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„Isch krisch so ’nen Hals, wenn isch dat sehe.“

© Werner Amann

Potsdam: Bernd Breuer gegen die BRD

Im Nachkriegsdeutschland ist er aufgewachsen und reich geworden. Vom selben Land glaubt sich der Unternehmer Bernd Breuer heute um viel Geld und ein gerechtes Urteil betrogen. Eine wilde Geschichte aus dem Potsdam der Nachwendejahre – und aus der Gegenwart.

Bernd Breuer rollt auf sein Grundstück in bester Potsdamer Lage und könnte kotzen. Schwer liegt er auf der Rückbank seiner Limousine, wie in einer Sänfte. Am Steuer sitzt Breuers Sohn, der den Wagen jetzt anhält, damit Vater eine rauchen kann. Breuer stemmt seinen mächtigen Körper aus dem Wagen in den böigen Potsdamer Morgen. Sein weißes Haar weht, er zieht an seiner Ernte 23 und sieht jetzt aus wie Peter Ustinov nach einer durchzechten Nacht. Die Lage hier ist für den Kölner Breuer „janz eindeutisch“: Alle machen mit ihm, was sie wollen. Auf seinem Potsdamer Grundstück wächst so einiges vor sich hin, nur nicht das, was er will – so ist das seiner Meinung nach von Anfang an gewesen. Breuer, 66, ist sauer auf die Treuhand, auf Potsdam, auf die Berliner Justiz und jetzt auch auf seinen Sohn. „Fahr, Basti, fahr doch! Isch will den janzen Schrott sehn“ donnert er in breitestem Kölsch wieder auf der Rückbank sitzend. Der Sohn kennt diese Stimmung bei seinem Vater, „am besten bleibt man da ganz ruhig“.

Der Wagen gleitet an Containern des Hans-Otto-Theaters vorbei – „Haben die überhaupt einen Mietvertrag?“ – und weiter über löchrige Bodenplatten, vorbei an verwitterten Garagen und vom Umkraut überwucherten Lagerhallen. Als Breuer den Neubau eines Fliesenhandels entdeckt, schnaubt er: „Der Meister hat ja schon wieder jebaut! Sin die denn bekloppt?“ Der Fliesenhandel hat das Grundstück nur gemietet, läuft der Mietvertrag aus, gehört der Neubau theoretisch Breuer. „Dat Jrundstück wollen die jetz von mir für ’nen Appel und ’n Ei kaufen. Isch sach aber: Pfff!!“

Das Gelände gehört ihm, seit er es 1993 von der Treuhand kaufte. Diese 15 Hektar Osten sollten seine persönliche Wiedervereinigung werden. Breuer besaß den größten Kranverleih Europas. 2 000 Kräne, 2 500 Angestellte, eine Milliarde D-Mark Umsatz. Die weißen Kräne mit dem blauen Breuer-Schriftzug standen auf der Olympia-Baustelle in Moskau, sie schwammen auf der Themse, um Londons neues Finanzviertel Canary Wharf zu bauen, und auf der Ostsee – beim Bau der Öresund-Brücke zwischen Schweden und Dänemark. Auf dem Gelände in Potsdam standen die Fabrikhallen der insolventen Firma Maschinenbau Babelsberg. Hier sollte Breuers Niederlassung Ost entstehen. Von hier aus wollte er den Osten aufrollen.

Aber der Osten wollte sich von Breuer nicht aufrollen lassen. Zuerst betrog ihn die Treuhand mit dem Kaufvertrag, dann verschwanden große Teile des Inventars, und zu guter Letzt will kein Gericht Berlins anerkennen, dass die Treuhand ihn betrogen hat. Seit 15 Jahren klagt Breuer gegen diese „Scheiße“. Eines von 10 805 Verfahren, die gegen die Treuhandanstalt bislang geführt wurden. 4 126 davon hat die Treuhand gewonnen, 4 348 wurden eingestellt. 133 Millionen Euro hat das den Bundeshaushalt gekostet. Breuer ist einer der letzten großen Kläger. „Den andern is’ dat Jeld ausjejangen.“ 12,4 Millionen Euro hat er ausgegeben für seinen Privatkrieg, sieben Anwälte beschäftigt. „Bis 2005 hatt’ isch Luft.“ Seitdem hat er vier Grundstücke und drei Häuser verkauft, damit nicht auch ihm das Geld ausgeht.

