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Potsdamer Amigos: Schloss und Spiele

Filz und Klüngel, Rücktritte und Razzien: In Potsdam ist seit Monaten nichts mehr heil. Und alles läuft beim Fußballverein SV Babelsberg 03 zusammen. Das war schon einmal so, 1998. Aber wie war es möglich, dass sich alles wiederholt? Warum gingen in Potsdam erneut keine Alarmglocken an? Wen wird es noch mitreißen? Rekonstruktion einer Affäre.

Als die beiden Männer miteinander telefonierten, war Potsdams Welt noch nicht aus den Fugen. Im Gegenteil, es gab einen wirklich schönen Anlass für die denkwürdige Videokonferenz, damals im Frühsommer 2009, deren Mitschnitt später offiziell vorgeführt wurde. Dank eines großzügigen, älteren Herrn konnte Brandenburgs künftiges Landtagsgebäude plötzlich doch mit der historischen Fassade des Knobelsdorffschen Stadtschlosses verziert werden, zwanzig Millionen Euro hatte er dafür gespendet: Hasso Plattner, 67 Jahre, Gründer eines internationalen Konzerns, „Mister SAP“, geschätztes Vermögen laut „Forbes“ 6,9 Milliarden US-Dollar, Wohnsitze in Amerika, Südafrika und am Griebnitzsee. Da er gerade nicht in seiner Wahlheimat an der Havel weilte, saß er nun um 7 Uhr Ortszeit im kalifornischem Palo Alto vor dem Bildschirm, um aus der Ferne grünes Licht für die druckfrischen Pläne der Architekten zu geben. Sein Dialog mit Rainer Speer, damals Finanzminister im Lande Brandenburg, verlief so: „Guten Morgen Herr Minister, ist es ein Prachtkind geworden?“, fragte Plattner. Und dann schwärmte und schwärmte er, der wirklich die schönsten Flecken des Erdballs kennt, von der „Augenweide Potsdam“, wollte gar nicht mehr aufhören damit. Als er irgendwann die Mahnung einstreute, dass man rings um das Stadtschloss nun nicht gleich alles im Barockstil rekonstruieren sollte, pflichtete ihm Speer bei, auf seine Art. „Det iss meene Befürchtung.“ Dann wurde Brandenburgs Repräsentant förmlich. „Wir ham beede ’n Vertrach mitenander. Ick persönlich hab ’n reines Jewissen. Ick hab ihn erfüllt.“ Was ihm Plattner, der sich zwischendurch ertappt hatte, wie er plötzlich auch „Ding“ zum Schloss sagte, ausdrücklich bestätigte. Genauso war es, so wurde der Schloss-Aufbau besiegelt.

Eine Szene, ein Sinnbild für Potsdam, für das bürgerliche und das proletarische, für die beiden Hemisphären dieser Stadt der Preußenkönige und Baumeister, die seit 1990 eine rasante Renaissance erlebt, entgegen dem allgemeinen Treck aus der Ex-DDR gen Westen umgekehrt Zehntausende Neu-Bewohner herlockte, die zusammen mit den Alteingesessenen einen sehr, sehr speziellen Mikrokosmos bilden, was im Alltag erstaunlich harmonisch funktioniert. Und plötzlich ist hier der Teufel los, ausgerechnet in Potsdam, diesem paradiesischen Eiland zwischen Glienicker Brücke und Sanssouci? Seit Monaten geht das nun schon so, dass sich alles überschlägt, dass Meldungen um Affären, Filz und Klüngel, Rücktritte und Razzien nicht abreißen, sodass man den Überblick verliert.

Begonnen hatte es damit, dass Rainer Speer der Laptop samt Herrschafts-Interna geklaut, manche sagen auch: nicht wiedergegeben wurde. Die Umstände sind mysteriös geblieben, wie so vieles, was jetzt passiert. Noch immer ist unklar, wer da in Brandenburg die Puppen tanzen lässt, wer etwa dafür sorgte, dass kompromittierende E-Mails von Speers Festplatte den Weg in die Zeitung fanden und so letzten September publik wurde, dass der zweitmächtigste Mann im Lande für ein uneheliches Kind dreizehn Jahre keinen Unterhalt zahlte. Speer, ausgerechnet Speer, der da schon mit Vorwürfen um zu billig verkaufte Russenkasernen in Krampnitz zu kämpfen hatte, sofortiger Rücktritt, was sonst. Vor ein paar Tagen musste der nächste gehen: Peter Paffhausen, Geschäftsführer der Stadtwerke. Der hatte eine von einem Ex-Stasi-Offizier geführte Berliner Detektei auf eine andere Stadtfirma ansetzen lassen, Vorbereitungen für freundliche Übernahmen sehen nun wahrlich anders aus. Und prompt flog gleich mit auf, dass er auf krummen Wegen dem hiesigen Fußballverein SV Babelsberg 03 mit geheimen Bürgschaften ausgeholfen hat. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft, die Firmenzentrale wurde vorige Woche durchsucht, seine Privatwohnung auch, sodass nun einige, denen er gefällig war, zittern dürften, was die Fahnder alles gefunden haben, Krimi, Räuberpistole, Drama, Tragödie, Politthriller, es ist alles dabei.

