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Das Justizzentrum in Potsdam.

© Andreas Klaer

Prozess um Kindesmisshandlung: Schwere Vorwürfe gegen ein Paar aus Potsdam

Bei dem sehr emotionalen Verhandlungstag im Prozess um Kindesmisshandlung verlor am Freitag sogar der erfahrene Staatsanwalt kurz die Fassung.

Potsdam - Verletzungen an vielen Stellen, vernachlässigt, seelisch gebrochen: So drastisch schilderten am Freitag Sozialarbeiter und Ärzte vor dem Amtsgericht den Zustand der zweieinhalb Jahre alten Katharina, als sie am 3. Mai 2017 mit lebensbedrohlichen Verletzungen im Klinikum „Ernst von Bergmann“ behandelt werden musste. Mit diesen Aussagen belasteten die Fachleute die beiden Angeklagten im Misshandlungsprozess, den leiblichen Vater und dessen damals neue Lebensgefährtin. Beide bestreiten die Vorwürfe, ebenso wie das Umfeld der Familie. Nach dem hochemotionalen dritten Verhandlungstag stellen sich nun auch Fragen zur Rolle des Potsdamer Jugendamts.

Der Prozess hatte Ende Oktober begonnen. Den beiden Angeklagten, 32 und 24 Jahre alt, wird vorgeworfen, das heute fünf Jahre alte Kind in ihrer Wohnung am Schlaatz in Lebensgefahr gebracht zu haben. Es sei unterernährt gewesen und offenbar misshandelt worden. Angesichts der typischen Verletzungsmuster, unter anderem verschieden alte Hämatomen, Blutergüssen am Ohr oder einer alten Bruchstelle am Unterarm in Folge einer mutmaßlichen Schlagabwehrverletzung, sei man von mehrfacher Gewaltanwendung gegen das Kleinkind ausgegangen, sagte die Oberärztin der Kinderklinik, Beatrix Schwarz, im Zeugenstand. Auch eine Leberprellung habe man festgestellt, was eine Folge von Schlägen gegen den Bauch sein könnte.

Griffspuren im Gesicht

Dass das Kind, wie es die Angeklagte behauptet hatte, beim Toben vom Sofa auf einen Heizkörper gefallen sei, halte sie für unwahrscheinlich, so die Ärztin. Ebenso sprach sie von Anzeichen, dass das Kind gewaltsam gefüttert worden sei – darauf deuteten Griffspuren im Gesicht und Verletzungen im Mundraum. Als das Kind sich nach einigen Tagen Klinikaufenthalt nicht mehr in lebensbedrohlichem Zustand befand, sei der Umgang mit Besteck angstbesetzt gewesen, notierte sie damals. Noch eine Beobachtung machte die Ärztin: Katharinas etwa gleichaltrige Stiefschwester habe nicht eine Verletzung gehabt: „Ein Kind war komplett demoliert, das andere wie aus dem Ei gepellt.“

Die Eltern des Mädchens hatten sich Ende 2017 getrennt, der Vater zog zu seiner neuen Frau an den Schlaatz, die Mutter blieb zurück in Berlin – und war so überfordert, dass sie ihr Kind schließlich zu ihrem Ex-Partner gab. In dieser Zeiten hatten auch Behörden den Fall im Blick. Der zuständige Sozialarbeiter aus Berlin sagte über einen Termin mit Katharinas leiblicher Mutter Ende Februar 2017, dass diese damals besorgt gewesen sei und auch ein Handybild der Tochter mit blauem Fleck im Gesicht zeigte. Die Wohnung am Schlaatz sei chaotisch, auch wegen zwei dort lebender Hunde, habe die Mutter damals geschildert.

"Milieutypische" Verhältnisse

Ein Potsdamer Jugendamtsmitarbeiter habe in der Folge die Wohnung aufgesucht, auch nach Berlin beengte und „milieutypische“ Verhältnisse gemeldet, etwa den stets laufenden Fernseher. Das Mädchen war demnach gerade nicht anwesend, der Vater erklärte den blauen Fleck mit einem Spielunfall. Ob und was das als überlastet geltende Potsdamer Jugendamt dann noch unternahm, blieb in der Verhandlung unklar. Der Sozialarbeiter aus Berlin sagte, er sei überrascht gewesen, als er dann Katharina im Krankenhaus besuchte und ihren Zustand sah: „Das war mein schlimmster Fall.“ Ähnlich schilderte es die Potsdamer Jugendamtsmitarbeiterin, die den Fall dann übernahm – sie gehe von Misshandlungen über einen längeren Zeitraum aus. Das jetzt in einem Wohnheim untergebrachte Mädchen sei inzwischen körperlich gesundet, werde aber womöglich für immer psychologische Hilfe benötigen, so die Fachfrau. Die Betreuerin des Mädchens sagte mit Blick auf die tiefen Augenhöhlen: „Ich habe noch nie ein kleines Kind gesehen, das so alt aussieht.“ Auch von Minderwuchs infolge eines Schockereignisses war die Rede.

Ganz anders stellten es Angehörige der Angeklagten dar. Erst zwei Wochen vor dem Krankenhausaufenthalt sei Katharina mehrere Tage zu Besuch in Berlin gewesen, sagte ihre Großmutter. Bis auf eine Beule am Kopf, wohl wegen eines der Hunde, sei alles normal gewesen. „Sie war fröhlich.“ Diese Aussagen zweifelte Staatsanwalt Peter Petersen mit deutlichen Worten an. Am 17. Dezember wird wohl ein Urteil gesprochen. Es droht eine Haftstrafe.

Scharfe Attacke

Während der Verhandlung hatte Petersen für einen Eklat gesorgt – bei der Vernehmung der leiblichen Mutter von Katharina. Die 24-jährige Berlinerin erzählte, eigentlich sei es für ihre Tochter in dem neuen Umfeld „erstmal ganz gut gelaufen“. Zwar habe sie der blaue Fleck schon besorgt, sie habe das daher auch dem Jugendamt gemeldet. Doch mehr habe sie von Berlin aus nicht machen können. Noch wenige Wochen vor dem Krankenhausaufenthalt habe sie ihre Tochter gesehen, da sei alles gut gewesen. Sie verstehe auch nicht, dass im Krankenhaus dann die Krankenschwestern ihre Besuche stoppten – weil das Kind auch vor der leiblichen Mutter zurückwich.

Nach solchen Schilderungen fuhr Staatsanwalt Petersen die Frau an: Sie solle hier nicht das Gericht „volllügen“, und sie habe sich einen „Scheißdreck“ um ihr Kind gekümmert. Unter Tränen verließ die Frau daraufhin den Saal. Später entschuldigte sich der Staatsanwalt für die Wortwahl. Das Sorgerecht hat die Mutter gleichwohl schon verloren. Momentan werde eine Kontaktaufnahme mittels Briefen und Foto langsam vorbereitet, hieß es im Gericht weiter. Das Verhältnis sei offenbar auch gestört, weil das Kind seine Mutter nicht als hilfreich erlebte, vermutete der Berliner Sozialarbeiter: „Sie hatte auf Rettung gehofft, was nicht erfolgt ist.“

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