NACH STRICH UND FADEN VERSCHAUKELT

Seit Monaten liegt seine Klage nun beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Gewinnt er, müsste die Bundesrepublik den Potsdamer Verkauf rückabwickeln und Breuer wohl mit weit über 100 Millionen Euro entschädigen. Er will, dass endlich einmal einer sagt: „Breuer, du hast recht: Die Treuhand hat dich beschissen.“

Man könnte Breuer für einen halten, der sich im engen Turm einer Verschwörungstheorie eingemauert hat – räumte nicht Detlef Kaminski, Potsdams Ex-Baustadtrat, heute ein: „Breuer wurde nach Strich und Faden verschaukelt.“ Wäre da nicht Willi Zylajew, Mitglied des Bundestags, dem man riet, sein Engagement für Breuer zu überdenken, da es zu viele gebe, die gegen die Treuhand in ähnlicher Sache klagen könnten. Sagte nicht Siegfried Kauder, CDU-Mann im Bundestags-Petitionsausschuss: „Ich habe sofort gemerkt, dass da etwas faul ist.“ Und urteilte nicht Rainer Kanzleiter, Vorsitzender der Deutschen Notarrechtlichen Vereinigung: „Der Vertrag mit der Treuhand ist null und nichtig.“

Wer Bernd Breuer auf seinem Pfad ins Unterholz der deutschen Republik folgt, reibt sich die Augen angesichts dessen, was er da zu sehen bekommt: arglistige Täuschung durch eine öffentlich-rechtliche Anstalt. Betrug. Schlampige Notare. Fehlurteile. Starrsinnige Richter. Es entsteht ein dunkles Bild der Nachwendezeit und der Eindruck eines fragwürdigen Umgangs der Berliner Justiz mit diesem Fall. Und man sieht einen Mann, der das Land, in dem er lebt und steinreich wurde, nicht mehr versteht.

1990: Das vereinte Deutschland ist eben geboren und mit ihm die größte Privatisierungsmaschine in der Geschichte des Kapitalismus, die Treuhandanstalt. Dem Finanzministerium untergeordnet, soll sie die rund 8500 volkseigenen Betriebe der DDR mit mehr als vier Millionen Mitarbeitern verkaufen. 1990 bekommt die Allianz-Versicherung Filialen samt Kunden der staatlichen DDR-Versicherung. Die Filialen der Staatsbank haben Deutsche und Dresdner Bank unter sich aufgeteilt. Thyssen übernimmt die profitabelste Firma der DDR, das weltgrößte Stahlhandelsunternehmen Metallurgiehandel, um es später abzuwickeln.

JEDER IN POTSDAM KANNTE WEN, DER HIER ARBEITETE

Nachdem die Großen sich das Beste aus dem Treuhandregal genommen haben, kommen Mittelständler wie Breuer dran. Überall im Osten wird derweil gestreikt, auch bei der Maschinenbau Babelsberg (Maba), deren Aufsichtsrat von der Treuhand geleitet wird, während Westinvestoren genervt durch die Straßen ziehen, vergeblich auf der Suche nach einem guten Lokal. Die Treuhand wird im Osten als Besatzerregime erlebt, das einen Betrieb nach dem anderen liquidiert. In der Treuhandzentrale in Berlin will man die Betriebe rasch und zu guten Preisen loswerden.

Weihnachten 1992 schauen sich Bernd Breuer und sein Bruder Helmut die Maba an. Was sie finden, sind die Reste des Facharbeiterstolzes von Potsdam. Rund 2 500 Beschäftigte hatte das ehemalige Karl-Marx-Werk. Erst bauten sie Lokomotiven, dann Klimaanlagen und zuletzt Autokräne für den IFA W50, den meistgebauten, in über 40 Länder exportierten Lkw der DDR. Das Werk war eine Stadt in der Stadt, groß wie 150 Fußballfelder, mit Konsum, Fleischerei, Ambulanz, Arztpraxen und einer Ausbildungswerkstatt für 650 Lehrlinge: Dreher, Fräser, Schlosser, Maurer. Jeder in Potsdam kannte wen, der hier arbeitete.

Die Wende bringt die Namensänderung und den Niedergang. Keiner will mehr Maba-Kräne. Der 1:1-Umtausch von Ost- in D-Mark sorgt für eine 400-prozentige Aufwertung über Nacht: Die auf dem Weltmarkt kaum konkurrenzfähigen Kräne sind jetzt viermal so teuer, die DDR-Absatzmärkte in Osteuropa, Vietnam, Angola brechen weg. Die Treuhand entlässt 2 000 der 2500 Arbeiter.