Nur eine Klammer steht in dieser verwirrenden Unübersichtlichkeit, und das ist dieser Fußballverein, die Schnittstelle: SV Babelsberg, gegründet 1903, untere Ligen, die Farben blau-weiß, den Rainer Speer bis zum Aufstand der Fans vor wenigen Tagen als Präsident führte und Paffhausen als Aufsichtsratschef. „Nulldrei“, immer wieder „Nulldrei“. Und das wiederum erleben viele als Déjà-vu. Ein ähnliches Stück um diesen Verein, um Filz, Machos und Moneten wurde schon einmal dargeboten, mit anderer Besetzung, und: in der Regionalliga. Das war 1998, als der Baustadtrat Detlef Kaminski hieß, auch ein Sozi, auch der starke Mann, nicht in der Regierung, aber im Rathaus, und, na klar, Präsident von 03, weil das hier Usus ist. Der stürzte damals über Korruptions-Vorwürfe und riss den Oberbürgermeister gleich mit. Schon da ging das geflügelte Wort um, dass, wer in Potsdam etwas wolle, beim SVB einzahlen solle. Schon da wurden bohrende Fragen gestellt, auch in einem Untersuchungsausschuss des Landtags, warum eigentlich eine Landesfirma, die LEG Wohnen, ein Hauptsponsor dieser Truppe war, die außerhalb Potsdams kaum einer kannte und die nach einem kurzen Zwischenhype schließlich Insolvenz anmeldete. Das war vor acht Jahren.

Wenn man sich nun aber auf die Suche begibt, wie es möglich ist, dass sich alles noch verschärft wiederholt, eine ganze Stadt schon wieder zugesehen hat, in Potsdam (fast) keine Alarmglocken schrillen, wenn es um trickreiche, mauschelnde Finanzierung genau dieses einen notorisch klammen Profivereins geht, landet man hier: Damals, im Frühsommer 2003, schaltete sich ein Mann ein, der gerade ein Jahr Ministerpräsident und vorher Potsdams Oberbürgermeister war, ein guter, wie die meisten immer noch finden, auf beiden Seiten der Stadt: Matthias Platzeck, der gewissermaßen die personifizierte Symbiose für das bürgerliche und für das proletarisch-ostdeutsch geprägte Potsdam ist. Hier der Arztsohn, sensibel, auf Stilfragen Wert legend, der intellektuelle Konversation liebt, bei dem sich das neue Bürgertum mit seiner Liebe zum alten Potsdam wiederfand. Und da der andere, der sich im Nowaweser Arbeiterkiez der kleinen Leute, bei „Hiemke“ um die Ecke wohler fühlte als anderswo, der wie vor 1989 einige Hundert Meter entfernt vom Karl- Liebknecht-Stadion wohnt, das hier alle „Karli“ nennen und nie jemand nach einem Sponsor umbenennen würde. Auf der Tribüne hat er seinen Stammstehplatz, kaum ein Spiel hat er versäumt. Klar, dass er Rainer Speer, den Freund, damals Chef seiner Staatskanzlei, der ihm in brenzligen Situationen noch immer geholfen, der die Machtübergabe durch Manfred Stolpe eingefädelt hatte, zum Präsidentenamt überredete. Klar, dass Speer, nach einigem Zögern, zusagte. Es war also wie immer, wenn etwas Chefsache für Platzeck wurde, es wurde zum Fall für Speer. Auch beim Stadtschloss, das ständig auf der Kippe stand, war es ja so. Klar, dass Matthias Platzeck gemeinsam mit Speer, mit „Hugo“, mit Sozialminister Günter Baaske, der Präsident der Frauenfußballerinnen von Turbine Potsdam ist, schließlich auch dafür sorgte, dass das Kabinett trotz Warnungen acht Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket II zur Sanierung des maroden Stadions bewilligte. Und natürlich ist den Herren von der Sozialdemokratischen Sportpartei Brandenburgs bewusst, dass es nicht allein um Sport geht, wenn sie einen Klub bevorzugen, von dem man ja annehmen kann, dass er ein Stück Identität für die Leute da in Babelsberg, in der Potsdamer Platte ist, wo immer noch die meisten Wähler wohnen. Im Stadion trifft man fast nie Zuschauer aus dem feineren Potsdam, aus den Villenvierteln und Gründerzeitvorstädten am anderen Havelufer. Das bürgerliche und das „rote“ Potsdam, so viel steht fest, die Trennlinie führt ziemlich präzise am SV Babelsberg 03 entlang. Liegt hier womöglich der eigentliche Schlüssel für das, was geschah und immer noch geschieht? Warum sie im Rathaus gerade wieder eine Notspritze von 700 000 Euro bewilligt haben? Dass das eine Potsdam eben das Wahrzeichen auf dem Alten Markt bekommt, und dem anderen, egal wie, koste es was es wolle, Babelsberg 03 erhalten bleiben muss? Schloss und Spiele für Potsdam, für die zwei Identitäten der Stadt. Im Nachhinein betrachtet ist es ja auch mit Rainer Speer, dem von Platzeck eingesetzten Retter, erstaunlich lange gut gegangen, eher er sich verhedderte und beinahe zum Totengräber geworden wäre. Der größte Strippenzieher der Mark machte es wie seinen Job sonst auch, verlässlich, diskret, Verabredungen beim Rotwein, per Handschlag besiegelt. Keiner fragte genauer nach, solange die Gelder kamen. Und es sah so aus, als ob es aufwärts gehen würde mit dem „FC St. Pauli des Ostens“, seitdem dieser Haudegen mit seinen Kumpels im Vorstand es deichselte, schaut man näher hin, alles Typen wie er, ostdeutsche Aufsteiger, mit widersprüchlichen, schillernden Biografien, Potsdams wilde Kerle.

