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Demütigung und Schmerzen. Im KZ Ravensbrück erwarteten die Frauen Stockhiebe und das Entfernen der gesamten Behaarung. Hier ein Foto, das seinerzeit vermutlich zu Propagandazwecken genutzt wurde – eine SS-Aufseherin beaufsichtigt inhaftierte Frauen bei der Arbeit.

© Gedenkstätte Ravensbrück/dpa

Von der Lindenstraße ins KZ Ravensbrück: Brutal bestraft

Mehr als 3500 Frauen mussten wegen Beziehungen mit ausländischen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen ins KZ Ravensbrück

Erika Martins war 14 Jahre alt, als sie sich bei der Arbeit auf einem Bauernhof bei Luckenwalde 1942 mit dem polnischen Zwangsarbeiter Kazimierz Zabarowski anfreundete. Als sie anschließend in einer Försterei arbeitete, trafen die Verliebten sich heimlich. Im Jahr darauf wurden beide denunziert und unter dem Vorwurf der „Rassenschande“ und der „Polenbegünstigung“ verhaftet. Die Geschichte von Erika Martins ist alles andere als ein Einzelfall, berichtet Insa Eschebach, Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. Bei ihrem Vortrag „Von der Lindenstraße ins KZ. Die Verfolgung ,unerlaubten Umgangs mit Fremdvölkischen’“ in der Potsdamer Gedenkstätte Lindenstraße berichtete sie, mindestens 3500 deutsche Frauen und Mädchen seien bis Ende 1944 wegen des von den Nationalsozialisten verbotenen Kontakts mit ausländischen Zwangsarbeitern oder Kriegsgefangenen im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück inhaftiert gewesen. „Es handelt sich bei diesem Thema um ein Forschungsdesiderat“, stellt die Wissenschaftlerin fest. „Es gibt noch viel zu entdecken.“

Schwarz-Weiß-Fotografien belegen, wie die Nationalsozialisten mit den Frauen und Mädchen umgingen. Dass sie vor ihrer Verhaftung öffentlich angeprangert wurden, hatte Methode. Die Landarbeiterin Martha Wölkert etwa wurde im Juni 1941 auf dem Feld verhaftet und erst zum Bürgermeister, dann auf den Marktplatz verschleppt. Von ihrer öffentlichen Demütigung am 16. Juni in der Stadt Ahrendsee in der Altmark fertigten die Nazis eine Fotoserie an, die sie – wie andere Bilder auch – sowohl zu propagandistischen Zwecken als auch zur Abschreckung verwendeten. Eines davon zeigt die 36-Jährige, nachdem ihr ein Schild umgehängt wurde mit der Aufschrift: „Ich bin eine Sau, war deutsche Frau. Ich verkehre mit Polen.“ Vor allen Leuten wurden ihr auf dem Marktplatz ihres Wohnortes die Haare geschoren. „Vor Scham und Schande war ich halb tot“, hat sie später einer in Ravensbrück Mitinhaftierten anvertraut.

Hintergrund der Nazi-Verfolgung war, dass rund sieben Millionen Ausländerinnen und Ausländer im Laufe des Zweiten Weltkriegs ins „Deutsche Reich“ verbracht wurden, um sie dort ökonomisch auszubeuten, schätzt Insa Eschebach. Darunter waren etwa 1,9 Millionen Kriegsgefangene. Paradoxerweise fürchteten die Nationalsozialisten die von ihnen als „Fremdvölkische“ bezeichneten Polen so sehr, dass sie begannen, sexuelle Beziehungen zwischen Deutschen und Ausländern zu bestrafen. Bereits 1939 erließ Hitler den Befehl, Kriegsgefangene, die sich mit einer deutschen Frau oder einem deutschen Mädchen einließen, zu erschießen. Die Frauen selbst sollten durch Abschneiden der Haare „öffentlich angeprangert“ werden. Im Jahr darauf befahl Heinrich Himmler, Reichsführer SS, dass die betroffenen Frauen außerdem für „mindestens ein Jahr einem Konzentrationslager zuzuführen“ seien. Auch in den sogenannten Polen-Erlassen vom März 1940 äußerte er „keine Bedenken“, „deutschen Frauen wegen ihres ehrlosen Verhaltens in Gegenwart etwa der weiblichen Jugend des Dorfes die Kopfhaare“ abzuschneiden oder sie mit einem Schild durch das Dorf zu führen. Die polnischen Männer sollten laut Erlass gehängt werden oder – nach einer „rassischen Musterung“ möglicherweise „eingedeutscht“ werden.

