zum Hauptinhalt
Knotenpunkt. In Potsdam gibt es immer mehr Autos. Außerdem kommen auch viele Pendler aus dem Umland mit dem eigenen Wagen in die Stadt. Einen dritten Havelübergang lehnt Verkehrsforscher Michael Ortgiese trotzdem ab. Der würde nur mehr Autos zum Leipziger Dreieck locken, meint er.

© Lutz Hannemann

Verkehrsforscher im Interview: Verkehr in Potsdam: „Es muss wehtun“

Potsdam wächst - und der Verkehr ebenso. Im Interview spricht Vekehrsforscher Michael Ortgiese darüber, was das für die Stadt bedeutet, warum weniger Autos auf der Zeppelinstraße unterwegs sein müssen und welche Probleme noch auf die Stadt zukommen.

Herr Ortgiese, in Potsdam wird derzeit viel über den Verkehr diskutiert. Dabei geht es um die von der Verwaltung beabsichtigte Verengung der Zeppelinstraße. Um gesundheitsschädliche Emissionen zu verringern, sollen dort künftig 16 Prozent weniger Autos fahren. Halten Sie das für realistisch?

Wenn man Emissionen verringern will, ist die Einschränkung der Kapazität ein wichtiger Baustein. Derzeit sind tagsüber etwa 2700 Autos pro Stunde unterwegs. Um das Ziel zu erreichen, müssten es etwa 2200 pro Stunde werden. Das ist machbar – allerdings nicht ohne Folgen.

Stadtpolitiker und Umlandgemeinden fürchten eine Staufalle. Haben sie recht?

Im Stadtgebiet selbst ist nicht mit größerem Stau zu rechnen, wenn der Verkehr durch die Ampelschaltungen flüssig gehalten wird. Vor der ersten Pförtnerampel sieht es allerdings anders aus

Etwa die Hälfte des Verkehrs sind Einpendler aus Potsdam-Mittelmark

Aber ohne Einschränkungen der Kapazität wird man keine Änderung des Pendelverhaltens erreichen. Es muss wehtun. In Stuttgart beispielsweise werden Angebote wie Park-and-Ride oder Mitfahrgelegenheiten von Pendlern sehr stark genutzt, weil sie sonst gar nicht in die Stadt kommen würden.

Die Einpendler haben also Pech gehabt?

Natürlich muss die Einschränkung der Straßenkapazität mit anderen Maßnahmen kombiniert werden. Den 16 Prozent müssen Alternativen angeboten werden. Dazu zählen Park-and-Ride-Angebote und attraktive Busverbindungen. Man könnte beispielsweise darüber nachdenken, dass Potsdam sich an den Kosten für Park-and-Ride-Plätze in den Umlandgemeinden beteiligt, wenn es vermeiden will, dass die Menschen von dort mit dem Auto nach Potsdam kommen. Außerdem muss man sich darauf einstellen, dass die Nachfrage nach öffentlichen Verkehrsmitteln stark steigen wird. Die Faustregel lautet, dass zehn Prozent weniger Autos zu einer Verdopplung der Fahrgäste in Bussen und Bahnen führen. Aber auch die von der Stadt geplanten Radwege ins Umland sind ein Teil der Lösung.

Die Stadt will eine Busspur nach Geltow. Doch die wird frühestens ein Jahr nach der Verengung der Zeppelinstraße kommen. Kann man nicht solange warten?

Leider gibt es da administrative Grenzen, weil es eine Bundesstraße ist. Die Pendler wird das sicher nicht trösten. Vielleicht muss man ein Jahr lang einen drückenden Schuh in Kauf nehmen.

Muss das alles sein?

Die Grenzwerte für Luftschadstoffe gibt es nicht ohne Grund. Und die Stadt hat sich diese Regeln ja auch nicht selbst ausgedacht. Sie steht unter enormem Handlungsdruck. Bei möglichen Strafzahlungen an die EU geht es um erhebliche Summen. Außerdem können Anwohner klagen, wenn Grenzwerte überschritten werden.

Anwohner in Potsdam-West befürchten, dass Autofahrer von der Zeppelinstraße durch ihr Viertel ausweichen. Werden Autos aus Werder demnächst durch Potsdam-West rollen?

Schleichverkehr wird es allenfalls durch Einwohner des Stadtteils geben. Aufgrund der Ampelschaltungen der Einbahnstraßenregelungen dürfte die Attraktivität von Routen durch Potsdam-West nicht so hoch sein. Für Einpendler dürfte sich das Ausweichen auf Nebenstrecken somit wenig lohnen. Für sie bleibt das engste Nadelöhr die erste Pförtnerampel. Wer erst mal da durch ist, kann auf der Zeppelinstraße bleiben.