Speer, Jahrgang 1959, der mal Baumaschinenschlosser lernte, von der Offiziershochschule wegen politischer Unzuverlässigkeit flog, Möbel restauriert, einen Jugendclub geleitet hatte, ehe er in den Wendetagen die SPD mit aufbaute, in Brandenburgs Politik nach oben schoss: Staatssekretär, erster ostdeutscher Chef einer Staatskanzlei, Finanzminister, Innenminister. Oder Thilo Steinbach, Jahrgang 1963, den sie jetzt aus der CDU schmeißen wollen, weil sein Parteibuch das Bild der „roten“ Staatsaffäre stört, der Marketingchef im Vorstand war, Unternehmensberater. Als 25-Jähriger hatte er es mit Chuzpe versucht, mit dem DDR- Staatssicherheitsdienst, als der ihn anwerben wollte, Katz und Maus gespielt, traf sich, lehnte es ab, Leute „ans Messer zu liefern.“ Irgendwann gab die Stasi auf. Später, 1990, begleitete er Lothar de Maizière als außenpolitischer Berater bei den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen, ehe er in die Industrie wechselte, Geld, viel Geld verdiente, Villa am Jungfernsee. Speer und Steinbach hatten sich Anfang der Neunziger kennengelernt, zufällig, in einem Jazzklub, nicht am Kudamm, nein, in New York. Oder der Lausitzer Frank Marzcinek, Jahrgang 1961, CDU, der erst später dazu kam, im SVB-Vorstand für Bauen zuständig war, Lieblingssport eigentlich Karate, Träger des schwarzen Gürtels. Er war NVA-Offizier, an der Militärakademie Dresden, nach den Akten Stasi-IM, auch er in der Regierung de Maizière damals, Staatssekretär für Abrüstung unter Verteidigungsminister Rainer Eppelmann, ehe er in der Wirtschaft durchstartete. Er machte ein Abbruch-Unternehmen als Geschäftsführer groß und kaufte es dann 2006 Thyssen und Vattenfall ab und, fast zeitgleich, gleich noch die Brandenburgische Bodengesellschaft (BBG) vom Land dazu, Millionengeschäfte. Und nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen des Verdachts schwerer Untreue, weil er es war, der als Treuhänder des Landes die Krampnitz-Kaserne verscherbelte. Es sind alles Männer, etwa gleich alt, risikofreudig, die ähnlich ticken, die sich da auf der Tribüne von Babelsberg 03 fanden, Speer mit Basecap und Zigarre. Keiner dabei, der an mangelndem Selbstbewusstsein leidet. Und wenn man gemeinsam paddelte, dann nicht über die Havelseen, sondern etwa in Feuerland, der Kick. Wer so viele Grenzen durchbrochen hat, kann das Gespür für Grenzen verlieren.