Wie müssen die Gebrüder Breuer auf die am Boden liegende Stadt gewirkt haben? Bernd Breuer, der einen eigenen Jet besaß, weil er es leid war, dass es zwischen Köln und Moskau keine Direktverbindung gab. Sein Bruder, der mal per Helikopter einflog. Waren die Breuers zwei kölsche Donald Trumps? Millionäre, die breitbeinig durchs Leben gingen? Breuer erzählt gern, dass er mit 18 den ersten Porsche bekam. Und danach jedes Jahr einen neuen. „Billijer kann man nich fahren. Die verlieren ja so jut wie nich an Wert.“ Es scheint, als habe er im Leben auf wenig verzichten müssen. Und trotzdem nahm er den Arbeitern ihre Garagen weg, die sie am Rande des Betriebsgeländes gebaut hatten.

Breuer und Potsdam, das war von Anfang an ein Duell einer gegen alle. Was will der hier, fragten sich die Stadträte. Warum will der eine insolvente Firma, die Kräne baut? Klar, der will doch nur die Immobilie. „Wir haben dem Breuer nie geglaubt“, sagt Günter Baasner, der damals für die Stadt arbeitete. Das Misstrauen war da, sobald Breuer den Fuß auf Potsdamer Boden setzte.

Sein Wagen hält vor dem früheren Verwaltungsbau. Er steigt aus, eine neue Ernte 23 im Anschlag, er hasst es, zu Fuß zu gehen. Schnaufend tritt er in die Eingangshalle – und starrt fassungslos auf den Aufzug. Auf dem klebt ein roter Zettel: „Zum Erfolg gibt es keinen Lift. Man muss die Treppe benutzen.“ Weil Breuers Verwalter aus Köln ein paar Kilo zugenommen hat, hat der Potsdamer Hausmeister kurzerhand die Sicherung des Aufzugs rausgeschraubt. Breuer schüttelt ermattet den Kopf. „Die sin doch alle bekloppt!“ Im Herbst 1999 dachte Breuer zum ersten Mal, dass er betrogen worden sei. Für 22,6 Millionen D-Mark hatte er das Gelände samt Gebäuden und Teilen des Inventars gekauft, 150 Millionen D-Mark investiert und sich verpflichtet, 300 „Dauerarbeitsplätze“ zu bewahren. Breuer steht jetzt atemlos im vierten Stock und schaut auf das Gelände herab wie ein König auf sein geplündertes Reich. „Isch krisch so ’nen Hals, wenn isch dat sehe.“

Seit 1999 wird hier kein Kran mehr gewartet, sechs Jahre nach dem Kauf ist der Babelsberger Standort der „Maximum“ – so tauften die Breuers die Maba nach der Übernahme – aufgelöst. Breuer zeigt auf die beiden alten Fertigungshallen. Einer Halle ließ er das Dach decken, allein das habe ihn zwei Millionen Euro gekostet. „Warum hätt isch so viel Jeld in ein Industriejelände investieren sollen, wenn isch ’ne Jrundstücksspekulation vorhatte?“ Nun vermietet er die beiden 10 000-Quadratmeter-Hallen für 27 000 Euro im Monat ans Studio Babelsberg. „27.000 Euro!“, schnaubt Breuer. Für ihn ist das so, als verleihe er Monat für Monat zwei Luxusautos für 20 Euro.

DIE STADT HAT BREUER IM SCHWITZKASTEN

Schuld daran, dass das Gelände zur Industriebrache verkam, ist auf den ersten Blick die Stadt Potsdam. Im Herbst 1999 schickt sie Breuer einen Brief: Er habe 20,8 Millionen Mark zu zahlen, den sogenannten Abschöpfungsbetrag. Breuer fällt aus allen Wolken. Das Wort Abschöpfung hat er noch nie gehört – wofür soll er das zahlen? Na, für die Entwicklungsmaßnahme, die die Stadt seit fast drei Jahren auf seinem Gebiet durchführe, antwortet die Stadt Potsdam. Sie habe Pläne erstellt zur Aufteilung des Geländes, zum Bau von Planstraßen, zur Umwidmung in ein Gewerbegebiet, der Bodenwert seines Grundstücks sei dadurch eklatant gestiegen. Entwicklungsmaßnahme? Schon wieder so ein Wort, das Breuer nicht versteht.

