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Am ersten Prozesstag umarmten sich Gina F. und Stefan P. innig. 

© Carsten Holm

Prozess um Potsdamer Raubüberfall: Das Ende einer Räuber-Liebe

Im Golm-Prozess könnten am Mittwoch die Plädoyers gehalten werden. Das Urteil soll nächste Woche fallen.

Von Carsten Holm

Potsdam - Es waren Szenen, die den Anschein großer Liebe erweckten – auch wenn sie auf der Bühne des Landgerichts von mutmaßlichen Räubern gespielt wurden. Kaum hatte der 36-jährige Stefan P., Hauptangeklagter im sogenannten Golm-Prozess, seit Prozessbeginn am 27. Januar den Gerichtssaal in Handschellen betreten, schritt seine mitangeklagte Freundin Gina F. auf ihn zu, zog ihn fest an sich, umarmte ihn innig und flüsterte ihm ins Ohr. Auch danach suchte die 29-Jährige oft den Blickkontakt und lächelte ihn an – so, als wolle sie ihm ihre tiefen Gefühle immer wieder neu versichern.

Ein attraktives, hochaufgeschossenes Paar war da seit dem Prozessbeginn am 27. Januar zu beobachten: eine exzentrisch wirkende blonde Frau und ein schlanker, gutaussehender Mann mit prägnantem Antlitz. Beide intelligent, beide mit den Zügen auffallender, wenn auch gebrochen wirkender Persönlichkeiten. Die Zärtlichkeit hinter der Anklagebank allerdings ließ nichts erahnen von der Brutalität, die beiden vorgeworfen wird. Seit Jahren sind der Kraftfahrzeugmeister und die Restaurantmitarbeiterin zusammen, verbunden durch eine starke Anziehung, aber auch durch heftigen Drogenkonsum.

Mutmaßliche Täter sind geständig

Der Strafprozess geht nun seinem Ende zu. Am morgigen Mittwoch, dem neunten Verhandlungstag, könnten die Plädoyers gehalten werden, und wenn am 28. Mai das Urteil gesprochen wird, müssen beide mit mehrjährigen Freiheitsstrafen wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes und gefährlicher Körperverletzung rechnen. Ihnen wird zur Last gelegt, am 1. August vergangenen Jahres mit ihrem 28-jährigen Helfer Steven L. eine vierköpfige Runde von jugendlichen Kiffern in einer Mietwohnung in Golm maskiert überfallen zu haben. Die drei Potsdamer Angeklagten sagten aus, davon überzeugt gewesen zu sein, dass einer der Kiffer, der Verkäufer R., Stefan P. 30 000 Euro gestohlen hatte. Sie wollten die Herausgabe des Geldes mit Schlägen und einem Elektroschocker erzwingen, außerdem sollen sie zwei Geldbörsen geraubt haben. Die drei mutmaßlichen Täter sind im Wesentlichen geständig.

Die Angeklagten und ihre Anwälte.
Die Angeklagten und ihre Anwälte.

© Carsten Holm

Kein Lächeln für Stefan P.

Doch die Liebe zwischen Räuberin und Räuber scheint erkaltet zu sein. Wie versteinert hörte Gina F. am 27. April zu, als Ingolf Piezka, Forensik-Chefarzt in Brandenburg an der Havel, vortrug, was Stefan P. ihm während einer Untersuchung eröffnet hatte: Von Beginn an habe er seine Freundin verdächtigt, das Geld gestohlen zu haben. Er habe sie aber nicht darauf angesprochen, um die Beziehung nicht zu gefährden. 

Die Mimik von Gina F. war von diesem Augenblick an von Eiseskälte gezeichnet, für ihren Freund gab es kein Lächeln mehr. Stefan P. hatte sie schwer belastet, sie stand plötzlich sogar im Verdacht, die zweite Haupttäterin zu sein, ihn sogar zu der Tat gedrängt zu haben. P. legte dem Psychiater zudem offen, dass seine Freundin zuvor etliche Mahnschreiben mit Zahlungsaufforderungen erhalten habe. Nachdem die 30.000 Euro verschwunden waren, seien diese ausgeblieben.

Doch seine beiden Gespräche mit Piezka wurden auch für P. zur Katastrophe. Er belastete sich selbst so schwer, dass er kaum mit der Mindeststrafe von fünf Jahren für schweren Raub davonkommen wird. Denn bei der Schilderung des Tatgeschehens ging er weit über das hinaus, was sein Potsdamer Verteidiger Matthias Schöneburg am ersten Prozesstag verlesen hatte. Sachverständiger Piezka gab an, P. mehrmals darauf hingewiesen zu haben, dass dessen Aussagen ihm gegenüber vor Gericht verwertet werden würden. Dessen Redefluss bremste das nicht.

Deswegen droht Stefan P. eine höhere Strafe

P. zerlegte die Verteidigungsstrategie seines Anwalts geradezu. Denn Schöneburg hätte darauf hinarbeiten können, dass P. tatsächlich glaubte, Geld zurückzufordern, das ihm gehörte – und dass das Trio die Geldbörsen in der Hektik der Flucht quasi versehentlich gestohlen hatte. Es wäre die Chance für P. gewesen, nur wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt zu werden. Denn wer anderen etwas mit Gewalt wegnimmt, auf dass er einen Anspruch hat, dem fehlt nach geltendem Recht das Bewusstsein, etwas Falsches zu tun. 

Nun aber gab Stefan P. zu, dass er mit den beiden anderen Tätern jemanden überfallen hat, den er von Beginn nicht für den Täter hielt – dass er also nicht davon ausging, dass Verkäufer R. sein Geld hatte. Deswegen scheint plötzlich eine Freiheitsstrafe von sechs bis zu acht Jahren möglich. 

Wohl nur mit großem Glück kann der Kfz-Meister nun noch mit einer Verurteilung zu fünf Jahren Haft davonkommen. Zehn Monate Untersuchungshaft würden angerechnet, von den restlichen gut vier Jahren müsste er etwa sechs Monate ins Gefängnis, bevor er dann, falls das Gericht so entscheidet, wegen seiner Drogenproblematik in eine Entziehungsanstalt eingewiesen werden würde. Psychiater Piezka hatte diesen Weg in seinem Gutachten als aussichtsreich bewertet. Nach zwei Jahren dort könnten die restlichen 20 Monate zur Bewährung ausgesetzt werden. Im günstigsten Fall, so scheint es, käme Stefan P. im Herbst 2022 frei.

Gina F. droht eine vergleichbare Strafe – oder sogar eine höhere, falls das Gericht zu dem Schluss kommt, dass sie Stefan P. zu der Tat drängte. Steven L. könnte als Mitläufer günstigstenfalls mit einer Strafe von zwei Jahren auf Bewährung davonkommen.

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