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Grenzsoldaten haben sich in den Buchen im Park Babelsberg verewigt.

© Manfred Thomas

Zeitzeugen gesucht: Schlösserstiftung will DDR-Geschichte von Park und Schloss Babelsberg aufarbeiten

Die Schlösserstiftung sucht nach Zeitzeugen, die vom Alltag in und um das Schloss Babelsberg zu DDR-Zeit berichten können. Die Erkenntnisse sollen auch in die neue Dauerausstellung einfließen.

Potsdam - Die Inschriften sind zum Teil schwer zu deuten, wie typischerweise in die Rinde geschnitzte Liebeserklärungen sehen sie jedenfalls nicht aus. Immer wieder ist in den Stämmen der Buchen oberhalb des Maschinenhauses im Park Babelsberg die Buchstabenkombination EK zu finden, verbunden mit Zahlen wie 74 oder 85. 

Die Vermutung, dass es sich um Hinterlassenschaften der Grenzsoldaten handelt, die dort Jahrzehnte lang patroullierten, liegt nahe. Die Stiftung Preußische Schlösser will diesen Teil der Geschichte von Schloss und Park Babelsberg nun genauer beleuchten und sucht dafür nach Zeitzeugen.

Im Sommer gibt es eine Veranstaltungsreihe, auch Video-Interviews und eine App sind geplant

"Wir wollen in die jüngere Geschichte zurückgehen. Die Geschichte hört ja mit dem Ende der Monarchie 1918 nicht auf, sondern ging weiter, gerade was Babelsberg betrifft", sagt Jörg Kirschstein, der Kastellan der Schlossanlage, den PNN. Aus Anlass des bevorstehenden 60. Jahrestages des Mauerbaus sei im Sommer - so Corona es zulässt - zunächst eine Veranstaltungsreihe auf beiden Seiten der Glienicker Brücke geplant - im Schloss Babelsberg und im Schloss Glienicke. Außerdem soll es Führungen durch das frühere Grenzgebiet im Weltkulturerbe geben. 

Ein umgestürzter Wachturm im ehemaligen Grenzgebiet im Park Babelsberg, im Hintergrund die Glienicker Brücke.
Ein umgestürzter Wachturm im ehemaligen Grenzgebiet im Park Babelsberg, im Hintergrund die Glienicker Brücke.

© Manfred Thomas

Die Erkenntnisse zu diesem bislang wenig beleuchteten Abschnitt der Schlössergeschichte sollen dann auch in eine neue Dauerausstellung im Schloss Babelsberg einfließen, die derzeit konzipiert wird. Wann genau sie eröffnen wird, ist noch unklar. Zudem ist perspektivisch eine App geplant, über die Parkbesucher zum Beispiel erfahren können, wo genau sich die Grenzanlagen im Park befunden haben, erklärt Kirschstein: "Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen, dass das mal anders war." Der Historiker plant außerdem kurze Video-Interviews mit Zeitzeugen, die schon vor Eröffnung der Dauerausstellung über die Homepage der Schlösserstiftung abrufbar sein sollen.

Die Stiftung will Alltagsgeschichte ans Licht bringen

Von den Zeitzeugen erhoffe man sich Aufschluss zum Alltag im und rund um das Schloss und den Park in der DDR-Zeit. Die Schlösser rund um die Glienicker Brücke seien neben ihrer weltgeschichtlichen Bedeutung immer auch "Schauplätze von ganz persönlicher Alltagsgeschichte, individuellen Lebenswegen sowie vielschichtiger Erfahrungen", heißt es im Aufruf der Schlösserstiftung. Diesen Aspekt will man nun ans Licht bringen. "Gesucht werden auch weitere Erinnerungen, Bilder, persönliche Eindrücke aus Ost und West. Machen Sie mit uns gemeinsam Zeitgeschichte lebendig." 

Die Glienicker Brücke wurde zum Symbol der deutsch-deutschen Teilung, am 10. Februar fand dort ein großer Agententausch zwischen Ost und West statt.
Die Glienicker Brücke wurde zum Symbol der deutsch-deutschen Teilung, am 10. Februar fand dort ein großer Agententausch zwischen Ost und West statt.

