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Quartierstreff für die Nachbarschaft: Ein Herz für den Staudenhof

Tatjana Lagutina ist die Frau hinterm Tresen im Café im Staudenhof in Potsdams Mitte. Dort ist nun ein Quartierstreff für die Nachbarschaft entstanden.

Die Sehnsucht nach dem Meer, die ist immer wieder da. Zweimal im Jahr fährt Tatjana Lagutina in ihre Heimat, nach Sewastopol, auf die Halbinsel Krim, „jetzt russisch“, wie die 54-Jährige diplomatisch sagt. Richtig Herzklopfen bekomme sie, wenn sie am Schwarzmeerstrand steht. Der Geruch des Meeres, das Rauschen der Wellen, nichts habe sich verändert: „Ich mache die Augen zu – und bin wieder zehn Jahre alt.“ Seit 1993 wohnt die Ukrainerin in Potsdam. Den Ort ihrer Kindheit vermisst sie trotzdem noch.

Im Café im Staudenhof in Potsdams Mitte arbeitet Tatjana Lagutina seit 2014. Damals wurden in dem Plattenbau-Block ein Wohnungsverbund für Flüchtlinge eingerichtet. In 30 der insgesamt 182 Wohnungen – die meisten kleine Ein-Zimmer-Apartments – leben Flüchtlinge; 62 sind es momentan. Sie kommen aus Ländern wie Syrien, Afghanistan, Pakistan, Tschetschenien, Somalia, Eritrea oder Kamerun. Lagutina kennt sie fast alle. Und auch viele der anderen Bewohner des Hauses. Die studierte Meeresbiologin kam anfangs als Praktikantin in das Haus. Eigentlich, erzählt sie, wollte sie irgendwann wieder in ihrem Beruf arbeiten. Aber das sei nicht so einfach gewesen, nachdem ihr Mann verunglückt und sie mit den drei Kindern allein war.

Im Staudenhof ist Lagutina mittlerweile so etwas wie das Herz des Projekts geworden. „Unsere gute Seele“, heißt es von vielen Seiten. Lagutina winkt nur ab und lacht: „Eher das Mädchen für alles!“ Sie steht jeden Tag hinterm Tresen im Café im Erdgeschoss, kocht Kaffee und Tee, bäckt manchmal Kuchen, fegt abends die Räume. Gewinn darf das Café nicht machen, deswegen spenden die Gäste, was sie eben entbehren können. Tatjana Lagutina hört ihnen zu, egal ob jemand mit Sorgen zu ihr kommt oder einfach nur reden will. „Dadurch, dass ich selber Ausländer bin, kann ich mich in die Menschen hineinversetzen“, glaubt sie. Und sie ist eine, die anpackt: „Ich sage immer: Nicht reden, sondern machen – dann machen die Menschen schon mit.“ Sie hat den Staudenhof-Garten, der wegen des Umbaus in der Mitte größtenteils verschwunden ist, von Unkraut befreit, die Steinkübel bepflanzt, den Café-Raum verschönert und in Schuss gehalten. Mit viel ehrenamtlicher Hilfe, betont sie: „Die Leute sehen, wie ich im Garten arbeite – und dann kommt die Frage: Wie kann ich dir helfen?“ Angst vor möglichen fremdenfeindlichen Anwürfen habe sie nie gehabt.

Ein Anlaufpunkt nicht nur für die Flüchtlinge, sondern auch für die anderen Bewohner des Blocks und der Nachbarschaft soll das Café und der Konferenzraum im Erdgeschoss des Staudenhofs künftig sein: Am Donnerstag wurden die Räumlichkeiten unter dem neuen Namen „Quartierstreff Staudenhof“ eingeweiht. Seit Januar wird der Wohnungsverbund für Flüchtlinge nicht mehr vom Verein Soziale Stadt, sondern vom Verein Zukunftsorientierte Förderung aus Duisburg getragen (PNN berichteten).

Der Verein Soziale Stadt engagiert sich nun mit Unterstützung der kommunalen Pro Potsdam, der das Haus gehört, vor Ort weiter – mit Stadtteilarbeit. Für den Verein ist es der dritte Nachbarschaftstreff neben dem Friedrich-Reinsch-Haus am Schlaatz und dem Oskar in Drewitz. Potsdams Sozialbeigeordneter Mike Schubert (SPD) lobte die bisher geleistete Arbeit. Stadtteilarbeit generell müsse künftig verstärkt werden, so Schubert. Der Quartiertreff Staudenhof im Speziellen könne „Nukleus“ für die Quartiersarbeit im neu entstehenden Wohngebiet nach dem FH-Abriss werden, sagte er: „Menschen wollen Anlaufpunkte, wo sie sich austauschen können.“ Allerdings: Die Zukunft des Staudenhof-Blocks ist alles andere als sicher. Momentan gilt eine Gnadenfrist bis 2022. Dann steht nach wie vor der Abriss im Raum. Die Pro Potsdam will dort neue Sozialwohnungen bauen – genauere Planungen gibt es noch nicht.

Für den Quartierstreff gibt es indes schon etliche Projekte und Ideen, die Sten Biedermann vom Verein Soziale Stadt skizzierte: So wird es mittwochs von 15 bis 18 Uhr einen Spieletreff mit Karten- und Brettspielen geben, immer am letzten Mittwoch im Monat gastiert ab 19 Uhr die Kulturbühne des Friedrich-Reinsch-Hauses mit Musik, Filmen oder Kleinkunst. Donnerstags gibt es von 15 bis 18 Uhr ein Kreativangebot für Kinder. Auch Deutschkurse und Ferienprojekte sind geplant. Bereits etablierte Angebote wie das wöchentliche Männercafé, das gemeinsam mit der Evangelischen Kirche organisiert wird, oder die Fahrradwerkstatt sollen bleiben. Am 21. März soll der Frühlingsbeginn mit einem Fest ab 16 Uhr gefeiert werden, auch bei der Fête de la Musique, die weltweit am 21. Juni gefeiert wird, will der Staudenhof dabei sein.

Solche Veranstaltungen sind auch für Tatjana Lagutina die Höhepunkte ihrer Arbeit im Staudenhof. Mit Begeisterung erzählt sie von der Stimmung bei einer selbst organisierten Modeschau oder einem Breakdance-Training: „In diesen Momenten vergisst du dein Alter – und machst alles mit.“

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