Freilich, ein Problem blieb in all den Jahren immer und wird wohl auch bleiben, die Bude ist selten voll im „Karli“, im Durchschnitt 1500 Gäste pro Spiel, der Stehplatz 9 Euro, die Fanszene linksalternativ. Sponsoren stehen nicht Schlange, warum sollten sie auch. Ohne ihn hätte es also nie funktioniert, ohne Peter Paffhausen, den Aufsichtsratschef und Hauptfinanzier, der früher im Berliner Westen bei Mannesmann war, ehe er aus der Mühle raus wollte, wie er mal offenherzig sagte, und in Potsdam Chef der Energie- und Wasserbetriebe wurde, daraus ein lokales Imperium machte, zuständig für Strom, Wasser, Müll, Nahverkehr, Schwimmbäder, der mächtiger und mächtiger wurde, auf die im Rathaus, egal wer da gerade amtierte, herabsah. Er hatte ja alle eingebunden, hier ein Gefallen für den Aufsichtsrat, da ein Geschenk, die Sportvereine seiner Kontrolleure gefördert, das feudale „System Potsdam“. Den „Babelszwergen“, wie sich die Nulldreier liebevoll selbst nennen, weil sie schon immer mit den kleinsten Etats der Liga auskommen müssen, überwies er jährlich 370 000 Euro direkt. Er half, wenn es klemmte, mit Bürgschaften aus. Auch er so ein Typ, der zu diesem Hang zu Größenwahn passte, der sich da im Potsdam der Wohltäter und Goldgräber ausgebreitet hat. Ein neues Schwimmbad? Natürlich von Oscar Niemeyer, dem Star-Architekten aus Brasilien.

Stadtwerkefest? Nicht Achim Menzel, Gott bewahre, mindestens ZZ Top, Gianna Nannini, in diesem Jahr, in ein paar Wochen, sind es die Simple Minds, drunter ging’s nimmer, gratis für alle natürlich, auch hier wieder: Brot und Spiele. Auf einem dieser Feste traten Paffhausen und Speer gemeinsam auf die Bühne, spielten vor Zehntausenden, die ihnen zujubelten, im Lustgarten gegenüber dem Schlossplatz, er Gitarre, Speer die Mundharmonika: „Every day I have the blues“. Zwei Männer, denen keiner was konnte, damals war das noch so. Freilich, getuschelt wurde. Und wie. Und die Staatsanwaltschaft ermittelte schon früher einmal gegen Paffhausen, weil bei der ziemlich freihändigen Vergabe von Tiefbauaufträgen arg auffällig oft eine Firma zum Zuge kam. Alles verlief im Sande. Klar, dass die Firma heute am Stadion mitbaut, klar, dass sie Sponsor bei 03 ist. Potsdamer Kreislaufwirtschaft.

Alle wurden sie nun hinweggefegt, die einstigen Spitzen von Babelsberg 03, vielleicht, weil sie sich zu sicher fühlten und sich zu viele Feinde machten. Zu Ende aber ist dieses Gesellschaftsstück aus dem Potsdamer Tollhaus noch nicht. Bei der Privatdetektei, die Paffhausen in den letzten Jahren für eine Million Euro einsetzte, fand man konkrete Belege nur für die Hälfte des geflossenen Geldes. Wurde sie etwa auch beauftragt, um nach Speers Laptop zu fahnden? Und wer ließ vor einigen Wochen bei Thilo Steinbach einbrechen, gezielt den Laptop klauen, am helllichten Tag, Profis, wie es im Landeskriminalamt heißt?

Es sieht also eher ganz danach aus, dass da noch Rechnungen offen sind, dass noch einiges hochkommen wird in diesen unruhigen Tagen, in denen man an beiden Ufern der Stadt rätselt, wen es womöglich noch alles mitreißen wird, in denen manche schon Wetten abschließen, ob und wie lange sich Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) halten kann. Das Wort in Potsdam hat jetzt erst einmal der Staatsanwalt. Aber die Zeit, in der man in Potsdam, in Brandenburg mit Freundschaftsdiensten regieren konnte, diese Zeit ist vorbei.

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