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PNN-Autorin Steffi Pyanoe.

© Sebastian Gabsch PNN

PYAnissimo: Irritation frei Haus

So ein Ärger: Drei Tage hintereinander keine Zeitung im Briefkasten. Und auch sonst ist der Briefträger völlig unzuverlässig. Dann fand unsere Autorin heraus, was dahinter steckt - und fühlte sich schlecht.

Mann, war ich sauer. Den dritten Tag in Folge kam die Zeitung nicht. Also nicht wann sie sollte, nämlich bis sieben. Erst irgendwann halb neun lag sie im Kasten. Dabei klappt es doch sonst. Meistens höre ich erst die Vögel, dann gegen sechs den Zeitungsmann. Mit dem Rad kommt er angeklappert, hält unterm Schlafzimmerfenster und füllt die Kästen im Nachbarhaus, anschließend bei uns. Das Klappern von Fahrrad und Kästen ist ein beruhigendes Geräusch. Ich drehe mich noch mal um und weiß: Nachher ist da was für mich. Sehr schön.

Aber dann, dritter Tag in Folge Verspätung, geht gar nicht. Ich brachte mich am Fenster in Position. Dieses Mal würde ich ihn erwischen. Dann sah ich ihn, ein blauer Schatten an der Ecke. Ich wartete. Nichts passierte. Kein Klappern, keine Zeitung. Ich ging auf die Straße – und der Mann war tatsächlich schon 100 Meter weiter. Der hat mich vergessen, dachte ich, das gibt’s doch nicht, und rannte ihm und meiner Zeitung hinterher.

Er stand einfach so da, starrte in seine Packtaschen und fummelte am Handy rum. Mann, hat der Zeit, dachte ich. Bestimmt steckt er sich gleich eine Zigarette an. Er sah mich dann kommen. Blickte mir ruhig entgegen. „Hallo, kommen Sie noch mal die Straße zurück?“, fragte ich leicht entrüstet. Er schüttelte den Kopf. „Mit mir ist heute nicht viel los. Ich bin total verwirrt“, sagte er. Schaute mich wieder an und reichte mir plötzlich eine Zeitung übers Fahrrad. Die richtige übrigens. Ich war ein kleines bisschen beeindruckt. Er hatte ein müdes Gesicht. Schlechte Zähne. Aber er war rasiert. „Ich bin völlig fertig“, sagte er, ungefragt. „Meine Schwester liegt im Krankenhaus, im Koma. Alle rufen bei mir an und wollen wissen, wie es ihr geht. Ich kann nicht mehr.“ Ich dachte, oh Gott. Man müsste ihn in den Arm nehmen. Aber das gehört sich nicht. Und dann: Moment, meine Zeitung! Wie geht es weiter, was ist jetzt morgen und übermorgen? Ich sagte: „Das tut mir sehr leid. Wenn es Ihnen nicht gut geht, dann können Sie natürlich nicht richtig arbeiten. Ich verstehe das. Können Sie sich nicht krankschreiben lassen?“ „Ja, das werde ich machen.“ Er nickte. „Ich gehe heute Nachmittag zum Arzt.“

Ich war stolz, sachlich, aber nett gewesen zu sein. Aber plötzlich fragte ich mich, ob das stimmt. Oder erzählte er Unsinn? Hat er vielleicht ganz andere Probleme? Ist er verrückt? Oder bin ich verrückt, weil ich mich frage, ob er es ist? Ist die Welt verrückt, in der ein Zusteller, der seine Tour nicht schafft und von Leuten wie mir auch noch angemeckert wird, aus Verzweiflung Geschichten erzählt? Aber warum soll es nicht stimmen. Das wäre natürlich furchtbar. Vor allem hoffte ich, dass der Kollege, der für ihn einspringen würde, unser Haus findet und nicht erst mittags kommt.

Am nächsten Morgen regnete es. Ich scheute den Gang zum Briefkasten. Fünf Meter hin, fünf Meter zurück, reicht zum Nasswerden, und dann ist doch nichts da. Erst später öffnete ich die Tür. Da lag sie, auf der Türschwelle, unterm Dach. Trocken. Eine Zeitung. Die Richtige. Beinahe wäre ich draufgetreten. Und ich fühlte mich plötzlich irgendwie lausig.

Unsere Autorin ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg.

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