zum Hauptinhalt
Geschichte am Gartenzaun. Babelsberg-Experte Jörg Limberg führt durch die Domstraße und erklärt, wer hier vor mehr als 100 Jahren baute und wohnte.

© Sebastian Gabsch

Landeshauptstadt: Wo ist denn nun der Dom?

Ohne Kirche, dafür mit Rennbahn: Bei einer Führung durch die Domstraße wird kuriose Stadtgeschichte erklärt

Das Interesse war groß: Was es mit der Domstraße auf sich hat, mit den historischen Villen, ihren Erbauern und Bewohnern, mit der Straße überhaupt, warum sie so ungewöhnlich breit ist und diesen Namen hat, wo es doch weit und breit keinen Dom gibt – das wollten vergangenen Mittwoch viele Potsdamer wissen. Mehr als 30 kamen zur Urania-Führung mit Jörg Limberg von der Unteren Denkmalschutzbehörde, der als Experte für das Villenviertel Neubabelsberg gilt. Limberg kennt hier jedes Mäuerchen, jeden Pflasterstein, jeden Rosengarten. Seit vielen Jahren begleitet er die denkmalgerechte Wiederentstehung dieses besonderen Stadtteils, was die stadtgeschichtliche und die architektonische Einordnung betrifft.

Von den zumeist älteren Teilnehmern kamen die meisten sogar aus Babelsberg. Und sie waren nicht ohne Vorwissen. Referent Limberg musste sich spitzfindige Fragen und Einwürfe seiner Zuhörer gefallen lassen. Der fand das gar nicht schlimm. „Ich bin dankbar für jeden Hinweis, man lernt immer dazu“, sagte Limberg. Er schreibt zurzeit an einem neuen Buch über die Villenkolonie, Ende des Jahres soll es fertig sein.

Die Entstehung des Stadtteils zwischen Griebnitzsee-Ufer, Babelsberger Park und Nowawes beginnt 1872. Die Regierungsbauräte Wilhelm Böckmann und Hermann Ende erkennen, dass es immer mehr reiche Berliner aus der stinkenden Stadt ins Ländliche zieht und bekommen die Erlaubnis, das Areal für eine Landhauskolonie zu erschließen. Die Parzellen am See sind als erste weg, dann wird Straße um Straße gebaut und bebaut. Es kommen Unternehmer, Bankdirektoren, höhere Regierungsbeamte, Ärzte und bald auch Künstler wie Ufa-Schauspieler – in der Domstraße 28 lebte beispielsweise Marika Rökk. Viele sind politisch aktiv, sitzen in der Stadtverordnetenversammlung oder im Reichstag. Man hat Verbindungen – Netzwerken ist keine neue Erfindung. Als es einmal darum geht, das Gebiet Berlin zuzuschlagen, machen sie sich stark und sorgen dafür, dass es bei Nowawes bleibt. Andererseits treibt man die Entwicklung voran, plant Straßen und Wasserleitungen. Es habe sogar Pläne gegeben, in der Domstraße einen Radweg anzulegen, für Limberg eine aufregende Entdeckung.

Die Domstraße liegt am Rande des Entwicklungsgebiets und verläuft genau auf der Gemarkungsgrenze zu Nowawes. Dahinter wird Babelsberg kleinteiliger und weniger vornehm. Bestimmte Wegerechte rühren noch aus dieser Zeit, wie der Durchgang hinter der Domstraße 4 zur Rudolf-Breitscheid-Straße. Das einst große Grundstück, das heute in kleinere Parzellen aufgeteilt ist, illustriert, wie jede politische oder wirtschaftliche Krise Veränderungen mit sich zog: Weitläufige Grundstücke wurden geteilt, Villen sogar in Wohnungen umgebaut, wenn es finanziell eng oder Wohnraum knapp wurde.

Zunächst aber baute man um die Jahrhundertwende opulent, man hatte Geld, man wollte es ländlich, aber doch bequem und schick und man wollte für Geselligkeiten gerüstet sein. Neben den Wohnhäusern finden sich zahlreiche Remisen, Pavillons, Gärtner- und Gewächshäuser, man legte große Gärten mit verschlungenen, sogenannten Brezelwegen oder symmetrischer Gestaltung an, mit Sommerkegelbahnen und Bootsstegen.

In der Domstraße freilich war man ohne Wasserzugang. Dafür gab es hier eine Zeitlang eine Pferderennbahn im Dreieck zwischen Dom- und Rosa-Luxemburg-Straße. Bis heute mutet die Straße hier außergewöhnlich breit an.

In dem Villenviertel spiegeln sich aber nicht der der Lebensstil der Zeit sondern auch die politischen Verhältnisse und Wirren. So flüchten in den 1930er Jahren jüdische Bewohner vor den Nazis. 1945 kommen die Russen, die die Anwohner vertreiben und manche Straßen bis Mitte der 1950er Jahre besetzt halten. Nicht wenige dieser enteigneten Häuser fallen danach an die DDR, die hier Internate der Filmhochschule oder Standorte der Akademie für Staat und Recht einrichtet.

Eine Villa, Nummer 24, geht in diesem Zuge an Wolfgang Ruge. Der wichtige Historiker der DDR kehrt nach Jahren in Stalins Gulag zurück, nach Ostdeutschland, und wird mit Haus und Job in Babelsberg belohnt. Sein Sohn Eugen Ruge schreibt später den familien-biografischen Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“, der zum Großteil in der Domstraße spielt. 150 Meter weiter in Nummer 10 lebte bis 1945 Otto Liebknecht. Der Chemiker und Erfinder der Waschpulver-Formel Natriumperborat, aus dem Persil wurde, lebte bürgerlicher als sein Bruder Karl. Die originale Innenausstattung ist gut erhalten, die heutigen Besitzer pflegen sie liebevoll – und luden am Ende der Führung zu einem Kaffee in ihr privates Heim.

Blieb die Frage, warum die Straße Domstraße heißt. „Wenn man könnte, könnte man am Ende der Straße die Nikolaikirche sehen“, sagte Limberg und zeigte Straßenkarte und Lineal: „Sie liegt genau auf der Achse.“

Nächste Führung mit Jörg Limberg und Historiker Jens Arndt am 13. August, Treffpunkt ist um 16 Uhr an der Glienicker Brücke. Es geht nach Klein Glienicke.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false