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Katzen bei der Tierrettung Potsdam in Geltow.

© Andreas Klaer

Zu Besuch bei Potsdams Tierrettern: Tierisch gute Taten

Ob vernachlässigt oder in Gefahr: Gut 130 Ehrenamtler um Veterinär Gordon Ebeling eilen Tieren in Potsdam und der Region zur Hilfe - und versorgen 150 von ihnen auf einem Hof in Geltow.

Von Carsten Holm

Geltow / Potsdam - Auf dem 5000 Quadratmeter großen Grundstück der Tierarztpraxis von Gordon Ebeling in Geltow wird gebellt, miaut, gegrunzt, geschnattert und gezwitschert. Wer ein Herz für Tiere hat, wird schnell hingerissen sein von den 25 Kitten, die sich im Katzenhaus freundlich kabbeln und ihre Sprache üben, von den vielen Hunden, die sich gern an Besucher kuscheln und von Max, dem Pony, das stoisch auf seinem Grund steht und seinem Kumpel Friedrich ein guter Gefährte ist, weil auch kleine Pferde nicht gern allein sind. Beeindruckend ist aber auch die zielstrebige Langsamkeit, mit der sich sieben Schildkröten in ihrem Gehege stumm auf den Weg zu ihrer Mahlzeit machen, nachdem sie mit ihrem Beinahe-Rundumblick beobachtet haben, wie Ebeling ihnen mit etlichen grünen Blättern dort den Mittagstisch bereitet hat.

Schildkröten auf dem Hof der Tierretter in Geltow.
Schildkröten auf dem Hof der Tierretter in Geltow.

© Andreas Klaer

„Viele, die uns besuchen, wollen gleich ein Tier adoptieren oder kommen hier auf die Idee dazu”, sagt Hanna Schwörer. Die Nachfrage nach Katzen ist am größten, erzählt die 20 Jahre alte Jurastudentin, die zu den gut 130 aktiven ehrenamtlichen Helfern der Potsdamer Tierrettung zählt. Rund 100 Katzen finden im Jahr eine Familie, hinzu kommen etwa 50 adoptierte Hunde. Die Tierretter rücken aus, wenn geschlüpfte Vögel aus ihrem Nest gefallen sind oder ihre Mutter verloren haben, wenn ihnen streunende Katzen, herrenlos umherlaufende Schildkröten, ausgebüxte Hunde und sogar Rinder gemeldet werden oder wenn verwahrloste Schweine von einem Bauernhof gerettet werden.

20 Helfer sind im Telefonalarmnetz erreichbar

Um schnell vor Ort zu sein, hat die Tierrettung ein ausgeklügeltes Telefonalarmnetz aufgebaut. 20 Helfer sind mit ihren Nummern telefonisch zusammengeschaltet, wer gerade als Erster verfügbar ist, nimmt einen Notruf an. „Mitunter müssen Anrufer etwas Geduld haben”, sagt Ebeling, „unsere Mitarbeiter arbeiten ja auch in Jobs oder für die Uni. Und wenn jemand in Bornim wohnt und in Bergholz-Rehbrücke Vögel retten soll, dauert die Fahrt schon eine Stunde.”

Zu tun ist immer viel. Es kommt vor, dass aufgeregte Anrufer von einer Giftschlange berichten, die sich in ihrem Garten windet – und sie beruhigt werden müssen, dass die gelegentlich auftretenden Blindschleichen oder Ringelnattern keine Gefahr für Menschen seien. Im Sommer melden sich Tag für Tag um die zehn Potsdamer oder schicken über Whatsapp Fotos zu, um auf Vögel hinzuweisen, die vermeintlich oder tatsächlich in Not sind. Das Problem: Mitunter scheint der Nachwuchs des Federviehs hilflos auf einem Weg hin-und herzuhüpfen und Flugversuche zu unternehmen, die ständig scheitern. „Das ist aber völlig normal”, sagt Veterinär Ebeling, „wir versuchen den aufmerksamen Tierfreunden dann klar zu machen, dass sie die Tiere lassen sollten wo sie sind”.

Tierarzt Gordon Ebeling.
Tierarzt Gordon Ebeling.

© Andreas Klaer

Gut 150 Tiere leben zur Zeit in Geltow, die Einsätze werden durch die Beiträge der etwa 400 Mitglieder in Höhe von insgesamt rund 20 000 Euro und durch 10 000 bis 15 000 Euro jährliche Spenden finanziert. Froh sind die Helfer, die am Sonntag, umsäumt von Hunden, im Garten um einen Tisch sitzen, dass die schwierige Zeit Anfang des Jahres vergangen ist, in der es zu vereinsinternen Kabalen kam, die die Arbeit lähmten. Der Vorstand wurde abgewählt, ein neuer kam ans Ruder und wurde dann durch einen anderen ersetzt. „Wir sind sehr glücklich, dass es nun wieder um Tiere geht und nicht um Menschen”, sagt der 28 Jahre alte Kevin Köppe, der sein Geld als Softwareentwickler verdient.