Sein Geschäftsführer fährt zum Grundbuchamt Potsdam. Er findet auf einem DIN-A4-Blatt, Bogennummer II-E 1, in Spalte 4 zwei dürre Schreibmaschinensätze: „Eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme wird durchgeführt. Eingetragen am 08.01.97.“ Was so lapidar klingt, ist ein Todesurteil: Diese Entwicklungsmaßnahme nimmt Breuer die Hoheit über sein Land, die Stadt hat es quasi beschlagnahmt. Ist ein Grundstück mit so einer Maßnahme belegt, kann der Eigentümer nichts so entwickeln, wie er möchte, nichts ohne Zustimmung vermieten oder verkaufen. Jeder kleinste Schritt muss mit der Stadt abgesprochen werden. Jetzt hat Potsdam Breuer im Schwitzkasten.

Die Eintragung dieser Maßnahme, das Grundbuch beweist es, erfolgte just eine Woche bevor Breuer als Eigentümer im Grundbuch vermerkt wurde – vier Jahre nachdem er das Gelände gekauft hatte. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, die Stadt habe auf einen Gutgläubigen gewartet, den sie finanziell aussaugen konnte. Was aber wusste die Treuhand davon? Seit wann liefen die Planungen für diese knebelnde Maßnahme? Wusste die Treuhand schon beim Verkauf an Breuer, was dem bevorstand? Breuer hat genug, er bietet der Stadt das Grundstück zum Kauf an. Doch der damalige Oberbürgermeister Matthias Platzeck gibt Breuer zu verstehen, an der Abschöpfung, nicht aber am Grundstück interessiert zu sein. Platzeck sagt heute, an dieses Gespräch könne er sich nicht erinnern.

Einer, der den Fall Breuer gut kennt, ist Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der Linken und Anwalt. Als Breuer gegen die Entwicklungsmaßnahme klagt, recherchiert Gysi in dessen Auftrag in Potsdam. Gysis Sohn arbeitet damals bei den Breuers in Köln und hat seinem Vater von der Sache erzählt. Gysi findet die Drucksachen Nr. 1455 und Nr. 1494 der Stadtverordnetenversammlung. Sie belegen, dass die Stadt Potsdam sich schon vor dem Kauf Breuers mit der Idee einer Entwicklungsmaßnahme für das Gebiet trug; unterzeichnet hat sie Oberbürgermeister Horst Gramlich, der gleichzeitig im Aufsichtsrat der Maschinenbau Babelsberg saß. Gysi zieht noch ein Papier hervor. „Die Treuhand“, liest er vor, „hat alle diesen Sachverhalt betreffenden Informationen noch vor rechtlicher Wirksamkeit Ihres Kaufvertrages vom 27./28.04.1993 (…) zur Verfügung gestellt bekommen.“ Die Treuhand wusste also von der drohenden Maßnahme und verschwieg es Breuer beim Verkauf. Neben der Stadt hat die Treuhand ihr eigenes Spiel mit Breuer gespielt. Die vorgelesene Textstelle stammt aus einem Schreiben des Ex-Baustadtrats Kaminski und bestätigt Breuers Verdacht, von der Treuhand betrogen worden zu sein. „Es war öffentlich erklärtes Ziel, dort Verwertungs- und Nutzungseinschränkungen durchzusetzen“, sagt Kaminski. Gysi sagt: „Was den Breuers da passiert ist, bei Privatpersonen wäre das ein Betrugsfall.“

Nach der Wende hatte die Treuhand drei Jahre lang versucht, das Grundstück meistbietend zu verkaufen. Ein Deal ist nach zehn Monaten unterschriftsreif, die Treuhand lässt ihn platzen, weil sie das Angebot als zu niedrig empfindet. Ein Investor aus Frankreich buhlt kurz vor den Breuers um das Gelände, zuckt aber zurück, als er von Potsdams Stadträten für Bau und Stadtentwicklung hört, welche Auflagen auf ihn zukämen: Denkmalschutz, Altlastenentsorgung, keine ausufernde Bebauung, keine Hotels, keine Supermärkte, keine Wohnungen. Es sind die Folterinstrumente der Stadt Potsdam in ihrem Kampf gegen Investoren, die die Treuhand anschleppt. Die Treuhand will verkaufen, will das Geld – Potsdam will die Kontrolle. Die Breuers akzeptieren diese Folterinstrumente. Sie wissen nicht, dass sie nur das Vorspiel sind, dass die wahre Tortur Entwicklungsmaßnahme heißt und gerade im Verborgenen vorbereitet wird.

Nach dem Gespräch mit Platzeck klagt Breuer gegen die Maßnahme. Geschlagene sieben Jahre. Das Verfahren endet ohne Urteil. Breuer akzeptiert auf Anraten des Richters einen Vergleich, verpflichtet sich, der Stadt 3,7 Millionen Euro zu zahlen, und kauft, so denkt er, damit die Maßnahme von seinem Gebiet. Doch in Wahrheit löst er damit nur eines von vielen Problemen. Denn er darf jetzt zwar das Grundstück verkaufen, an wen und zu welchem Preis er will. Aber die Einschränkungen der Maßnahme gelten weiter. Und wer sollte eine Brache, über die die Stadt bestimmt, so teuer kaufen, wie Breuer sie gekauft hat?