Bei Martha Wölkert begleitet sogar ein Spielzug den Akt – wie ein altes Foto dokumentiert. Eine weitere Aufnahme belegt, dass sich viele Menschen um das Geschehnis versammelten, um ihm beizuwohnen. Martha Wölkert muss sich gegen ihre Verhaftung gewehrt haben. Dass sie sich mit zwei Polen eingelassen haben soll, sei eine Lüge gewesen. „Dabei habe ich den beiden Polen nur ein paar alte Klamotten von meinem Mann gegeben. Der war damals schon bei den Soldaten“, erzählte sie später ihrer Mitinhaftierten. „Diese Zwangsarbeiter hatten doch nur noch Lumpen auf dem Leibe. Gekannt habe ich sie, weil sie bei meinen Nachbarn, zwei alten Leutchen, manchmal für einen Teller Suppe Holz hackten.“ Dennoch wurde sie nach einem Gefängnisaufenthalt in ihrer Heimatstadt und in Magdeburg für eineinhalb Jahre in das Konzentrationslager Ravensbrück gebracht. Dies war das für diesen „Delikt“ übliche Strafmaß.

Wie alte Zugangslisten des KZ Ravensbrück zeigen, habe ab Anfang 1942 der als „Verkehr mit Polen“ bezeichnete Haftgrund deutlich zugenommen, erzählt Insa Eschebach. Im Frühjahr desselben Jahres sei fast jede sechste Frau mit dieser Begründung dort eingeliefert worden. In 80 Prozent der Fälle, so ergab eine Untersuchung zur Geschichte des Lagers, hätten die Betroffenen ein Verhältnis zu polnischen Männern unterhalten. Außerdem wurden Beziehungen zu Russen, Ukrainern und Tschechen, zu Weißrussen, Franzosen, Serben und Chinesen dort vermerkt.

Auch bei ihrer Ankunft im Lager wurden die betroffenen Frauen und Mädchen in besonderer Weise gedemütigt. Man schnitt ihnen nicht nur gleich nach dem Ankommen die Kopf-, Achsel- und Schamhaare, sondern alle drei Monate. „Ein Akt, der eindeutig als Bestrafung und Stigmatisierung intendiert war“, so die Leiterin der Gedenkstätte. Wie die eidesstattliche Erklärung des damaligen Lagerarztes Gerhard Oskar Schiedlausky von 1947 zeigt, mussten die wegen „Verkehrs“ inhaftierten Frauen außerdem „Strafen bis zu drei mal 25 Stockhieben“ erleiden. Auch Martha Wölkert berichtete davon: „Noch heute spüre ich die Nachwehen dieser Prügelstrafe. Im Sommer geht es. Aber im Winter bekomme ich dieselben Schmerzen an den Nieren wie damals.“

Darüber hinaus war diese Haftgruppe davon betroffen, dass sie – bei nicht „eindeutschungsfähigen“ Partner – im Falle einer Schwangerschaft abtreiben mussten. In den meisten Fällen sei dies zwischen dem dritten und fünften Schwangerschaftsmonat passiert, berichtete der Arzt, in Einzelfällen auf höheren Befehl bis zum achten Monat. Nicht zuletzt erfuhren die Frauen und Mädchen, die wie die politisch Inhaftierten einen roten Winkel als Erkennungszeichen tragen mussten, die Missachtung ihrer Mitgefangenen: Sie wurden als „Bettgefangene“ bezeichnet und diffamiert. Die Nationalsozialisten hätten erreicht, dass ihre Diffamierungskampagne selbst im Lager noch fortwirkte, sagte Eschebach.

Martha Wölkert wohnte nach 1945 in der sowjetischen Besatzungszone und trat in die KPD ein. Sie wurde als „Verfolgte des Nazi-Regimes“ anerkannt. Noch in den 60er-Jahren wurde ihr dieser Status wieder abgesprochen, weil sie als „Polen-Liebchen“ – so hieß es in der Akte – inhaftiert gewesen war. Martha Wölkert verlor den Anspruch auf ihre Rente. Wann sie verstarb, ist unbekannt.

Isabel Fannrich-Lautenschäger

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