Kein langer Weg vom Tierfreund zum Tierquäler

Die Tierliebe ist spürbar, wenn die Tierretter von ihrer Arbeit berichten. Wilde Katzen, um die sie sich aber nicht sorgen müssen, gibt es auch im Schlaatz, in der Waldstadt und in Golm; rührige Anwohner, oft ältere Frauen, sorgen dafür, dass sie nicht verhungern. Doch hinter vielen Zwei- und Vierbeinern, das lernt man in Geltow schnell, verbirgt sich ein Schicksal, das von Nachlässigkeit, Gleichgültigkeit und Kälte von Menschen zeugt, für die es kein langer Weg vom Tierfreund zum Tierquäler war. Die Retter sind nicht einmal überrascht, wenn ein Anrufer behauptet, sein Nachbar sei weggezogen, habe aber seine Katze zurückgelassen. Oder wenn ein anderer sich meldet, weil er in seinem Garten eine Schildkröte gefunden habe – und beide nur ihr Haustier loswerden wollen.

Zwei Hunde, die an neue Besitzer vermittelt werden sollen.
Zwei Hunde, die an neue Besitzer vermittelt werden sollen.

© Andreas Klaer

Schwer zu ertragen sind aber Einsätze wie im vergangenen Jahr auf einem Bauernhof im Landkreis Potsdam-Mittelmark: Die Eigentümer hatten Dutzende Schweine, Gänse und Hühner verhungern lassen. Die Tierretter hätten nur noch ein lebendiges Schwein entdeckt, das völlig abgemagert hüfthoch im Kot stand, sie hätten irgendwo auf dem Hof zwei Maiskolben gefunden und sie dem Tier gegeben, das fast verdurstete Schwein habe zwei Eimer Wasser getrunken und sich auf frischem Stroh gewälzt, das sie ihm unterlegten. „Es hat es trotzdem nicht geschafft”, sagt Hanna Schwörer, „aber es hat genossen, dass wir es noch einmal an den Ohren gekrault haben”.

Glücklich gerettete Schweine.
Glücklich gerettete Schweine.

© Andreas Klaer

Manch Einsatz allerdings belastet die Mitarbeiter glücklicherweise nicht so sehr. Schmunzelnd schildern sie ihr Erlebnis mit einem Zuchtbullen, dem in diesem Mai seine Arbeit in einer Besamungsstation in Marquardt offenbar langweilig geworden war. Er türmte. Über Wiesen ging es, über Weiden und über Straßen – bis er mit vier Pfeilen aus einem Narkosegewehr paralysiert wurde. Oder die Geschichte von einer Färse, einem weiblichen Jungrind, das, ebenfalls im Mai, von einer Koppel in Golm getürmt war, genügend Ausdauer für die gut sechs Kilometer lange Strecke nach Geltow hatte und dort, ausgerechnet, auf dem Hof der Fleischerei Bothe gestellt wurde.

Ziegen-Duo auf dem Geltower Hof.
Ziegen-Duo auf dem Geltower Hof.

© Andreas Klaer

Waschbärenfamilien fühlen sich in Berlin und Brandenburg wohl, allein in der Hauptstadt wurde ihre Zahl schon 2017 auf 600 bis 800 geschätzt. Auch im Arbeitsbereich der Potsdamer Tierrettung sorgen sie immer mal wieder für Schlagzeilen: Im Juni 2019 taperte ein zwei Jahre altes Männchen durch das eigentlich gut gesicherte Landtagsgebäude, ließ sich mit Handschuhen greifen, in eine Box sperren und in einem Waldstück zwischen Potsdam und Michendorf aussetzen. Und ein neugieriger Artgenosse plumpste einmal vom Dach eines Kinos in Kleinmachnow in den Zuschauerraum.

Ein Lauerjäger: Die 20 Kilo schwere Schnappschildkröte ist sehr gefährlich.
Ein Lauerjäger: Die 20 Kilo schwere Schnappschildkröte ist sehr gefährlich.

© privat

Mitunter sind auch erfahrene Tierretter verblüfft. Ebenfalls im vergangenen Jahr bargen sie am Nikolassee in Berlin-Zehlendorf eine 20 Kilogramm schwere Schnappschildkröte. Möglicherweise hat sich ihr Besitzer ihrer vor längerer Zeit entledigt, weil sie ihm zu groß geworden war. Das Tier trägt seinen Namen zu Recht: Mit seinem Kiefer kann das Monstrum Kleinkindern Arme und Beine abbeißen. „Gut, dass jemand den Lauerjäger gesehen hat und wir ihn mitnehmen konnten”, sagt Veterinär Ebeling. Er fristet sein Dasein nun im Tierpark Germendorf bei Oranienburg.

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