Was aber tut die Stadt Potsdam? Nichts. Auf dem Gelände ist seitdem nichts passiert. Keine Entwicklung, keine Straße, gar nichts. Breuers Vorschläge lehnt sie ab. Allein der von ihr vermittelte, viel zu billige Mietvertrag mit dem Studio Babelsberg wird genehmigt. Breuers Gespräch mit Platzeck ist der Zenit eines Geschäfts, das von Beginn an merkwürdig war. Kaum haben die Breuers die Firma übernommen, müssen sie feststellen, dass die 1,7 Millionen Mark teure Fertigungsstraße für Lkw-Achsen, die bei der Besichtigung noch da war, fehlt. Kippanhänger, zig Pritschenwagen, Mörtelmaschinen, Bremstrommeln, allerlei Werkzeug sind auch weg.

Die Treuhand zuckt mit den Schultern, Breuer klagt und verliert: Was genau wann vom Gelände verschwand, könne nicht zweifelsfrei bewiesen werden. Ferner heißt es in der Urteilsbegründung, Breuer habe „die Täuschungshandlungen der Beklagten nicht hinreichend substantiiert dargelegt“. Es klingt so, als hielte das Gericht es für möglich, dass eine millionenteure Fertigungsstraße aus Versehen verkauft wurde. Es war das erste von fünf Urteilen an Berliner Gerichten, die Breuer gegen die Treuhand keine Chance geben. Seitdem Breuer 18 ist, vermietet er Kräne. Sein Vater hat die Firma gegründet, Breuer hat sie zum größten Kranverleih Europas gemacht. Er studiert Maschinenbau und arbeitet an freien Tagen in der Firma. Früh um sechs hat er dort zu sein. Kommt er zu spät, gibt es vom Vater eine Ohrfeige. „Der hatte ’nen janz schönen Kontrollwahn“, sagt Breuer. „Da sind sie sich sehr ähnlich“, sagt Breuers Sohn über ihn. Für die Firma lässt Breuer später viele Geburtstage seiner drei Kinder ausfallen. Er ist ständig unterwegs, mit Kunden, „für die ’n Wort ewen ’n Wort war“.

So hat es sein Vater gemacht, so hält er es. Ist man sich einig, heißt es: Schlag ein! Nach einem guten Abschluss fährt man zusammen zum Abspecken nach Portugal oder zum Finale nach Wimbledon. Worein er sein Geld investiert, entscheidet er aus dem Bauch. Zu den Kränen gesellen sich ein Kindergarten, ein Filmstudio, eine Maserati-Niederlassung. Als Breuer mit dem damaligen RTL-Chef Helmut Thoma in London ist, spricht ihn ein Pärchen an, das zum falschen Flughafen gefahren ist: ob sie wüssten, wie man am schnellsten heim nach Deutschland komme? Breuer lädt die beiden kurzerhand in seinen Privatjet ein, auf dem Flug fragt er den Mann: „Wat machst du denn beruflich so?“ – „Ich bin Olympiasieger im Boxen.“ Es ist Henry Maske. Breuer lädt das Paar zu sich ein, am Küchentisch tüfteln sie mit Thoma die Idee aus, Maske zum RTL-Champion zu machen.

Ähnlich hemdsärmelig geht es im Krangeschäft zu. Mitte der achtziger Jahre will das sowjetische Ministerium für Chemische Industrie Breuers Kräne. Über ein Jahr verhandeln Anwälte. Dann fliegt Breuer selbst nach Moskau und klopft an die Bürotür von Abteilungsleiter Juri Luschkow, später der Bürgermeister von Moskau. „Isch hab jesacht: Juri, ihr wollt die Kräne, isch dat Jeld.“ Kurz darauf schickt Breuer den ersten Kran, Luschkow die erste Rate. So geht das 60 Mal. „Isch bin mit der Praxis immer jut jefahren“, sagt Breuer. Bis er an die Stadt Potsdam geriet.

