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PNN-Redakteurin Steffi Pyanoe.

© Sebastian Gabsch PNN

PYAnissimo: Wurstraub im Sommerloch

Ich nahm allen Mut zusammen und sah dem Sommerloch direkt und furchtlos ins Angesicht. Da musst du jetzt durch, dachte ich. Gehen wir eben dahin, wo nichts los ist.

Ich hatte lieben Besuch und das prompt zur besten Sommerlochzeit. Eine Woche exakt in der Lücke zwischen Normalprogramm und Sommerbespaßung. Ich fasste es nicht. Musikfestspiele vorbei. Theater zu Ende. Kammerakademie unterwegs, Nikolaisaal dicht. Barberini gesperrt. Weberfest ausgefallen. Wo noch was lief, lief Fußball. Stadtwerkefest, Orgelsommer, Theater auf dem Pfingstberg, Poetenpack, Schirrhofnächte, Gerhard Richter, Olsenbande – alles in Sichtweite, aber eben nicht vergangene Woche.

Ich nahm allen Mut zusammen und sah dem Sommerloch dann direkt und furchtlos ins Angesicht. Da musst du jetzt durch, dachte ich. Gehen wir eben dahin, wo nichts los ist.

Erster Tag: Alter Markt. Aufstieg auf die Nikolaikirche. Zauberhaft. Der Ausblick entschädigt für das Labyrinth durch ein halbes Dutzend Drehkreuze und vorbei an besucherzählenden Ticketautomaten. Anschließend ins Potsdam-Museum. Eintritt frei! „Ich weiß nicht, was ich gesehen habe, aber es war viel“, sagt der Besuch.

Tag zwei – Biosphäre. Ein Ort, den man als Potsdamer praktisch nie besucht – warum auch, er läuft ja nicht weg. Das Klima überrascht: Drinnen ist es angenehmer als draußen in der plumpen Hitze. Drinnen gibt es auch schönere Schmetterlinge. Und weniger Menschen. Herrlich.

Dritter Tag – Sanssouci. Ein Ort, den man als Potsdamer praktisch nie besucht – warum auch, er läuft ja nicht weg. Wir müssen den Besuch vom Neuen Palais nicht mal vorbestellen. Als hier 2012 die Ausstellung „Friederisiko“ lief, war die Schlange so lang wie das Schloss. Jetzt kommen wir sofort rein. Drinnen kaum Leute, keine Drängelei vor den Vitrinen, wunderbar. Im Café nebenan sofort einen schattigen Sitzplatz bekommen, die Tagessuppe ist köstlich, die Bedienung freundlich. Anschließend Spaziergang rüber zum Hippodrom: Der Besuch denkt, wir sind in Italien. Das Klima passt. Grillen zirpen, der Brunnen plätschert, der Wein rankt. Kein Mensch weit und breit. So viel Idylle ist kaum zum Aushalten.

Und es wird noch schlimmer: Am Schloss Charlottenhof lockt ein Pavillon, Bänke im Schatten, Lavendelduft, und wieder plätschert Wasser – aus dem Mund eines zarten Knaben, ein lieblicher Faun. Der Platz ist nicht besetzt, wir fühlen uns regelrecht genötigt, hier ungestört auszuruhen. Genau hier muss sich das Epizentrum des Sommerlochs befinden. Wobei ein Ausläufer definitiv bis ins Café Eden reicht. Dort, wieder so malerisch am Wasser, wieder ein Plätzchen im Schatten, gibt es Kaffee und Kuchen.

Bis dann das Drama passiert: Wurstraub im Schlosspark. Hier am Rande des Welterbes leben auch mindestens zwei Dohlen, schöne Vögel, die genauestens die Kaffeetische beobachten. „Passt auf euren Kuchen auf“, sagt der Mann am Kiosk. Gilt das auch für Currywurst? Jedenfalls verschlägt es einem etwa zweijährigen Jungen kurzzeitig die Sprache, bevor er losheult, nachdem einer der Vögel in einer schnellen Sekunde mit seiner frischen Wurst, und es war eine lange, davonflog. Rüber übers Wasser, sicher ist sicher.

Der Wirt spendiert eine neue. Die Mundraub-Geschichte gibt es gratis dazu. Wir befinden: Das Sommerloch ist herrlich, in Potsdam und im Park Sorgenfrei ganz besonders.

Unsere Autorin ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg

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