte. Und Peter Frenkel, der Potsdamer Olympiasieger von München 1972 sowie Olympia-Dritte in Montreal jeweils im 20-Kilometer-Gehen, sagte: „Das verblüfft mich doch sehr. Warum sagt er das, und warum erst jetzt?“ Dass sie in ihren aktiven Zeiten ebenfalls gedopt hätten, verneinten Bruns und Frenkel. „Ganz klar: no“, so Ulrike Bruns. Und Peter Frenkel erklärte: „Das war für mich kein Thema. Wir Geher waren doch nur das fünfte Rad am Wagen. Ich war ja nach meinem Olympiasieg in München noch zur Dopingkontrolle, weshalb sich die Siegerehrung verzögerte.“

Udo Beyer, der auch jahrelang Kapitän der DDR-Leichtathletik-Nationalmannschaft war, sieht die Einnahme verbotener Substanzen 37 Jahre nach seinem größten sportlichen Triumph – wie es scheint – nicht in unrechtem Licht. „Einem Ackergaul“, erklärt er, „kannst du so viel Dopingmittel geben wie du willst, er wird nie ein Rennen in Hoppegarten gewinnen.“ Zugleich relativiert der Potsdamer die Wirkung von Doping. „Doping oder unterstützende Mittel sind vielleicht zwei oder drei Prozent – alles andere ist harte Arbeit. Wenn du nicht richtig trainiert bist, dann können sie dir so viel Pillen geben wie du willst – dann wirst du höchstens ein Schwamm oder irgendwas, aber nie ein guter Leistungssportler“, so Beyer. Auf die Frage der Regisseurin, ob er zu Unrecht 1976 in Montreal Olympiasieger geworden sei, antwortet Beyer: „Nein, überhaupt nicht. Ich bin zu Recht Olympiasieger geworden, weil ich der Beste in dem Wettkampf war. Ganz einfach.“ Und kurz vor Ende des Films sagt er: „Ich bin mit mir im Reinen.“

Für die Wissenschaftlerin Jutta Braun vom Zentrum deutsche Sportgeschichte Berlin-Brandenburg ist der Inhalt der Dopingbeichte nicht überraschend. Die Historikerin hat sich in der Vergangenheit intensiv mit dem Dopingkapitel im DDR- Leistungssport beschäftigt, in der kommenden Woche stellt sie in der Enquetekommission des Landtages ein Gutachten zum DDR-Sport vor - auch mit einer Abhandlung zum Thema „Doping“. „Dass es in der DDR seit Mitte der 60er Jahre systematisch gedopt wurde, ist zweifelsfrei in den Akten des damaligen Herrschaftssystems rekonstruiert", sagte Braun am Donnerstag gegenüber den PNN.

Zentrale Figur des Staatsdopings war der Vizechef des Sportmedizinischen Dienstes der DDR, Manfred Höppner. In Stasi-Akten, die der Sporthistoriker und einstige Potsdamer Universitätsprofessor Giselher Spitzer dokumentiert hat, wird durch Höppner-Zitate der Umfang des Dopings im DDR-Spitzensport belegt. Vor allem während der Vorbereitung der Olympischen Spiele 1972 und 1976 wurde Doping zu einem „Staatsplan“ erhoben – in allen olympischen Sportarten, mit Ausnahme von Segeln und Frauen-Turnen: „Bei allen Nationalmannschaftskadern“, wie Höppner in den Stasi-Akten zitiert wird. Der Mediziner wurde übrigens im Jahr 2000 in einem Dopingprozess wegen Beihilfe zur Körperverletzung in 20 Fällen zu 18 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

Nach Ansicht von Wissenschaftlerin Braun hatte Kugelstoßer Udo Beyer genauso wie alle anderen Kaderathleten fast keine Chance, sich des Dopings zu entziehen. „Es gab vereinzelt Sportler, die sich verweigert haben und ausgestiegen sind“, sagte sie. „Aber die meisten wollten ihren Sport ausüben.“

Beyers in dem Film gemachte Einschätzung, dass Doping an der sportlichen Leistung vielleicht zwei, drei Prozent ausmachen würde und alles andere harte Arbeit sei, teilt Braun. „Man muss ein herausragender Athlet sein, um Olympiasieger zu werden“, sagt sie. Genau das schmerze die Athleten, wenn ihre Leistung lediglich auf Doping reduziert werde.

Wie groß der Einfluss unerlaubter Mittel auf Meter und Sekunden sein konnte, gibt unter anderem die Höppner-Akte wieder: So wurden beim Kugelstoßen durch die Einnahme pharmakologischer Präparate Leistungszuwächse von 2,5 bis 4 Meter erwartet.

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