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Seit Samstag gilt in Potsdam eine Testpflicht im Einzelhandel.

© Andreas Klaer

Testpflicht in Potsdams Einzelhandel: Geduldsprobe für Händler und Kunden

Schlangen an Testzentren, Unwissen bei Kunden, Unmut bei Händlern: Die neue Testpflicht für den Einzelhandel ist holprig gestartet.

Von Carsten Holm

Potsdam - Manche waren enttäuscht, manche wütend, andere verzweifelt: Auf große Skepsis ist die von der Stadt verordnete Testpflicht für den Einkauf im Einzelhandel bei Ladeninhabern gestoßen. Am Samstag trat sie in Kraft – und führte in etlichen Geschäften zu erheblichen Umsatzeinbußen.

Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) hatte wie berichtet eine Allgemeinverfügung erlassen, die Kunden etwa von Mode- und Schuhgeschäften sowie Kaufhäusern einen aktuellen Schnell- oder PCR-Test vorschreibt. Ausgenommen sind unter anderen Supermärkte, Bäcker, Blumen- und Buchläden. Die Maskenpflicht, das Abstandsgebot und das Click-and-Collect-Verfahren, mit dem Waren an der Ladentür abgeholt werden können, bleiben bestehen.

"Hauruckaktion mit der Brechstange"

Patrick Großmann, Sprecher der Händlergemeinschaft „ici”, kritisiert die Testpflicht als „Hauruckaktion mit der Brechstange.” Tatsächlich war am Samstag in der Stadt ein teils heilloses Durcheinander zu beobachten. Lange Schlangen vor einigen der insgesamt 18 Apotheken und Testzentren zeugten einerseits davon, dass viele Potsdamer sich vor einem Ladenbummel kostenlos auf Corona testen lassen wollten. Die Allgemeinverfügung gilt zunächst bis zum 11. April.

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In den Testzentren - wie hier bei der Alhorn-Apotheke - kam es teils zu langen Schlangen.
In den Testzentren - wie hier bei der Alhorn-Apotheke - kam es teils zu langen Schlangen.

© Andreas Klaer

Andererseits: Die Zahl der Teststellen ist offensichtlich viel zu gering. Wer am Samstag vor einer stand, brauchte Geduld. Am Kutschstallhof Am Neuen Markt froren bisweilen mehr als 50 Frauen, Männer und Kinder im kalten Wind, auf dem Gelände der „Alhorn Apotheken” am Nauener Tor harrten bis zu drei Dutzend Kunden hintereinander aus. Allein im Zelt vor der Apotheke „Zum Schwarzen Bär” in der Dortustraße wurden rund 150 Bürger getestet. Die Wartezeit bis zum Ergebnis: bis zu eineinhalb Stunden.

Potsdam will mit der Testpflicht Infektionsketten erkennen und eindämmen

Es war ein schwieriger Samstag nach einer düsteren Woche. Landauf, landab waren die Infektionszahlen in die Höhe geschnellt. Berlin führt ab Mittwoch eine Testpflicht für den Einzelhandel ein und will die Geschäfte trotz hoher Inzidenz offenhalten. Auch Mecklenburg-Vorpommern legte bei Inzidenz 103,2 eine Testpflicht für den Handel fest. In Nordrhein-Westfalen verfährt ähnlich. Die drei Länder umgehen damit die sogenannte Notbremse, die die Schließung von Läden ab einer Inzidenz von 100 vorschreibt.

Im Stern-Center war es am Samstag leer.
Im Stern-Center war es am Samstag leer.

© Andreas Klaer

Potsdam war einige Zeit mit einer Inzidenz unter 100 wie eine Insel im ringsum bedrohlichen Corona-Geschehen. Da wagte die Stadt einen Versuch, der sie zu einer Modellkommune in Brandenburg werden lassen könnte. Der Kern: Tests für den Einzelhandel, um Infektionsgeschehen früh einzudämmen. Das Ziel: Läden offen zu halten. Die Rathausspitze hatte mehr als eine Woche darüber diskutiert – viel angekommen ist bei Händlern und Bürgern davon nicht. So wurden in der Filiale des Textil-und Schuhhändlers „Only” im Stern-Center fast 20 Kunden ohne Test abgewiesen, die größtenteils nicht wussten, dass er erforderlich war. Bei „Tchibo” in der Brandenburger Straße waren es zehn, bei „McPaper” ein Dutzend Kunden, die keinen Zutritt erhielten.

Händler klagen über dramatische Umsatzeinbußen

Die Testpflicht erhöhte die Nachfrage offenbar nicht. Wie die dpa berichtete, bewertete der Handelsverband Berlin-Brandenburg die Einführung der Pflicht als „Flop”. Tatsächlich klagten viele Händler über teils dramatische Umsatzeinbußen. Schuhhändler Guido Baar hat wegen Corona nur zwei seiner drei Geschäfte geöffnet: „Wir haben bis 16 Uhr vier Kunden bedient.“ Die ohnehin existenzbedrohende Lage sei „verheerend”. Baars Konsequenz: „Wir werden nächste Woche nicht öffnen.” Sein Kollege Benjamin Wittstock, Chef im „Schuhhaus Wittstock” und in den „Tamaris”-Läden im Zentrum wie im Stern-Center, hatte vorerst genug, als er das Samstagsgeschäft bilanzierte: „Ein Kunde, ein Paar Schuhe, 150 Euro Umsatz.” Der Inhaber: „Wir werden erst einmal von Montag bis Mittwoch schließen, um Kosten zu sparen.”

Ratlosigkeit auch bei vielen Kunden

Unter den meisten Händlern, aber auch unter Kunden herrscht Ratlosigkeit. Beim Herrenausstatter „Herrenzimmer” meldete sich ein Kunde, der dort einen Termin, aber erst am Mittwoch einen Testtermin hatte. Vier Kunden musste Inhaber Frank Krzeslacz am Samstag aus diesem Grund abweisen. „Ich kann verstehen, was die Stadt will, um mehr Sicherheit vor Corona zu schaffen”, sagt er, „aber man muss doch viel mehr Testmöglichkeiten schaffen. So wie jetzt macht man die Stadt tot und erschwert uns das Geschäft.” „Niemand weiß Bescheid”, sagte auch Peter Propawa vom Stoff- und Nähgeschäft „Texstile” in der Jägerstraße. Zudem halte die lange Wartezeit Kunden davon ab, sich einem Test zu unterziehen. „Die Tests finde ich eigentlich richtig gut”, sagt Regine Hackbarth, seit 2012 Inhaberin der „Spitzenmode” in der Lindenstraße, „aber wir brauchen fünf, sechs Zelte dafür rund um die Innenstadt”.

Hermann Köhler, Inhaber des Haushaltswarengeschäfts an der Karl-Liebknecht-Straße in Babelsberg, hält die Testpflicht für eine „Riesenkatastrophe”. Er hat aus der Not eine Tugend gemacht – und bedient Kunden, die keinen Test vorweisen können, wieder an der Ladentür. Das tat auch Jana Rose, Geschäftsführerin von „Deine Neuen Schuhe” an der Dortustraße. So aber, sagt Schuhhändler Wittstock, könne niemand in seiner Branche verfahren: „Den gelben Schuh dort hinten, den hätte ich gern, das funktioniert bei uns nicht an der Tür".

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