WIE IN EINEM KOMPLIZIERTEN COMPUTERSPIEL GEFANGEN

Die schlägt ihm nach dem Kauf vor, auf dem Gelände eine Lackierstraße zu bauen, in der auch Potsdams Straßenbahnen lackiert werden. Das klingt nach einem Deal, von dem beide profitieren. Potsdam spart den Bau einer eigenen Anlage, Breuer kann eine Investition geltend machen und schafft Arbeitsplätze. Straßenbahnen brauchen mehr Platz als Kranteile, die Breuer hier auch lackieren lässt. Größere Umbauten für 500 000 Mark sind nötig. 1994 lässt Breuer die 1,3 Millionen Mark teure Anlage montieren. Doch eine Straßenbahn kommt nie. Breuer will von der Stadt wissen, warum nicht, er fragt mehrmals nach. Aber auch eine Antwort kommt nie. An einem heißen Junitag dieses Jahres sitzt Bernd Breuer mit seinem siebten Anwalt, Bernhard Kempen, in der Maserati-Niederlassung der Breuers in Köln. 15 Jahre lang ist er jeden Rechtsweg in Deutschland gegangen, jetzt ist er am Ende angekommen. Vor ihm liegen viele neue Papiere. „Die sin uns zujespielt worden“, sagt Breuer und liest immer wieder daraus vor. Er kann nicht aufhören, Beweise zu sammeln. Irgendwas Neues gibt es immer, eine Aktennotiz, einen Vermerk. Es wirkt, als sei Bernd Breuer in einem komplizierten Computerspiel gefangen.

Bernhard Kempen ist Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Professor für Völkerrecht an der Uni Köln und Rechtsanwalt, ein echtes Kaliber in der Branche. Er hat sich durch Breuers 45 Leitz-Ordner dicke Prozessgeschichte gelesen. Sein Urteil ist eindeutig: „Die Gewaltenteilung, die ich tagsüber meinen Studenten predige, war im Fall Breuer ganz offenbar nicht gegeben. Es ist eine Heidenschweinerei.“

Als Direktor der Rechtswissenschaftlichen Fakultät hat er vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Beschwerde erhoben. Er sieht hier das Grundrecht auf ein unparteiisches Gericht und ein faires Verfahren verletzt. Es geht eigentlich nur noch um eine Sache: dass Breuers Vertrag mit der Treuhand von Anfang an ungültig war und ihm Berlins Gerichte in der Sache kein faires Verfahren ermöglicht haben. Um staubtrockene notarielle Feinheiten geht es. Etwa, dass die Inventarlisten bei der Beglaubigung des Vertrags vom Notar nicht verlesen wurden. Doch nur so wird ein Vertrag gültig. „Das lernt ein Jurastudent im ersten Semester“, sagt Kempen. Das Berliner Kammergericht hat diesen Grundsatz ignoriert. Mal weigert es sich, die Frage der Gültigkeit des Kaufvertrages im Gerichtssaal überhaupt zu erörtern, mal wird das Gutachten des Vorsitzenden der Deutschen Notarrechtlichen Vereinigung, Rainer Kanzleiter, ignoriert, mal eine Verhandlung nach zehn Minuten abgebrochen, mal verschwinden Akten.

„HERR BREUER, VERGESSEN SIE ES“

Breuer trägt seine Klage bis zum Bundesgerichtshof. Und siehe da, sobald er Berliner Boden verlässt, sieht die Welt juristisch ganz anders aus. Die Karlsruher Richter kippen das Urteil des Kammergerichts. Sie bestätigen, dass Breuers Vertrag mit der Treuhand ungültig sein könnte, und verweisen den Fall zurück. Breuer wähnt sich erstmals kurz vorm Ziel. Vier Wochen vor der Verhandlung nimmt ihn ein ehemaliger Mitarbeiter der Treuhand nach dem Versuch eines Vergleichsgesprächs zur Seite und sagt: „Herr Breuer, vergessen Sie es, gegen die Bundesrepublik werden Sie nie gewinnen.“ Direkt danach bestätigt das Kammergericht sein altes Urteil. Der Vertrag ist gültig.

Derselbe Vorsitzende Richter, dieselbe Beisitzerin, derselbe Beisitzer. Ein Rechtsgespräch wird verweigert, die mündliche Verhandlung überraschend und ohne Beweisaufnahme beendet. „Der Senat hat keinen Anlass, die Sache nochmals zu erörtern“, erklärt der Vorsitzende Richter in der Verhandlung. „Es ist mir unbegreiflich, dass die nicht anerkennen, dass der Vertrag absolut nichtig ist. Das riecht stark nach politischem Einfluss“, sagt Professor Kempen.