© DPA

Das Babelsberger Schloss, errichtet ab 1833 als Sommerresidenz im Stil der englischen Neugotik, lag nach dem Zweiten Weltkrieg direkt an der Zonengrenze, die 1961 gebaute Mauer verlief entlang des Ufers im Park. Der erste Grenzzaun stand nur wenige Meter vom Schlosseingang entfernt. 14 Hektar des Parks wurden abgetrennt und zum Grenzgebiet. Genutzt wurde das Schloss ab den späten 1940er Jahren zunächst als Richterschule mit angeschlossenem Internat. "Dort wurden sogenannte Volksrichter ausgebildet - nach sozialistischem Maßstab", erklärt Kirschstein. So sollte die Lücke, die nach der Nazi-Zeit in den Gerichten entstanden war, gefüllt werden: "Es gab ja keine Richter mehr, die unbelastet waren." Zeitzeugen speziell zu dieser Zeit gebe es bislang noch keine.

Herrlicher Anblick: Das Schloss Babelsberg am Wochenende im verschneiten Park Babelsberg.
Herrlicher Anblick: Das Schloss Babelsberg am Wochenende im verschneiten Park Babelsberg.

© Sebastian Gabsch

Das Schloss beherbergte eine Richterschule, dann die Filmhochschule, dann das Museum für Ur- und Frühgeschichte

Ab Mitte der 1950er Jahre wurde das Schloss dann von der Filmhochschule Babelsberg genutzt, die im November 1954 in den Räumlichkeiten auch gegründet worden war. Nach dem Mauerbau musste die Hochschule ausziehen - wohl auch, weil es Bedenken gab, was die Unterbringung der Studierenden so nahe der Grenze anging. 1963 zog das Museum für Ur- und Frühgeschichte ein, das ab 1967 für den Publikumsverkehr geöffnet war. 

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Zwar konnte die Schlösserstiftung schon 1990 die ersten Ausstellungsräume in der Königswohnung - unrestauriert und mit Mobiliar aus dem Depot bestückt - wieder für Besucher öffnen. Das Museum für Ur- und Frühgeschichte zog aber erst 1999 endgültig aus und um nach Wünsdorf. Das Schloss wird mit Mitteln aus den beiden millionenschweren Masterplänen der Schlösserstiftung restauriert, die Fassade ist bereits fertig, die Arbeiten in den Innenräumen haben 2019 begonnen. Zuletzt geöffnet war das Haus im Rahmen der Pückler-Ausstellung im Jahr 2017.

Jörg Kirschstein, der Kastellan der Schlossanlage.
Jörg Kirschstein, der Kastellan der Schlossanlage.

© Andreas Klaer

Der Zeitzeugen-Aufruf passt zum neuen Arbeitsansatz von Christoph Martin Vogtherr, dem 2019 angetretenen Direktor der Schlösserstiftung: Er hatte angekündigt, dass die Stiftung "weg vom Blattgoldtourismus" wolle, Künftig werde man verstärkt auch die Geschichte des 20. Jahrhunderts in den Blick nehmen und so den Besucherinnen und Besuchern einen neuen Zugang zu den preußischen Schlössern geben.

Nach Erinnerungsfoto im Park stundenlang verhört

Erste Zeitzeugen haben sich bereits gemeldet, berichtet Jörg Kirschstein. Darunter ist ein Mann, der von einem Zwischenfall bei einem Ausflug in den Park im Jahr 1962 mit seiner späteren Frau und seiner Mutter berichtete: Nach dem Besuch im Restaurant im Kleinen Schloss sei man in Richtung Schloss gelaufen, wo die Mutter Erinnerungsfotos von dem jungen Paar mit der Glienicker Brücke im Hintergrund geschossen hat. 

Daraufhin wurde sie von Polizisten mitgenommen, der Sohn sah sie erst Stunden später, am Abend, wieder. Die Mutter war in einer Dienststelle in der Rosa-Luxemburg-Straße über ihre Foto-Aktivitäten im Grenzgebiet befragt worden, sogar der Film ist vor Ort entwickelt worden. Der Sohn konnte die Kamera und den Film dann erst am nächsten Tag dort abholen.

Der erste Grenzzaun war nur wenige Meter vom Schlosseingang entfernt.
Der erste Grenzzaun war nur wenige Meter vom Schlosseingang entfernt.

© Schlösserstiftung

Das Rätsel um die Inschriften in den Buchen konnte ein weiterer Zeitzeuge, ein ehemaliger NVA-Grenzsoldat, aufklären. EK stand für "Entlassungskandidat", die Zahl dahinter für die Anzahl der Tage, bis der Grundwehrdienst zu Ende ist. "Da war man sehr glücklich und hat das in die Buchen geritzt", erzählt Kastellan Jörg Kirschstein.

Zeitzeugen können sich per Mail an zeitgeschichte@spsg.de oder wochentags von 9 bis 17 Uhr telefonisch unter Tel. (0331) 9694-249 melden.

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