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Umstrittener Vorschlag im Streit um die Garnisonkirche: Jury-Idee am Pranger

25 zufällig ausgewählte Potsdamer sollen mitentscheiden: Der neue Vorschlag, mit dem der Streit um die Garnisonkirche beendet werden soll, sorgt für Kritik. Gegner und Befürworter sind sich darin ausnahmsweise einig.

Potsdam - Befürworter und Gegner eines Wiederaufbaus der 1968 gesprengten Garnisonkirche sind sich ausnahmsweise einmal einig: Der von der Stadtspitze unterbreitete Vorschlag, dass 25 zufällig ausgewählte Potsdamer über das seit Jahren umstrittene Projekt wesentlich mitentscheiden, stößt unisono auf Kritik.

Erhebliche Zweifel am Bürgergutachten

Skeptisch zu diesem sogenannten Bürgergutachten äußerten sich die Stiftung sowie die Fördergemeinschaft für den Wiederaufbau. Auf PNN-Anfrage hieß es in einer gemeinsamen Erklärung, zwar sei man interessiert, den von der Stadt initiierten Bürgerdialog durchzuführen. Doch sei der vergangene Woche erstmals öffentlich vorgestellte Vorschlag eines Bürgergutachtens den Prozessbeteiligten bisher nicht umfassend erläutert worden. Daher habe man ihn noch nicht bewertet – es bestünden aber „erhebliche Zweifel, dass diese Form der Diskussion wirklich zu mehr Sachlichkeit verhilft“. Unabhängig vom Bürgerdialog plane man im nächsten Jahr weiter, „mit Informationen auf die Menschen zuzugehen“.

Scharfe Kritik kam von Gegnern des Wiederaufbaus, etwa von der Initiative für ein Potsdam ohne Garnisonkirche, die seit Jahren eine Bürgerbefragung zu dem Bau fordert und im Januar über ihren Ausstieg aus dem ohnehin stockenden Bürgerdialog – dessen Kosten bei etwa 160 000 Euro liegen sollen – entscheiden wird. „Ein jahrzehntelanger Streit zum Potsdamer Stadtbild soll nun also dem Zufall in Form von 25 Potsdamer*innen überlassen werden“, hieß es in einer Erklärung. Man befürchte, dass den Bürgern vorgeben werde, welche Ergebnisse erwartet und finanziert werden, so die Initiative. Die Initiative „Potsdamer Mitte neu denken“ erklärte, der Bürgerdialog könne nur erfolgreich sein, wenn er möglichst viele Bürger einbezieht und „transparent, ergebnisoffen und verbindlich ist“. Das vorgeschlagene Bürgergutachten werde dem „in keiner Weise gerecht“.

Verfahren soll bis zu 120.000 Euro kosten

Wie berichtet sollen die 25 Teilnehmer dem Einwohnermelderegister entnommen werden. Sie bekämen für die Dauer des Verfahrens ihren Verdienstausfall erstattet – samt der nötigen Betreuung würde das Verfahren bis zu 120 000 Euro kosten. Die Auserwählten würden zunächst das Pro und Contra des Wiederaufbaus von Befürwortern und Gegnern bei öffentlichen Veranstaltungen erläutert bekommen. Dann begönne ein bis zu viertägiger Workshop, in dem wechselnde Fünfergruppen an dem Kompromiss-Gutachten arbeiten.

Stadtsprecher Stefan Schulz sagte, eine öffentlichkeitswirksame Vorstellung der Teilnehmer sei im Vorfeld nicht vorgesehen – im Nachhinein stehe einer Bekanntmachung aber nichts entgegen, sollten die Bürgergutachter einverstanden sein. Die Arbeit solle sich am Beschluss der Stadtverordneten orientieren, ob eine Änderung der Sanierungsziele für das Areal rund um die einstige Garnisonkirche nötig ist – also ob etwa das Rechenzentrum, derzeit als Künstlerhaus genutzt, doch erhalten werden soll. Dann könnte das Kirchenschiff des Barockbaus nicht originalgetreu errichtet werden. Schulz verwies aber auch auf die bis 2019 gültige Baugenehmigung für den Turm der Kirche. Allerdings könnte das Bürgergutachten auch Empfehlungen für die Zeit nach 2019 machen, sollte der Turm nicht gebaut werden, machte Schulz deutlich: „Das liegt im Ermessen der Teilnehmer.“

Analyse: Bürgergutachten werden gerne von der Politik übernommen

Das Bürgergutachten hatte Rathauskommunikationschef Dieter Jetschmanegg (SPD) vorgestellt. Es geht auf das Instrument der Planungszelle zurück, das der Wuppertaler Soziologe Peter Dienel zur Bürgerbeteiligung bereits in den 1970ern entwickelt hat. Angewendet wurde es zuletzt zum Beispiel in München. Dabei ging es laut der zuständigen Gesellschaft für Bürgergutachten (GFB) darum, wie aus einer großen Dichte von Museen, Sammlungen, Hochschulen und Galerien ein besonderes Kunstareal werden kann. In solchen Verfahren könne ohne Manipulation von außen eine gemeinsame und gründlich durchdachte Empfehlung erarbeitet werden, so die GFB. In einer Analyse der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung heißt es, die Ergebnisse solcher Bürgergutachten würden „von der Politik und der Verwaltung gerne übernommen“.

Ob das Potsdamer Bürgergutachten kommt, werden die Stadtverordneten im Januar im Hauptausschuss beschließen. Die Opposition ist skeptisch. Linke-Kreischef Sascha Krämer sagte: „Ich glaube nicht, dass ein Bürgergutachten die Bürgerbeteiligung widerspiegeln wird.“ Eine unverbindliche Bürgerbefragung wäre ihm lieber. Kritik kommt aber auch aus der CDU/ANW. Deren Fraktionschef Matthias Finken sagte den PNN, mit einem Bürgergutachten „wird man eine weitere Meinung bekommen, deren Verwendung unklar ist und vermutlich auch nicht weiterführt, sondern nur viel kostet.“ Jenseits des genehmigten Turms der Kirche solle man im laufenden Bürgerdialog unter anderem über das dort vorgesehene Versöhnungszentrum reden, über dessen Aufgaben und Zielsetzungen oder generell über die Nutzung der Räume, so Finken. Auch die Grünen hatten sich kritisch zum Bürgergutachten geäußert. Lehnen die bekannten Kritiker den Vorschlag ab, hat er im Hauptausschuss keine Mehrheit.

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