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Streit ums Geläut: 51 Friedensglocken für die Garnisonkirche

Der Wiederaufbaustiftung fehlen noch vier Millionen Euro. Über die Kompromissidee von Oberbürgermeister Schubert will man reden.

Innenstadt - Es geht um ein besonderes Geläut: Wenn der wachsende Garnisonkirchturm an der Breiten Straßen einmal fertig ist, soll von seiner Spitze aus regelmäßig ein sogenanntes Friedenscarillon aus 51 Glocken erklingen – und zwar in „gemilderter, mitteltöniger Stimmung“. 

Das teilte die Garnisonkirchenstiftung am Donnerstag nach einer Sitzung ihres Kuratoriums mit. Nach der Begutachtung von fünf Glockenspielen in Belgien und den Niederlanden habe eine Expertenkommission dieses Vorgehen „in Annäherung an das historische Vorbild“ empfohlen. 

An der Erarbeitung der inhaltlichen Konzeption für das Glockengeläut werde sich der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Renke Brahms, beteiligen – er gehört auch dem Stiftungskuratorium an. 

Projekt ist politisch aufgeladen 

Auch die Frage des Geläuts ist wie das gesamte umstrittene Großprojekt politisch aufgeladen: Bereits vor 20 Jahren hatte die „Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel“ in Anlehnung an das historische Vorbild ein Glockenspiel an der Ecke Yorck-/Dortustraße errichten lassen. Es wurde im September nach einer von Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) und der Stiftung getragenen Entscheidung abgeschaltet, weil sich in den Glocken diverse Widmungen befinden, die als revisionistisch und militaristisch gelten. 

Das jetzt angekündigte Friedenscarillon soll daher zum in dem Turm geplanten Versöhnungszentrum passen, hieß es von der Stiftung. Und: Zwei neue Mitarbeiterinnen hätten die Planung für die im Turm geplante Ausstellung übernommen – die einstige Militärkirche soll angesichts ihrer wechselvollen Historie auch zum Lernort für Geschichte werden. 

Kosten für den Turm liegen bei rund 40 Millionen Euro

Bei den im Herbst 2017 begonnenen Bauarbeiten gebe es „erfreuliche Fortschritte“, hieß es weiter. Derzeit werde am Rohbau des zweiten Obergeschosses über der bereits fertiggestellten Decke der künftigen Kapelle im später einmal bis zu 88 Meter hohen Turm gearbeitet.

Die Kosten für den Turm werden mit rund 40 Millionen Euro veranschlagt. Dafür müsse man noch rund vier Millionen Euro einwerben, sagte Stiftungsvorstand Wieland Eschenburg. Das Kuratorium habe die geplante Aufstockung der Bundesförderung von zwölf auf jetzt mehr als 20 Millionen Euro erfreut zur Kenntnis genommen, sagte er.   

Die Sitzung des Kuratoriums, in dem vor allem Persönlichkeiten aus der Evangelischen Kirche und die früheren Ministerpräsidenten Manfred Stolpe und Matthias Platzeck sitzen, war auch deswegen besonders, weil erstmals Oberbürgermeister Mike Schubert (alle SPD) sie besuchte. 

Oberbürgermeister Schubert stellte Kompromissvorschlag vor

Er lässt seinen Sitz aktuell wegen sich widerstreitender Beschlusslagen im Stadtparlament ruhen, stellte aber im Kuratorium seinen kontrovers aufgenommenen Kompromissvorschlag für den Umgang mit dem Ort vor. Dabei geht es vor allem um ein Jugendbegegnungszentrum auf dem Platz des früheren Kirchenschiffs. Das Kuratorium sei zu „vorbereitenden Überlegungen“ zum zweiten Bauabschnitt auf dem Grundstück des ehemaligen Kirchenschiffs bereit und werde sich an Gesprächen darüber beteiligen, hieß es in der Mitteilung der Stiftung. Derzeit habe allerdings die Fertigstellung des Turms Vorrang, sagte Eschenburg. 

Gegner des Baus machen mobil

Schubert will seinen Vorstoß mit einem Votum der Stadtverordneten untersetzen, im Januar ist eine große Anhörung im Hauptausschuss geplant. Nach PNN-Informationen will das Rathaus im Vorfeld auch eine Vorlage veröffentlichen, in der errechnet ist, was ein Teilerhalt des Künstlerhauses Rechenzentrum neben der Kirche kosten würde – es soll nach bisherigen Planungen nach 2023 zugunsten des Kirchenschiffs abgerissen werden.   

Unterdessen machen die Gegner weiterhin gegen den Bau mobil. Die Initiative für ein Potsdam ohne Garnisonkirche kündigte schon jetzt via Facebook an, dass man während der Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag der Wiedervereinigung am 3. Oktober 2020 gegen „dieses abscheuliche Bauvorhaben“ demonstrieren wolle – und zwar in der Innenstadt. „Wir fordern, die Förderung des Projektes aus Steuergeldern sofort zu beenden“, heißt es in dem Aufruf. Vor Ort müsse es „ einen demokratischen Neuanfang“ geben. 2020 richtet Potsdam die offizielle Feier der Bundesrepublik zum Einheitsjubiläum aus, es werden Hunderttausende Gäste erwartet.

Nagelkreuzzentrum feiert sein 15-jähriges Bestehen

Schon am Samstag wird an der Kirche ein anderes Jubiläum begangen: Das Nagelkreuzzentrum feiert sein 15-jähriges Bestehen. Zum Gottesdienst wird auch der neue Landesbischof Christian Stäblein erwartet. Das Nagelkreuz wurde einst aus drei erhaltenen Nägeln der Kathedrale von Coventry geformt, die nach der Zerstörung der Kirche 1940 durch einen Luftangriff der Wehrmacht im Schutt gefunden wurden. Es gilt seitdem als Symbol für Frieden und Versöhnung. Nachformungen des Kreuzes werden an Gemeinden vergeben, die sich für diese Ziele einsetzen.

Das Nagelkreuz als Symbol für Frieden und Versöhnung wurde den Angaben zufolge im Juli 2004 an die evangelische Gemeinde in Potsdam übergeben. 2011 wurde am historischen Standort der 1945 bei einem Luftangriff weitgehend zerstörten und 1968 in der DDR abgerissenen Garnisonkirche eine provisorische Kapelle errichtet, die den Namen Nagelkreuzkapelle trägt. Die Arbeit in der Kapelle orientiert sich an dem Leitspruch „Geschichte erinnern, Verantwortung leben, Versöhnung lernen“. (mit epd/KNA)

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