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Wohnen: Potsdam hat noch eine Menge Platz zum Bauen

Experten aus dem Rathaus, den Vereinen und Verbänden diskutierten beim Stadtforum über die Wohnsituation in der Stadt.

Potsdam - Gut drei Stunden blieb es am Donnerstagabend im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte friedlich, als alle, die beim Thema Wohnen in der Landeshauptstadt Rang und Namen haben, diskutierten, ob Potsdamer Wohnungen auch in Zukunft einigermaßen bezahlbar bleiben werden. Dann kam es vor rund 80 Zuhörern zu einer nicht einmal laut geführten, aber heftigen Kontroverse zwischen alternativen Interessenvertretern der Mieter – und allen anderen.

Das unabhängige Stadtforum, das seit mehr als zwei Jahrzehnten zu stets kompetent besetzten Debatten über die wichtigen Themen der kommunalen Entwicklung lädt, hatte zu seiner 65. Sitzung Experten der Stadtverwaltung, des städtischen Wohnungsbauunternehmens Pro Potsdam, des Mieterbundes, des Wohnungs-Riesen Deutsche Wohnen sowie alternative Netzwerker eingeladen. Zunächst versuchten alle, mit einer Fülle von Zahlen zu belegen, dass die Lage, je nach Standpunkt, gar nicht mal schlecht, ziemlich schlimm oder ganz furchtbar sei. Und fast alle lobten ihre Stadt: viele gute Ansätze, viel Kommunikation, zukunftsweisende Pläne. Schulnote: Zwei bis Dreiplus.

Holger Zschoge kritisiert Ausverkauf der Stadt

Das war den Alternativen offenbar zu viel der Harmonie. Nachdem etwa Brigitte Meier (SPD), Beigeordnete der Stadt für Ordnung, Sicherheit, Soziales und Gesundheit, Arnt von Bodelschwingh, Geschäftsführer der Beraterfirma Regiokontext und Rainer Radloff vom Mieterbund das Hohelied der „Gemeinwohlorientierung“ gesungen hatten, verdarb Holger Zschoge vom Netzwerk „Potsdam – Stadt für alle“ den Gleichklang. Vor 20 bis 25 Jahren habe die Stadt einen „Ausverkauf“ begonnen und „damit ihr Tafelsilber verscherbelt“. In Babelsberg wie in der Speicherstadt seien „große Bestände“ an Wohnungen „privatisiert“ worden. „Eine Gemeinwohlorientierung gibt’s hier nicht!“, empörte sich Zschoge.

Nun sei plötzlich von einer neuen Bodenpolitik die Rede, von der sogenannten Konzeptvergabe, mit der öffentliche Grundstücke unter Auflagen vergeben werden, und vom Vorkaufsrecht der Kommune. „Das versuchen wir seit Jahren in die Debatte zu bringen, schön, dass es jetzt angekommen ist“, sagte der Netzwerker.

Betteln für die Entwicklung des Schlaatz

Im Publikum gab es Widerspruch. Er habe eine „selektive Wahrnehmung“, musste sich Zschoge anhören. Aber auch Carsten Hagenau, Koordinator des Arbeitskreises Stadtspuren, war unzufrieden. „Wir betteln seit Jahren für die Entwicklung vom Schlaatz“, rief er, „vergeblich.“

Bei der Analyse der Lage gab es zuvor wenig Differenzen. Gregor Jekel, Leiter des Bereichs Wohnen in der Stadtverwaltung, trug die aktuellen Zahlen vor: 178.000 Einwohner zählt die Landeshauptstadt, was einem Zuwachs von 17 Prozent in zehn Jahren entspricht, im selben Zeitraum 11.500 Neubürger (plus 15 Prozent), 11.000 Umzüge im vergangenen Jahr. Die Spanne in den Quadratmeterpreisen liege bei den Mieten zwischen 3,38 und 10,79 Euro. Die dunkle Seite der leuchtenden Stadt: 40 Prozent der Potsdamer haben wegen geringer Einkommen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein, für 10.000 Haushalte zahlt die Stadt die Miete.

Die soziale Durchmischung fehlt

„Die soziale Durchmischung ist nicht sehr ausgeprägt“, sagte Jekel, „der Zugang zum Wohnungsmarkt hängt in den besten Stadtteilen am Einkommen.“ Die Beigeordnete Meier verdichtete das Problem: „Wer wohnt am Wasser? Wer wohnt am Schlaatz?“

Jekel hatte auch gute Nachrichten. Die Stadt wolle, dass die Pro Potsdam weiter 20 Prozent des Wohnungsbestandes als Marktanteil halte, und weil in den nächsten Monaten durch Neubauvorhaben 300 Wohnungen entstehen würden, „können wir kurzfristig Haushalte mit Wohnraum versorgen“.

Erik Wolfram, Chef der Stadtentwicklung im Rathaus, zog eine positive Bilanz: 2000 neue Wohnungen im Jahr 2018, weitere 5000 seien genehmigt, aber noch nicht fertig. Pro 1000 Einwohner habe Potsdam im vorigen Jahr zwölf neue Wohnungen gebaut und liege deutlich vor München (5,3) und Berlin (4,5). Das könne so weitergehen: „Wir haben noch eine ganze Menge Platz, es gibt Flächen für weitere 30.000 Einwohner.“

Mit einem mittleren Einkommen wird es schwer

Künftig wird die Stadt auch die Bebauung von Parkplätzen voranbringen. Das Land müsse sich, so Wolfram, fragen, ob es richtig sei, große Flächen in Campus-Nähe wie in Golm als ebenerdige Parkplätze zu nutzen. Die Beigeordnete Meier pflichtete ihm bei: „Man muss es sich leisten können, eine Fläche nicht mit Wohnungen zu überbauen.“

Rainer Radloff, Landeschef des Mieterbunds, bescheinigte der Stadt, „auf dem richtigen Weg“ zu sein. Und dennoch: Die Wohnkosten, Miete plus Nebenkosten, stiegen schneller als die Einkommen, „da gibt es soziale Verwerfungen“. Preisgebundene Wohnungen für bedürftige Potsdamer gebe es nicht genug, während im gehobenen Segment für Besserverdienende ein ausreichendes Angebot vorhanden sei. Es sei jedoch „schwierig“, mit einem mittleren Einkommen eine Bleibe in einer frei finanzierten Wohnung zu finden.

Auf ein Problem bei Sanierungen wies Jörn-Michael Westphal, Chef der Pro Potsdam hin. Die Kappungsgrenze bei der Umlegung dieser Kosten habe zu der Entscheidung geführt, „energetische Sanierung vor Barrierefreiheit“ zu stellen. Immerhin: Die Mietsteigerungen des Unternehmens hätten in den vergangenen Jahren unterhalb der Inflationsrate gelegen.

Carsten Holm

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