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Neben seinem Büro sammelt Mike Schwitzke Granaten und andere Überbleibsel seiner Arbeit. 

© Andreas Klaer

Potsdams Sprengmeister Mike Schwitzke im Interview: „Tonnenweise Munition in Krampnitz“

In den letzten drei Monaten wurden in Potsdam drei Bomben entschärft. Sprengmeister Mike Schwitzke spricht im PNN-Interview über die „Nacht von Potsdam“, Giftgasgranaten aus dem Ersten Weltkrieg in der Döberitzer Heide und sein Vorgehen bei Entschärfungen.

Von Katharina Wiechers

Herr Schwitzke, wir sehen Sie ja immer nur in Ausnahmesituationen. Wie sieht ein Tag bei Ihnen aus, wenn gerade keine Bombe unschädlich gemacht werden muss?
 

Entweder sitze ich im Büro, schreibe Protokolle, befasse mich mit Bauanträgen, führe Telefonate oder bespreche mich mit meinen Mitarbeitern. Mindestens einmal am Tag versuche ich, auch rauszukommen und schaue mir die aktuellen Räumstellen an. Wir müssen ja im Rahmen unserer Fachaufsicht überprüfen, ob und wie dort gearbeitet wird, ob die Sicherheitsbestimmungen eingehalten werden und so weiter. Heute Morgen hatte ich zum Beispiel eine Besprechung mit meinem Trupp und habe einen Erkundungsauftrag vergeben.

Was für einer war das?

Die sind jetzt in Zauchwitz, einem Ortsteil von Beelitz und untersuchen eine Kampfmittelverdachtsfläche. Sie wollen klären, mit welcher Munition dort zu rechnen ist, Hintergrund ist die steigende Waldbrandgefahr. Wenn es in der Gegend das nächste Mal brennt, wollen wir wissen, wie hoch die konkrete Gefährdung ist und dies der Einsatzleitung sofort sagen können.

Wenn ein Anruf kommt, dass eine Bombe gefunden wurde – so wie zuletzt auf dem Gelände des alten Tramdepots – was machen Sie dann?

Zuerst einmal möchte ich sagen, dass wir in den seltensten Fällen mit Bomben zu tun haben. Allein in meinem Bereich gab es dieses Jahr 162 sogenannte allgemeine Fundstellen, meist Patronen, Handgranaten, Artilleriegranaten. Wenn es dann doch mal eine Bombe ist, hat das natürlich Priorität und alles andere wird zurückgestellt. Ich fahre dann hin und schaue mir das Corpus Delicti an, um erste Schritte mit der zuständigen Ordnungsbehörde einzuleiten. Sofort aktiv werden müssen wir nur, wenn die Bombe einen chemisch-mechanischen Langzeitzünder hat oder anderweitig belastet wurde. Dann muss man unter Umständen sofort evakuieren, um möglichst zeitnah zu entschärfen.

Warum?

Weil so ein Zünder unberechenbar ist. Auch wenn die Bombe bei der Freilegung nicht bewegt wurde, kann so ein chemischer Zünder jederzeit die Detonation der Bombe einleiten, schon allein die Temperaturänderung kann das bewirken.

Wie oft gab es das schon in Potsdam?

Glücklicherweise noch nie. Die meisten Bomben stammen aus der „Nacht von Potsdam“ am 14. April 1945. Damals haben die Alliierten schon damit gerechnet, dass die russischen Kräfte bald einmarschieren würden und haben aus diesem Grund keine nicht berechenbaren Zünder mehr in ihren Bomben eingesetzt. Allerdings gab es auch schon vorher ein paar kleinere Angriffe, zum Beispiel im Juni 1944 in Babelsberg. Manchmal wurden auch auf dem Rückflug von Berlin noch einzelne Bomben abgeworfen. Diese können unter Umständen auch anders bestückt sein, wir können also nicht ausschließen, dass es auch noch langzeitbezünderte Bomben im Berliner Speckgürtel gibt.

In der „Nacht von Potsdam“ sollte ja vor allem der Bahnhof getroffen werden. Das heißt zum Beispiel in Golm werden wir von dieser Nacht keine Überbleibsel mehr finden?

Genau. Ich habe mich intensiv mit der „Operation Crayfish“ beschäftigt. Gegen 18 Uhr sind die Maschinen auf mehreren Fliegerhorsten in England aufgestiegen und haben sich etwa über Luxemburg zu einem Bomberpulk vereinigt. Von den 725 Maschinen, die jeweils etwa 20 Bomben an Bord hatten, haben sich 100 Maschinen abgesetzt und Scheinangriffe auf andere Städte geflogen, um die deutsche Luftabwehr zu verunsichern, wo der Hauptangriff hingeht. 625 Maschinen sind Richtung Potsdam geflogen und haben über dem Stadtgebiet innerhalb von 20 Minuten ihre tödliche Last abgeworfen. Glücklicherweise handelte es sich aber um überwiegend unerfahrene Bomberbesatzungen, sodass die überwiegende Zahl der Bomben in dem Waldgebiet zwischen Potsdam und Michendorf gelandet ist. Hauptziel der Operation war eigentlich die Zerstörung der Bahnanlage und von militärischen Anlagen.