Man würde die Richter gern fragen, warum sie in der Verhandlung sogar Urteile aus Nebenverfahren, die ebenfalls außerhalb Berlins geführt wurden und den Kaufvertrag auch als nichtig ausweisen, ignorierten, aber das Kammergericht schweigt. Also fragt man die Treuhand-Nachfolgerin BvS, wie sie zu dem Kaufvertrag stehe. „Das haben die Gerichte entschieden“, sagt ein Mitarbeiter. Man fragt das Bundesfinanzministerium: „Damit waren die Gerichte befasst und haben eine Entscheidung gefällt“, sagt eine Mitarbeiterin. Es ist, als drückte man in Berlin mit aller Gewalt die Bodenplatte zu, unter der die Wahrheit liegt. Für Kempen reicht der Fall über Breuer, Potsdam und die Treuhand hinaus: „Das hier geht uns alle an. Wie sollen wir denn noch ruhig schlafen, wenn die Politik möglicherweise auf die Gerichte einwirkt?“ Kempen schüttelt den Kopf. „Und ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass so etwas in diesem Land Methode hat.“

KANN DAS WIRKLICH WAHR SEIN?

Der Frankfurter Unternehmer Bernd Lunkewitz hat all das genauso erlebt. 1991 kaufte er von der Treuhand den Aufbau-Verlag. Obwohl die ihn gar nicht hätte verkaufen dürfen, denn der Verlag war nie volkseigener Betrieb. Sie tat es dennoch, obwohl sie es besser wusste. Das bestätigte 2008 nach vielen verlorenen Prozessen an Berlins Gerichten der Bundesgerichtshof. Seitdem klagen Lunkewitz und seine Firmen gegen den Bund auf Schadensersatz in Höhe von 183 Millionen Euro. Er hatte den Verlag mehrmals erwerben müssen und einen zweistelligen Millionenbetrag investiert, zudem geht es um Lizenzfragen. In den ersten zwei Instanzen in Berlin hat er verloren. Nun ist er erneut vor den Bundesgerichtshof gezogen. Er hält die Berliner Gerichte in Sachen Treuhandanstalt für befangen. „Es gibt an dieser Stelle keine Unabhängigkeit der Justiz, das ist einer der größten Skandale in der Geschichte der Bundesrepublik.“

Breuer entscheidet sich 2008, einen anderen Weg zu versuchen: Er ruft den Bundestag an. „Trotz allem hab isch ja immer noch an den Staat jeglaubt.“ Er reicht eine Petition ein. Er will, dass endlich jemand anerkennt, „dass die Treuhandanstalt bei Abschluss des Kaufvertrages die Maximum arglistig getäuscht hat“, wie es in seinem Antrag heißt. Breuer spricht mit Siegfried Kauder, dem Bruder des Unionsfraktionsvorsitzenden Volker Kauder. „Ich habe sofort gemerkt, dass da etwas faul ist“, sagt Kauder. Er sitzt im Büro des Vorsitzenden des Petitionsausschusses der CDU/CSU-Fraktion, Günter Baumann, und erzählt, wie er rasch „sehr tief eingestiegen“ sei in den Fall. 20 000 Petitionen werden pro Jahr eingereicht, aber diese elektrisiert ihn. Er recherchiert, liest Urteile und Klageschriften, holt Stellungnahmen des Finanzministeriums ein. Mit seinem Kollegen Baumann organisiert er zwei Ortstermine in Potsdam. Die beiden formulieren schon im August 2009 eine erste Beschlussempfehlung: Angesichts der Nachforschungen „kann sich der Petitionsausschuss der Auffassung des Bundesfinanzministeriums nicht anschließen, es habe keine Aufklärungspflicht der Verkäuferin bestanden. Er empfiehlt daher, die Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen.“ Das würde diese nicht verpflichten, Breuer sofort zu entschädigen, aber sie müsste sich immerhin mit dem Fall beschäftigen. Es ist das stärkstmögliche Votum, der Ausschuss erkennt an, dass „das Anliegen des Petenten begründet und Abhilfe notwendig ist“. So steht es in den Verfahrensgrundsätzen. Breuer sieht sich seinem Ziel zum zweiten Mal ein großes Stück näher.

VON HÖCHSTER STELLE ZURÜCKGEPFIFFEN

Am 16. Juni 2010 kommt der Petitionsausschuss letztmals in der Sache zusammen – und lehnt die Petition völlig überraschend ab. Kauder und Baumann versuchen zu erklären, wie es dazu kommen konnte. Irgendwer hat handschriftlich über den positiven Entscheid ein neues Votum geschrieben: „Das Petitionsverfahren abzuschließen“. Baumann sagt, „das ist nichts Unübliches“, Petitionen würden oft noch kurz vor Schluss geändert. Kauder windet sich ein wenig, macht lange Pausen. Man merkt ihm an, dass das kein angenehmes Gespräch für ihn ist. „Ich wollte keine Geschichtsaufarbeitung machen“, sagt er entschuldigend. Daher habe er sich letztlich gegen die Petition entschieden. Das habe man auch den Unionsmitgliedern des Ausschusses am Vorabend der Entscheidung mitgeteilt. Doch das stimmt nicht.