Potsdam zeichnet sich durch einen hohen Pendleranteil aus. Mehr als die Hälfte der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten wohnt nicht in der Stadt. Dazu kommen Selbstständige und Studenten. Was bedeutet das für den Verkehr in der Stadt?

Das führt zu einer hohen Belastung der Verkehrswege. Im dünner besiedelten Umland ist das Nahverkehrsangebot meist weniger gut, weil es sonst nicht wirtschaftlich wäre. Die Menschen sind deshalb auf das Auto angewiesen. Auf den Einfallstraßen kommt es dadurch in den Stoßzeiten zu dichtem Verkehr.

Wieso tun sich die Leute das an?

Das hängt natürlich damit zusammen, dass das Wohnen in Potsdam vergleichsweise teuer ist. Weiter draußen ist es billiger. Dabei werden aber oft die Mobilitätskosten vergessen. Ein Zweitwagen schlägt alles in allem mit etwa 300 Euro im Monat zu Buche.

Wenn Einpendler nach Potsdam auf das Auto verzichten sollen, brauchen sie Alternativen. Die SPD hatte im vergangenen Jahr eine sogenannte Regiostadtbahn vorgeschlagen, also Straßenbahnen im Umland auf den Gleisen der Deutschen Bahn fahren zu lassen, um Umlandgemeinden anzubinden. Sie kennen das Modell aus Karlsruhe. Könnte das eine Lösung für Potsdam sein?

Dort gab es andere Voraussetzungen. Die Straßenbahn über die Eisenbahnschienen fahren zu lassen, lohnt sich nur, wenn dadurch Gebiete mit hoher Siedlungsdichte erschlossen werden. Die Trams sollen schließlich auch gut ausgelastet sein. Grundsätzlich besitzen Züge eine höhere Akzeptanz bei den Nutzern. Man toleriert es eher, auf einen Zug oder eine Tram ein paar Minuten zu warten. Bei Bussen sind die Leute ungeduldiger.

Die Verkehrsanbindung wird auch in Bezug auf Krampnitz diskutiert. Bis 2023 sollen dort Wohnungen für 3800 Menschen entstehen. Bus oder Tram – was ist besser?

Krampnitz selbst hat eine gute Größenordnung für eine Tramanbindung. Allerdings ist die Lage problematisch. Die Strecke dahin führt durch ein wenig bebautes Gebiet. Das treibt die Baukosten in die Höhe und ist nicht gut für die Auslastung. Man muss genau abwägen, ob man das macht. Auch eine Busanbindung kann man besser machen – mit Busspuren und einem dichten Takt.

Potsdam wächst seit Jahren. Welche Herausforderungen ergeben sich daraus?

Wachstum ist zunächst mal eine bessere Herausforderung als Schrumpfung. Damit würde sich eine Stadt viel schwerer tun. Für den wachsenden Verkehr gibt es keine einzelne Patentlösung, eine Kombination von vielen Maßnahmen ist gefragt. Leute, die das behaupten, haben das System nicht durchschaut. In der Stadt- und Verkehrsplanung denkt man Zyklen von 30 Jahren. Die technischen Innovationen werden die Art verändern, wie wir uns bewegen. Die Elektrofahrräder führen dazu, dass mehr Menschen auch längere Strecken mit dem Rad zurücklegen können. Deshalb brauchen wir gute Radschnellwege und nicht nur weiß markierte Streifen auf der Fahrbahn. Außerdem wird der Ölpreis nicht ewig so niedrig bleiben. Wird das Benzin wieder teurer, treibt das die Elektrifizierung des Verkehrs voran. Ökologisch macht das natürlich nur Sinn, wenn der Strom aus erneuerbarer Energie kommt.

Wie kann man das lokal beeinflussen?

Große Städte tun das mit einer City-Maut, von der emissionsarme Autos befreit sind. Man muss Anreize schaffen. Aber man kann in einer Stadt auch durch die Stadtplanung Einfluss auf den Verkehr nehmen, in dem man zum Beispiel Wohngebiete dort ausweist, wo es bereits eine gute Anbindung an Bus oder Bahn gibt.

Obwohl mehrfach verworfen, forderte die CDU wieder die Havelspange. Welches Potenzial hat ein dritter Havelübergang für die Entlastung der Potsdamer Straßen?

Wenn man sich die Verkehrsströme anschaut, erkennt man, dass es in Potsdam verhältnismäßig wenig Durchgangsverkehr gibt. Also bringen Umgehungsstraßen wenig Entlastung. Die Havelspange würde allenfalls für eine örtliche Verlagerung von Verkehr und Luftverschmutzung von der Bundesstraße 1 zum Leipziger Dreieck führen. Wir sollten lernen, mit dem Straßennetz zu leben, das jetzt existiert.

Das Interview führte Marco Zschieck

Zur Startseite