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Ein Eine junge Frau im Zimmer eines Frauenhauses (Symbolbild). 

© dpa/Peter Steffen

Polizeiliche Kriminalstatistik: Mehr häusliche Gewalt in der Krise

Brandenburgs Polizei hat im ersten Pandemiejahr mehr Straftaten verzeichnet. Frauenhäuser fordern im Vorfeld des internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen eine sichere Finanzierung.

Potsdam - Im ersten Corona-Jahr hat die Polizei deutlich mehr Fälle von häuslicher Gewalt registriert. Das geht aus Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik für 2020 hervor, die das Autonome Frauenzentrum Potsdam am Montag bekanntgab. Insgesamt sind in Brandenburg 2020 demnach 5235 Straftaten im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt von der Polizei registriert worden, ein Plus um 19,8 Prozent oder 864 Fälle im Vergleich zum Jahr davor. Die Tatverdächtigen waren in drei von vier Fällen Männer. 

Die Kriminalitätshäufigkeitszahl – die Zahl der bekannt gewordenen Fälle bezogen auf 100.000 Einwohner – lag landesweit bei 208, nach 174 im Jahr davor. In Potsdam war die Zunahme sogar noch etwas deutlicher: Die zuständige Polizeiinspektion registrierte 516 Fälle, das sind 22,3 Prozent oder 94 Fälle mehr als 2019. Bezogen auf die Einwohner liegt die Landeshauptstadt bei häuslicher Gewalt mit einer Kriminalitätshäufigkeitszahl von 178 aber noch unter dem Landesschnitt. Bei diesen Zahlen handele es sich nur um das „Hellfeld“, betont Heiderose Gerber, die Geschäftsführerin des Autonomen Frauenzentrums. Von einer Dunkelziffer ist auszugehen.

Heiderose Gerber, die Geschäftsführerin des Autonomen Frauenzentrums.
Heiderose Gerber, die Geschäftsführerin des Autonomen Frauenzentrums.

© Ottmar Winter PNN

Netzwerk drängt auf gesicherte Finanzierung der Frauenhäuser

Im Vorfeld des internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen an diesem Donnerstag drängt das Netzwerk Brandenburgischer Frauenhäuser e.V. auf eine gesicherte Finanzierung der Frauenhäuser und Beratungseinrichtungen im Land. Bislang müssen die finanziellen Mittel in den insgesamt 24 Einrichtungen jedes Jahr neu beantragt werden. Das erschwere die Anwerbung von Fachkräften, erklärte Stefanie Streit vom Netzwerk am Montag vor der Presse. 

Stefanie Streit.
Stefanie Streit.

© Ottmar Winter

Untertarifliche Bezahlung an vielen Orten und die Unsicherheit für die Einrichtungen, die lediglich als „freiwillige Aufgabe“ vom Land und Kommunen mitfinanziert werden, machten es schon jetzt schwierig, freiwerdende Stellen noch nachzubesetzen. Das ist angesichts der Pensionierung mehrerer Kolleginnen aber verstärkt nötig. „Wenn es so weitergeht, werden in Brandenburg in den nächsten Jahren Häuser schließen müssen“, warnte Laura Kapp vom Netzwerk. Sie schätzt, dass das jede dritte Einrichtung betreffen könnte.

Familienplätze in Frauenhäusern ausbauen

Das Netzwerk drängt zudem darauf, die Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen umzusetzen, die Deutschland vor vier Jahren unterzeichnet hat. Darin vorgesehen sei unter anderem je 10.000 Einwohner ein Familienplatz in einer Schutzeinrichtung: Für Brandenburg würde das 252 Familienplätze in Frauenhäusern bedeuten – tatsächlich vorhanden seien aber nur 127, so Stefanie Streit. Zu diesem Ergebnis kam auch ein im Auftrag des Landessozialministeriums erarbeitetes und in diesem Jahr vorgelegtes Gutachten zur Weiterentwicklung des Landesaktionsplanes von Gewalt gegen Frauen.

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Wichtig seien auch feste Ansprechpartner bei Ämtern und Behörden wie zum Beispiel bei Jobcentern, Jugendämtern oder Ausländerbehörden, die mit den besonderen Anforderungen für Frauen aus gewalttätigen Beziehungen vertraut sind, erklärte Stefanie Streit. Momentan funktioniere das zwar in einigen Orten im Land gut, aber nur wegen persönlichen Engagements: „Das steht und fällt mit einzelnen Personen“, sagt Streit.

Hoffen auf ein Zeichen der Ampel-Koalitionäre

Die Frauenhäuser hoffen indes auf ein Zeichen der Ampel-Koalitionäre auf Bundesebene. Man erwarte mit Spannung, ob die neue Regierung für Frauen einen Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Schutzeinrichtung vorsieht, sagte Heiderose Gerber. Auch wenn damit noch kein Modus zur Finanzierung verbunden wäre, würde das die Arbeit der Frauenhäuser – insbesondere angesichts des Corona-Sparkurses an vielen Stellen – auf sicherere Füße stellen. Laura Kapp zeigte sich auch optimistisch: In der Coronakrise sei es gesellschaftlich und politisch Konsens geworden, dass häusliche Gewalt nicht Privatsache sei, sondern ein gesellschaftliches Problem, das strukturell angegangen werden müsse: „Das ist eine Chance.“

Corona sei für die Arbeit in den Häusern eine besondere Herausforderung, berichtete Lili Schipurow vom Potsdamer Frauenhaus. Im ersten Lockdown 2020 seien die Anfragen zunächst sogar zurückgegangen. Betroffenen Frauen sei dadurch, dass die Männer nun rund um die Uhr zuhause sowie Kinder zu betreuen waren, kaum Spielräume, die Beratung überhaupt aufzusuchen. Zudem seien die Betroffenen oft nicht mit entsprechender Technik ausgestattet, um digitale Angebote nutzen zu können. 

Lili Schipurow vom Potsdamer Frauenhaus.
Lili Schipurow vom Potsdamer Frauenhaus.

© Ottmar Winter

Auch die Angst, sich in einer Gemeinschaftseinrichtung mit dem Coronavirus anzustecken, mag eine Rolle gespielt haben. In Potsdam, wo im Frauenhaus in vier Wohnungen Platz für zwölf Frauen und ihre Kinder ist, habe man bei Covid-Fällen dank der guten Zusammenarbeit mit der Stadt immer eine alternative Unterbringung gefunden, betonte Schipurow.

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