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Potsdam: Sanssouci vermauert

Wie die Schlösserverwaltung im Zweiten Weltkrieg die preußischen Kunstschätze in Sicherheit brachte

Potsdam - Ernst Gall rechnete schon früh mit dem Schlimmsten. Mitte der 1930er-Jahre machte der Direktor der preußischen Schlösserverwaltung einen Plan für den Kriegsfall. Er ließ Gemälde, Schmuckgegenstände, Gobelins, Teppiche, Porzellan und Möbel aus den Preußenschlössern klassifizieren: In wertvollste und unersetzliche Kunstschätze auf der einen Seite und wertvolle, aber ersetzliche auf der anderen. Auch erste Überlegungen zur Auslagerung der Kunstwerke stammen aus dieser Zeit: Dafür sollten nicht nur die Keller der Schlösser genutzt werden. Gall schwebte der Bau zentraler Erdräume vor – die wichtigste Rolle für die Schlösser in Potsdam und Berlin hätte der Babelsberger Park spielen sollen.

Doch ganz so geordnet kam es dann nicht. Wie Gall – teils gegen den Willen der Hitler-Regierung – um den Erhalt der Kunstschätze während des Zweiten Weltkrieges kämpfte, darüber sprach der Kunsthistoriker Burkhardt Göres am Donnerstag auf einem Workshop, zu dem die Schlösserstiftung gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schlösserverwaltungen eingeladen hatte. Sein Fazit: Dem 1929 als Direktor der Schlösserverwaltung angetretenen Gall, der nach der Machtergreifung Hitlers 1933 wegen der Weigerung, in die NSDAP einzutreten, erst einmal ein Jahr vom Dienst suspendiert wurde, ist es zu verdanken, dass der größte Teil der Kunstschätze unbeschadet den Krieg überstand.

Göres attestiert Gall dabei ein enormes Organisationstalent – er war als Verwaltungschef schließlich nicht nur für die heute zur Stiftung gehörigen Liegenschaften in Berlin und Brandenburg, sondern für Schlösser vom ostpreußischen Königsberg bis nach Brühl im Rheinland zuständig. Trotz einer schier unübersehbaren Anzahl von Kunst-Einzeltransporten durch halb Europa bei gleichzeitig dezimiertem Personal behielt er den Überblick und konnte den Sowjet-Truppen im Mai 1945 die geforderte Aufstellung über den Verbleib der Objekte liefern.

Dass Galls Kunstschutz-Aktionen erst seit den 1990er-Jahren aufgearbeitet werden, hat zwei Gründe, wie Göres erläuterte. Einerseits ist von den Originalakten der Stiftung kaum etwas erhalten. Denn der Verwaltungssitz, der damals im Berliner Stadtschloss war, wurde beim Bombenangriff am 2. März 1945 zerstört. Überlebt hat ein Teil der in den Schlössern verwahrten Kopien beispielsweise von Listen der Kunstwerke oder Aufträgen an Transportfirmen. Hier kommt das zweite Problem ins Spiel: Die DDR hatte kein Interesse an einer Aufarbeitung, weil so deutlich geworden wäre, in welchem Ausmaß die sowjetischen Truppen Kunstschätze nach Kriegsende außer Landes brachten – vieles ist bis heute in Russland. Noch Ende der 1960er-Jahre seien entsprechende Akten aus dem Neuen Palais von der DDR-Staatsmacht unter Verschluss gestellt worden, berichtete Göres, der schon damals für die Stiftung arbeitete. Nicht einmal offizielle Verlustlisten habe es gegeben. Als erste wichtige Arbeit zum Thema verweist er auf die 1999 von Friedhild-Andrea Andres erarbeitete Ausstellung „Schlösser in der Stunde Null“.

Mit Unterstützung von staatlicher Seite konnte Gall bei seinen Schutz-Aktionen laut Göres nicht rechnen. Als der Schlösserchef nach dem Einmarsch der Hitler-Truppen in die damalige Tschechoslowakei erste Auslagerungen in Berlin anordnete, wurde er sogar zurückgepfiffen. Die Öffentlichkeit sollte nicht beunruhigt werden. Auch die in der letzten Augustwoche 1939 – direkt nach dem deutschen Angriff auf Polen – verfügte Schließung der Schlösser musste er auf Befehl von oben rückgängig machen. Der Schein der Normalität sollte gewahrt werden, beschreibt Andres die Lage: Potsdam blieb auch im Krieg Besuchermagnet.

Im Park Sanssouci zeigte sich aber seit 1941 ein ungewohntes Bild: Am 10. April war eine Sprengbombe vor dem Neuen Palais eingeschlagen, alle Fenster zur Gartenseite waren kaputt. Ein Foto der städtischen Luftbildstelle zeigt Spaziergänger, die den Krater besichtigen. Um ähnliche Schäden anderswo zu vermeiden, ließ Gall die Fenstertüren von Schloss Sanssouci zumauern, das Stadtschloss bekam Holzverschläge als Splitterschutz.

In jenem Jahr war Park Babelsberg noch der wichtigste Evakuierungsort der Stiftung, so Göres: Im Schloss, im Flatowturm und in den Küchengebäuden kamen zeitweilig die Gobelins aus dem Berliner Schloss, das Porzellan aus Charlottenburg und die Bibliothek Friedrichs des Großen unter. In der Folgezeit überschlugen sich die Ereignisse. Göres’ Zusammenstellung der bekannten Transporte zwischen den Schlössern, aber auch in Salzbergwerke in Thüringen oder ins Kloster Lehnin erwecken den Eindruck einer zunehmend getriebenen Organisation. Für Göres zählt aber das Ergebnis: „Durch Galls Bergungsmaßnahmen ist der größte Teil der beweglichen Kunstschätze erhalten geblieben.“

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