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PNN-Autorin Steffi Pyanoe. 

© Sebastian Gabsch PNN

PYAnissimo: Mit Sektchen im Hamsterrad

Ein paar Tage nur war ich weg. Vom Schreibtisch, vom Rechner, ohne Zeitung. Das erste, was ich am Montag sehe, sind Fotos der Erlebnisnacht – hab ich doch glatt verpasst. Was für ein Phänomen – als ob ein normales Leben nicht ausreicht! 

Ein paar Tage nur war ich weg. Vom Schreibtisch, vom Rechner, ohne Zeitung. Das erste, was ich am Montag sehe, sind Fotos der Erlebnisnacht – hab ich doch glatt verpasst. Menschen in den Straßen, Künstler, Zuschauer, Konsumenten. Auf der Suche nach dem Erlebnis.

Was für ein Phänomen – als ob ein normales Leben nicht ausreicht! Als ob es nicht genügt, etwas zu leben – nein, es muss etwas er-lebt werden. Je mehr, desto besser. Und wenn der Tag nicht genügend Stunden hat, dann auch noch nachts. Wir gehen außerdem nicht mehr irgendwo hin oder irgendwo lang – wir gehen dahin, wo was los ist. Der Stadtkalender ist voll mit Erlebnisangeboten. Eine Event-Maschinerie, ein Erlebnishamsterrad, damit uns ja nie langweilig wird. Festspiele und Feuerwerk, Theaternächte, Stadt für eine Nacht, Wohnzimmer-Festivals, Tag des offenen was weiß ich, Lichtspektakel, Dreiklänge, Feste, Märkte, Trallala. Jede Altersgruppe hat ihre Spezialwoche, jedes Genre seine Bühne, jedes ehrenwerte Anliegen seine 15 Minuten. Alles wird konzipiert, gefördert, gebündelt, vernetzt, präsentiert und gefeiert. Stopf rein, was rein geht ins Jahr. Und anschließend beginnt alles wieder von vorne. Da kann einem glatt schwindelig werden.

Wann haben wir begonnen, den Alltag so schrecklich und banal zu finden, dass wir das brauchen? Wann haben wir aufgehört, selber einfach etwas zu tun statt einem Erlebnis hinterherzurennen? Wann haben wir den Blick für die Kleinigkeiten verloren, dass wir meinen, das große Feuerwerk zur Glückseligkeit zu brauchen? Wann waren wir das letzte Mal in einer Galerie, ohne dass es einen Tag der offenen Tür und Sektchen gab? Wann haben wir den Einzelhandel unterstützt, ohne dass dazu Livemusik spielte?

Das zweite, das ich wahrnehme in dieser meiner Stadt, ist ein Mann, der mir in der Tram gegenüber sitzt. Mit einer besonderen Uhr am Handgelenk, ein dünnes Bändchen mit einem Pappschild, so groß wie ein Ziffernblatt. Es ist in drei "Uhrzeiten" eingeteilt: Sommer, Sonne, Strand. Es macht nichts, es bewegt sich nicht, es hat keine Batterie und keine Zeiger. Nichts zu messen, nichts einzuhalten, nichts zu müssen. Es passt zum Wetter. Der satte Sommer macht die Welt langsamer und stiller als sonst. Den Menschen demütiger. Ein Schattenplatz im Bus ist was wert, ein Windhauch, ein Stück kalte Melone und die halbe Minute vor der geöffneten Kühlschranktür. Erlebnis bei 30 Grad: Spatzen beim Staubbad zuschauen. Ein Gang in den Keller. Staunen, wie sich Minuten nach dem Gießen die schlappen Tomatenpflanzen aufrichten.

Meine dritte Wahrnehmung: die unerschöpfliche Erlebniswelt des Bauamts. Dafür reicht leider keine Erlebnisnacht. Was hier geboten wird, ist ein schier bodenloses Reservoir absurder, rätselhafter Vorgänge: Wer hat wann was gewusst oder nicht gewusst, erfahren, geprüft, genehmigt? Es geht aktuell zwar nur um ganz kleine Schallwellen, aber es ist ganz großes Kino. Leider ein schlechter Film. Ein Erlebnis, auf das ich gut verzichten könnte – in diesem schönen Sommer.

Unsere Autorin ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg.

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