Was denken Sie, wie es in den nächsten Jahren weitergeht – vor diesem Hintergrund und mit dem Wissen, was in den letzten 70 Jahren schon aus dem Boden geholt wurde? Wie viele Evakuierungen stehen Potsdam noch bevor?

Das Problem ist, dass wir eben nicht wissen, was die letzten 70 Jahre passiert ist. Wir können nur zurückblicken bis Oktober 1990, was zu DDR-Zeiten geräumt wurde und was man gefunden hat, wissen wir nicht. Manchmal stellen wir fest, dass kaum etwas in der Erde ist und gehen deshalb von einer Beräumung aus, zum Beispiel ganz aktuell bei der gerade abgerissenen FH am Alten Markt. Dort haben wir nur weißen Sand gefunden. Direkt gegenüber, beim Barberini, sah es ganz anders aus. Da waren noch die Weckgläser im Regel, drei Bomben haben wir auch gefunden. Allerdings waren die schon entschärft, wahrscheinlich hat man das direkt nach dem Krieg gemacht und sie einfach liegengelassen. Natürlich waren die technischen Möglichkeiten damals auch noch ganz anders als heute. Als man ab den 1950er-Jahren zum Beispiel Waldstadt I und Waldstadt II gebaut hat, hat man die Flächen nicht weiter untersucht. Man hat maximal die Baugruben ausgehoben und mit einer Handsonde nachsondiert.

Könnte man das nicht heute nachholen?

In der Theorie ja, aber die Bedrohung ist dort ja längst nicht so groß wie zum Beispiel in Oranienburg. Im Gegensatz zu dort ist die Wahrscheinlichkeit, Langzeitzünderbomben zu finden, sehr gering. Außerdem lag die Waldstadt im Randgebiet der Bombardierung, die Einflugschneise war angelehnt an den Templiner See Richtung Hauptbahnhof.

Wo könnten in den nächsten Jahren noch Bomben auftauchen?

Ich denke, dass beim ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) direkt am Hauptbahnhof noch einige Bomben liegen. Außerdem ist uns der Babelsberger Park noch ein Dorn im Auge. Wir haben auf Luftbildern gesehen, dass vor allem im südlichen Teil massiv bombardiert wurde, weil das in Verlängerung zum Bahnhof liegt und die Ausflugrichtung der Maschinen war. Im Strandbad wurde einmal eine Fliegerbombe circa 40 Zentimeter unter der Liegewiese gefunden. Seitdem macht sich die Schlösserstiftung Sorgen und will die Flächen bald untersuchen lassen, denn dort werden immer mal wieder intensive Abholzungen oder Aufforstungen durchgeführt. Auch im Wildpark könnte noch einiges liegen, ebenso im Waldgebiet zwischen Potsdam und Michendorf. Der Landesforstbetrieb hat sich dort verpflichtet, Flurstücke absuchen zu lassen, bevor dort Waldpflege- und Holzerntemaßnahmen durchgeführt werden.

Warum gibt es überhaupt so viele Blindgänger? Was war der häufigste Grund dafür, dass Bomben nicht detonierten?

Meistens lag es daran, dass sich die Fallrichtung verändert hat und die Bombe nicht mit der Spitze aufgekommen ist. Auf dem ehemaligen Tramdepot an der Heinrich-Mann-Allee, wo ja nun schon drei Bomben gefunden wurden, könnte es zum Beispiel sein, dass die Fallrichtung durch die Druckwelle bereits aufgetroffener Bomben abgelenkt wurde. Im Waldgebiet sind die Bomben hingegen oft in die Baumkronen geflogen und zum Beispiel seitlich aufgekommen. Ein weiterer wichtiger Grund ist ganz einfach technisches Versagen der Entsicherung oder des Zünders.

Sie haben bislang 87 Bomben unschädlich gemacht. Wie viele davon mussten sie sprengen?

Mit dem Müssen ist das so eine Sache. Nicht nur der Zustand ist ja für uns ein Entscheidungskriterium, sondern auch das Umfeld. Wenn wir in 1000 Metern Umfeld keine Besiedelung und schützenswerte Objekte haben, gibt es eigentlich keinen Grund, sich durch eine Handentschärfung in eine besondere Gefahr zu bringen. Dann wird gesprengt. Zum Beispiel in dem Wald zwischen Potsdam und Michendorf wird öfter gesprengt. Da müssen nur die Bundesstraße B2 und ein paar Waldwege gesperrt werden. Wie oft ich Fliegerbomben gesprengt habe, weiß ich nicht. Aber bestimmt seltener als entschärft.

