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Potsdam: Skelette bei Ausgrabungen am Alten Markt gefunden

Archäologen haben auf dem Areal der abgerissenen Fachhochschule in Potsdam mehr als 20 Skelette freigelegt. Manche liegen dort womöglich seit gut 800 Jahren. 

Innenstadt - Die trockenen, fast porös wirkenden Knochen, die da im warmen Licht der Herbstsonne neben der Nikolaikirche auf dem Boden einer Grube liegen, gehörten einmal zu einem Menschen, der nicht sehr groß war, vielleicht maß er 1,65 Meter. Es ist noch unklar, ob die vier Experten der Archäologiemanufaktur aus Wustermark (Havelland) einen Mann oder eine Frau aus dem märkischen Sand mit Schaufeln ans Tageslicht geholt und dann mit Löffeln und Pinseln gesäubert haben. 

Eine Anthropologin soll das Geschlecht bestimmen 

„An diesem Dienstag erwarten wir eine Anthropologin, die das Skelett auf sein Geschlecht, sein Alter und etwaige Krankheiten untersuchen wird“, sagt Grabungsleiterin Nicola Hensel. Die studierte Ägyptologin und prähistorische Archäologin beugt sich mitten im Potsdamer Zentrum auf dem früheren Areal der im Sommer 2018 abgerissenen Fachhochschule etwas hinab zu dem Skelett, schaut auf das gut erhaltene Gebiss mit allerdings ziemlich abgenutzten Zähnen und lächelt: „Es ist schön, etwas freizulegen, an dem man etwas Individuelles entdecken kann. Man denkt eben, dass das mal ein Mensch war.“  Zum Individuellen gehört in diesem Fall, dass die Zähne, wie manchmal auch bei heutigen Menschen, nicht sehr appetitlich, geradezu lädiert aussehen. „Könnte sein, dass Getreide, das mit Sand versetzt war, zur Nahrung gehörte“, spekuliert die Archäologin. „Amalgamfüllungen gab es damals noch nicht“, fügt sie scherzend hinzu. Das vor ein paar Tagen ausgegrabene Skelett, so schätzt sie, könnte dort viele Hundert Jahre geruht haben – womöglich seit der Ortsgründung um das Jahr 1200. 

Rubelt: "Ein Fenster in die Geschichte Potsdams" 

Und so stapelt Bernd Rubelt, parteiloser Bau-Beigeordneter der Stadtverwaltung, nicht hoch, als er das Ergebnis der Grabungen im Vorfeld der Neubebauung des Areals „ein Fenster in die Geschichte Potsdams“ nennt. Tatsächlich lässt sich angesichts der Funde ein paar Meter unter der Erde zumindest etwas davon erahnen, wie die Potsdamer im Mittelalter gelebt haben. Sobald der Boden auf dem Gelände zwischen dem Landtag und der Landesbibliothek archäologisch beackert ist, kommt die Jetztzeit zum Zug: In den kommenden Monaten und Jahren soll hier ein lebendiges, neues Stadtquartier mit Wohnungen, Cafés, Bars und Gewerbebetrieben entstehen. Die bisher ausgegrabenen gut 20 Skelette werden dann ihre letzte Ruhestätte in Regalen des Wünsdorfer Landesamts für Denkmalpflege finden. 

Eine Kennerin der Stadtgeschichte 

Das Glück der Archäologen, deren Arbeit der Sanierungsträger Potsdam GmbH auf 85 Tage veranschlagt hat und mit rund 80000 Euro entlohnen muss, überträgt sich gestern Morgen auf ihre Gäste. Die Stadt hat ein paar Presseleute geladen und fröhlich führen die Graber ihre Gäste von Knochen zu Knochen und von Scherbe zu Scherbe. Klar ist, das ist aus historischen Quellen und früheren Ausgrabungen bekannt, dass dort, wo die Skelette liegen, im 13. Jahrhundert ein Friedhof war. Später wurde er verkleinert, es gab wenig Platz für die toten Potsdamer. So wurden sie im Lauf der Zeit in bis zu drei Lagen eher deponiert als beerdigt. Die Archäologin Hensel, die in Wustermark lebt, ist eine profunde Kennerin der Stadtgeschichte. Seit 2003 gräbt sie sich in der Landeshauptstadt mit Teams in die Tiefe der Zeitschichten hinab, sie erzählt von zwei Säuglingsskeletten, Indizien für die hohe Kindersterblichkeit im Mittelalter. Nur ein Grab, das dem 13. Jahrhundert zugeordnet wird, wurde vollständig erhalten freigelegt, in den anderen fehlen Gliedmaßen oder wurden Arme oder Beine verschoben, vermutlich bei Bauarbeiten. In der am besten erhaltenen Grabstelle liegen zwei Sargnägel, sie hielten die Seitenbretter mit dem Stirnbrett des Sarges zusammen.  Hensel erzählt von dem „Puzzle-Spiel“, das die Ausgräber beschäftigt: „Welcher Schädel“, frage man sich, „gehört zu welchem Individuum?“. Ein Reporter fragt, ob die Archäologen mit ihrer Arbeit nicht die Grabesruhe störten. „Nein“, entgegnet Hensel, „die Ruhe ist damals bei Arbeiten auf dem Friedhof schon nach 20 Jahren gestört worden, man ist nicht sehr pietätvoll mit den Gräbern umgegangen.“  Die Besuchergruppe geht ein paar Meter weiter zu einem Grab, das die Potsdamer Künstlerin Astrid Germo gerade mit äußerster Behutsamkeit freilegt. „Das ist eine künstlerische Arbeit, mit der ich bei aller Freude nebenbei auch noch Geld verdiene“, sagt die studierte Glasgestalterin. „Die Knochen haben oft eine Konsistenz wie Puder“, erzählt sie, „wenn sie dann ein paar Stunden in der Sonne gelegen haben, werden sie meistens wieder fester.“ „Mitunter“, sagt Germo, „sind von den Knochen aber nur noch braune Spuren im Sand geblieben.“

Wurde hier ein Mensch getötet?

An einer Grabstelle gilt es, ein Rätsel zu lösen. Da liegt ein Oberkörper mit Gliedmaßen, der Kopf ist erhalten, macht aber einen mysteriösen Eindruck. Die Schädeldecke hat ein großes Loch, so, als hätte jemand versucht, den Schädel mit einem schweren Gegenstand zu zertrümmern. Das kann der Mensch, der da im frühen Potsdam zu Tode kam, kaum überlebt haben. Ein Kriminalfall also aus der jungen Zeit der Stadt? Grabungsleiterin Hensel kann das Rätsel lösen: Täter ist der Sargdeckel. Er habe das Unheil angerichtet, als er zusammenbrach und die Schädeldecke schwer beschädigte.

Carsten Holm

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