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Urteil auf Bewährung: Pogida-Müller überzeugt die Richterin von seinem Lebenswandel

Vier Jahre auf Bewährung lautete am Mittwoch das Urteil im Prozess gegen den Potsdamer Pogida-Gründer Christian Müller. Trotzdem wurde er von der Polizei aus dem Gericht geführt - in Haft. 

Von Valerie Barsig

Potsdam - Geläutert, aber dennoch kein freier Mann: Am gestrigen Mittwoch hat der Potsdamer Pogida-Gründer Christian Müller nach der Verkündung einer vierjährigen Bewährungsstrafe das Amtsgericht Potsdam in Polizeibegleitung verlassen. Ihm wird vorgeworfen, gegen Bewährungsmaßnahmen verstoßen zu haben, die er für eine Straftat im Jahr 2013 in Cottbus auferlegt bekommen hatte. Er muss deswegen nun eine zehnmonatige Haftstrafe antreten, wie die Staatsanwaltschaft dort auf PNN–Anfrage bestätigte. 

In Potsdam ging es um mehrere Körperverletzungen

Vor dem Potsdamer Amtsgericht musste sich Müller wegen mehrerer vorsätzlicher Körperverletzungen und des Verstoßes gegen seine Bewährungsauflagen verantworten. Rund 15 Polizisten waren vor Ort, die Verhandlung in einen größeren Saal verlegt, weil das Gericht ein erhöhtes öffentliches Interesse erwartet hatte - das ausblieb. Verhandelt wurden unter anderem ein Fall von vor rund vier Jahren. Müller habe laut Anklage „einen ihn grüßenden Mitbewohner seines Wohnhauses grundlos die Treppe hinuntergeschubst und geschlagen“. Wenig später habe er seine Lebensgefährtin attackiert, „weil diese der Aufforderung nicht nachgekommen sei, den gemeinsamen Hund (Pitbullmischling) zu holen“. Das erledigte Müller dann selbst und hetzte den Hund auf seinen Nachbarn, rannte dem Flüchtenden hinterher und schlug auf ihn ein. Als seine Freundin derweil versuchte, „den Hund unter Kontrolle zu bringen“, schlug Müller, der auch Kampfsportler ist, seine Freundin erneut. 

In Prag griff er eine Bekannte an

In einem weiteren Fall, der sich in Prag zugetragen hat, gerieten er und seine Freundin im Urlaub in Streit. Eine mitfahrende Freundin wollte schlichten, daraufhin ging der 35-jährige Müller auch auf sie los, schubste sie und trat die am Boden liegende, so dass sie Hämatome und Schürfwunden erlitt. In beiden Fällen war Müller erheblich alkoholisiert. Gegen seine Bewährungsauflagen verstieß Müller dann 2017: Damals hatte er sich nach Fuerteventura abgesetzt und brach den Kontakt zu seinem damaligen Bewährungshelfer ab.

Einigung hinter verschlossenen Türen

Hinter verschlossenen Türen einigten sich Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung schließlich auf eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten, die auf Bewährung ausgesetzt ist, da Müller ein umfassendes Geständnis ablegte. Der 35-Jährige, der sich von dem rechtsextremen Szene-Anwalt Wolfram Nahrath vertreten ließ, gab sich vor Gericht reumütig und richtete im Anschluss auch noch einmal öffentlich eine Entschuldigung an seine Opfer. Er habe „unkontrolliert, unüberlegt und sinnlos“ gehandelt, sagte er in seiner Erklärung. Teilweise habe er „bis zur Besinnungslosigkeit“ getrunken, beschrieb er. Auch sein Bewährungshelfer bestätigte den Kontrollverlust, den der Alkoholkonsum bei Müller auslösen könne. Sein Vater sei Alkoholiker gewesen, die Eltern hätten sich getrennt. Bereits mit 14 Jahren habe er regelmäßig getrunken, sei in die Hooligan-Szene abgerutscht. Bis zu seinem 18. Lebensjahr sei er immer wieder durch Strafdelikte auffällig geworden, wechselte schließlich den Wohnsitz von Cottbus nach Potsdam. "Damals verging kein Monat ohne Anzeige", so der Bewährungshelfer.

Enormer Drang nach Anerkennung

Aggressionen, Psychiatrie und Arbeitslosigkeit hätten sein Leben geprägt. Müller „war und ist“ jemand, dessen Anerkennungs- und Aufmerksamkeitsdrang enorm sei. Auch von einer Persönlichkeitsstörung sprach der Bewährungshelfer, der Müller seit 2014 betreut. Müller überfordere sich "und wenn dann noch Alkohol dazu kommt, tritt Kontrollverlust ein". 

Durch seine Flucht nach Fuerteventura habe sich Müllers Leben aber zum Guten gewendet: Dort sei er Inhaber eines Cafés, habe zum ersten Mal in seinem Leben Struktur, auch durch die Geburt seiner Zwillinge. Alkohol konsumiere er nur noch in Maßen, zur Hooligan-Szene habe er Distanz geschaffen, sich einer Therapie unterzogen. 

Müller sagte, er habe erst in den letzten zwei Jahren zu leben gelernt

Er sei erschreckt, was er an diesem Tag über seine Person gehört habe und was er „verzapft habe“, sagte Müller. Er habe erst in den letzten zwei Jahren gelebt und gelernt, Verantwortung zu übernehmen. Nun wolle er es sich und seinen Kindern beweisen.

„In so einem Fall kann es eigentlich keine Bewährung mehr geben“, mahnte der Rechtsanwalt der Nebenklage eindringlich. Dennoch sei Müllers Entwicklung sehr positiv, auch die Staatsanwältin sagte, er habe „die richtige Richtung“ eingeschlagen.

Schmerzensgeld an die Opfer

Auch Richterin Bettina Thierfeld verbuchte sein „unerwartet offenes“ Auftreten vor Gericht, gegen ihn sprächen allerdings die vielen einschlägigen Vorstrafen, sagte sie in der Urteilsbegründung. Sie habe sich Gedanken gemacht, ob man die Bewährung riskieren könne. Vier Jahre Bewährung seien zwar lang, allerdings müsse sich Müller „unter Kontrolle fühlen“. Sobald ein erneuter Verstoß seinerseits erfolge, würde die Bewährung widerrufen. „Sie hatten viele Chancen. Dies ist ihre letzte“, so Thierfeld. Sie verurteilte ihn außerdem zur Zahlung von Schmerzensgeld – je 500 Euro an Müllers Mitbewohner sowie an die Freundin seiner Ex-Freundin. Müller selbst hatte dies angeboten. Seine Ex-Freundin selbst, die nicht mehr vor Gericht aussagen musste, nahm das Geld nicht an.

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