Auch wenn Sie die Bombe entschärfen, der Zünder wird dennoch gesprengt. Bei der letzten Entschärfung am 10. Oktober hat man die Detonation bis zum Platz der Einheit gehört, das muss vor Ort ziemlich heftig sein. Wie schützen Sie sich?

Ich suche mir eine geeignete Stelle, wo ich nichts anderes gefährde und wo sicher ist, dass darunter keine weitere Bombe liegt. Dann lege ich eine Vernichtungsladung von 50 bis 100 Gramm an, gehe 50 bis 100 Meter weg, und löse über Funk aus.

Das reicht?

Ich hab’ ja einen Helm auf und begebe mich hinter eine Deckung.

Wie legen Sie den Sperrkreis fest? Die letzten Male betrug dieser 800 Meter.

Das wird berechnet. Man geht bei einer offenen Stahlsprengung an der Oberfläche davon aus, dass die Wurfstücke bis zu 1000 Meter weit fliegen. Wenn man die Bebauung, die Bäume und die Liegetiefe der Bombe sowie Ihre Sprengkraft mit einbezieht, kann man das entsprechend herunterrechnen und kommt dann im Fall des Tramdepots auf 800 Meter.

Es heißt manchmal, dass Ihre Arbeit immer gefährlicher wird, weil die Bomben mit fortschreitender Zeit immer stärker mitgenommen sind. Gilt das auch für Potsdam?

Das gilt nicht nur für Bomben, sondern generell für Fundmunition. Die Hülle zersetzt sich immer mehr, der gefährliche Inhalt wird freigesetzt. Es gibt Bereiche in Deutschland, wo der Zersetzungsgrad wegen der Beschaffenheit des Bodens höher ist. In Brandenburg haben wir Glück mit unserer Sandkiste. Der Verrottungsgrad ist hier relativ gering. Sand ist nicht aggressiv, er leitet das Wasser durch und die Munition liegt nicht in der Feuchtigkeit. In 50 Jahren werden die Bomben, die aus der Erde geholt werden, äußerlich nicht wesentlich anders aussehen als jetzt. Allerdings kann sich aber der Sprengstoff im Inneren zersetzen, sodass es zu sogenannten Ausschwitzungen kommt, vor allem Munition aus dem Ersten Weltkrieg ist hier gefährlich.

Gibt es in Potsdam noch viel Munition aus dem Ersten Weltkrieg?

Ja. Zum Beispiel in der Döberitzer Heide, die über Jahrzehnte Truppenübungsplatz war. Dort haben wir auch mit Giftgasgranaten zu tun, die dort getestet wurden und teils vergraben wurden. Auch im Bornstedter Feld haben wir überwiegend Munition aus dem Ersten Weltkrieg gefunden. Tonnenweise Munition wird derzeit in Krampnitz ausgegraben, wo ja ein neues Wohngebiet entstehen soll.

Was finden Sie dort?

Überwiegend Handgranaten, Artilleriegranaten, Minen, Panzerabwehrwaffen und Handwaffenmunition.

Wenn Sie wetten müssten: Treffen wir uns noch einmal auf dem alten Tramdepot? Liegt dort noch etwas?

Ja. Ich glaube schon. Und wenn nicht dort, dann an anderer Stelle. Nach der Entschärfung ist vor der Entschärfung, sage ich immer.

Wie findet Ihre Familie das eigentlich? Wie sieht so ein Abschied aus, wenn Sie morgens zur Bombenentschärfung aufbrechen?

Ganz normal. Meine Frau wünscht mir viel Spaß. Sie hat mich kennengelernt, als ich Soldat war, und das ist ja heutzutage auch kein ungefährlicher Job. Wenn ich als Hauptfeldwebel einen Spähtrupp in Afghanistan führe, weiß ich nie, ob ein Heckenschütze oder eine Sprengfalle auf mich wartet. Die Bombe tut mir von alleine nichts, die kann mir nur gefährlich werden, wenn ich etwas Falsches tue.

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Mike Schwitzke (47),

ist in Leipzig aufgewachsen. Nach einer Schlosserlehre war er bei der NVA und der Bundeswehr, bevor er zum Kampfmittelbeseitigungsdienst nach Potsdam kam. Dort ist er Truppführer und zuständig für Potsdam, Potsdam-Mittelmark, Brandenburg/Havel und das Havelland. Er wohnt mit seiner Frau und den beiden gemeinsamen Kindern in Ludwigsfelde, sein Dienstsitz ist

in Eiche.

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