Ein Mitglied, das namentlich nicht genannt werden will, sagt dem ZEITmagazin : „In dieser Sitzung hieß es eindeutig, wir überweisen die Petition an die Bundesregierung, so machen wir das. Und am nächsten Morgen lag dann eine Beschlussvorlage vor, die genau das Gegenteil vorsah.“ Das Mitglied wunderte sich und wollte die Gründe für die plötzliche Kehrtwende wissen. Aber keiner gab eine Antwort. Fragt man Baumann und Kauder danach, reagieren sie unwirsch. Man wittere einen Skandal, der nicht da sei, die Aussage jenes Mitglieds sei schlichtweg eine Lüge.

Willi Zylajew, Bundestagsabgeordneter der CDU, hat noch Seltsameres erlebt. Er war es, der Breuers Anliegen im Petitionsausschuss publik machte und diesem „ständig mit seinen Nachfragen auf die Nerven ging“, wie Baumann sagt. Zylajew nervte auch weiter, als die Petition abgeschmettert wurde – offenbar zu stark. Er sei von höchster Stelle zurückgepfiffen worden. Das jedenfalls hat Zylajew Bernd Breuer und seinem Anwalt Bernhard Kempen unabhängig voneinander erzählt. Auf einer Busfahrt habe demnach Ronald Pofalla, Chef des Kanzleramts, Zylajew mit Verweis auf seine Karriere aufgefordert, die Treuhand-Sache ruhen zu lassen. Auf Nachfrage des ZEITmagazins sagt Zylajew in seinem Büro: „Ich weiß nicht, was Sie damit meinen. Ich bin von einem Parteifreund wohlwollend auf die Konsequenzen meines Engagements hingewiesen worden.“ Pofalla lässt auf Nachfrage – so wie schon Matthias Platzeck in Bezug auf Breuer – mitteilen, er könne sich an ein solches Gespräch nicht erinnern.

DIE LETZTE POINTE

Zylajew hat die ihm angedeuteten Konsequenzen dennoch recherchiert. Aus „gut informierten Kreisen“ erfuhr er, dass sich – bekäme Breuer doch noch recht – der Rückabwicklungsschaden für den Staat auf mehr als zwei Milliarden Euro belaufen könnte. Das Finanzministerium bestätigt die Zahlen nicht. Es wäre die letzte Pointe einer Geschichte, die im Oktober 1990 mit einem Satz des damaligen Präsidenten der Treuhand, Detlev Karsten Rohwedder, über das Vermögen der DDR begonnen hatte: „Der ganze Salat ist 600 Milliarden Mark wert.“ Vier Jahre später hinterließ die Treuhand einen Salat von rund 260 Milliarden Mark Schulden. Schulden, die bis heute nicht getilgt sind. Dass die Bundesregierung nicht übermäßig an Aufklärung in der Causa Treuhand interessiert zu sein scheint, zeigt auch eine Kleine Anfrage der Linksfraktion des Bundestags. Auf die Frage, wie viele Verfahren gegen die Treuhandanstalt wegen Beurkundungsmängeln geführt werden und wurden, heißt es lapidar: „Schätzungen gehen von unter 10 Vorgängen aus.“ Das ist, vorsichtig gesagt, schlecht geschätzt. Allein Breuer hat sechs Verfahren aus diesem Grund geführt, Bernd Lunkewitz mehr als 20. Insgesamt wurden im Namen der Treuhand und ihrer Rechtsnachfolgerinnen rund 150 000 Privatisierungsverträge abgeschlossen, es gab mehr als 23000 Gerichtsverfahren. „Dass dieser Klagegrund nicht häufiger vorlag, ist mehr als unglaubwürdig“, sagt Lunkewitz.

Der Himmel über Bernd Breuer und Potsdam zeigt sich in eindrucksvollen Vorgewitterfarben. Graublaue Wolken, durch die helle Lichtstrahlen schneiden. Breuer liegt wieder auf der Rückbank seines Wagens, er ist auf dem Weg zum Flughafen, zurück nach Köln. In Potsdam kann er jetzt nichts mehr ausrichten.

Kerstin Kohlenberg, Daniel Müller

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