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Pogromgedenken in Potsdam: Leise Hoffnung auf andere Zeiten

Kurz vor seiner Deportation 1942 schrieb der jüdische Rechtsanwalt Gustav Herzfeld einen berührenden Brief an Eva und Karl Foerster. Zum Gedenken an die Opfer der Pogromnacht in Potsdam wurde am Samstag erstmals daraus vorgelesen.

Von Peer Straube

Es sind bewegende Worte, geschrieben im Angesicht des nahenden Todes. „Sie werden schon gehört haben, dass ich am Sonnabend den 3. Oktober nach Theresienstadt abgeschoben werde“, beginnt der Brief, und weiter heißt es: „Ich ziehe dorthin voller Gemütsruhe und seelischer Gelassenheit; denn ich betrachte meine Verschickung als höheren Auftrag, mich meiner wenigen gesunden Schicksalsgenossen und auch später in Th. anzunehmen, sie aufzurichten u. zu trösten.“ Die Zeilen stammen von dem jüdischen Juristen Gustav Herzfeld aus Potsdam, er schrieb sie am 29. September 1942 an den berühmten Staudenzüchter Karl Foerster und seine Frau Eva in Bornim. Herzfeld berichtet darin in berührender Weise, doch mit scheinbar großer Gelassenheit von seiner bevorstehenden Deportation ins Ghetto Theresienstadt. Kaum vier Wochen später starb er dort.

Eines der wenigen authentischen Zeitdokumente

Bei dem Brief handele es sich um eines der wenigen persönlichen Textdokumente aus der Nazizeit, die von damals in Potsdam lebenden Juden stammten und die Zeiten überdauert hätten, sagt Tobias Büloff, der im städtischen Fachbereich Kultur und Museum für Erinnerungskultur und Gedenken zuständig ist. Im Zuge der Recherchen für die Verlegung eines Stolpersteins für Gustav Herzfeld im Jahr 2017 sei eine Kopie des Briefs ins Rathaus gelangt, sagt Büloff. Das Original befindet sich bei einer Nachfahrin des Urhebers in Freiburg.
Bislang unveröffentlicht, wurden am Samstag bei einer Gedenkveranstaltung zum 81. Jahrestag der sogenannten Reichspogromnacht erstmals Abschnitte aus Herzfelds Brief am Standort der geplanten neuen Synagoge in der Schloßstraße verlesen – vom langjährigen PNN-Kulturchef Klaus Büstrin.
Auch Büstrin befand sich im Besitz einer Kopie des Briefs, die er nach eigenen Angaben zu Beginn der 1990er-Jahre noch von Eva Foerster, die er gut kannte, persönlich erhalten hatte. Während die meisten Dokumente des Staudenzüchters, der in Potsdam vor allem wegen der Gestaltung der Freundschaftsinsel bekannt ist, in der Staatsbibliothek Unter den Linden in Berlin landeten, habe ihm Eva Foerster einige Originalpapiere überlassen, unter die offenbar auch besagte Kopie von Herzfelds Brief gerutscht war. 

Klaus Büstrin liest am Standort der künftigen Synagoge in Potsdam aus dem Brief von Gustav Herzfeld.
Klaus Büstrin liest am Standort der künftigen Synagoge in Potsdam aus dem Brief von Gustav Herzfeld.

© Andreas Klaer

Das Ehepaar Foerster sei mit Herzfeld gut bekannt und befreundet gewesen, sagt Büstrin. Die Wohnhäuser lagen nur wenige Gehminuten auseinander, zudem habe Karl Foerster gern den geistigen Austausch mit Potsdamer Intellektuellen gepflegt. Auch wenn weder Büstrin noch Büloff Details wissen, müssen die Foersters dem wegen seiner jüdischen Abstammung in der Nazidiktatur immer stärker isolierten und schikanierten Juristen Herzfeld doch vielfach geholfen haben, wie aus dem Brief hervorgeht: „Ich habe aber die leise Hoffnung, daß die Zeiten sich ändern können, und daß mir noch einmal die Freiheit und damit die Möglichkeit geschenkt wird, Sie beide wiederzusehen und Ihnen mündlich den tiefen Dank auszusprechen, den ich Ihnen schulde.“ Es sind Passagen wie diese, die Büstrin besonders tief berühren. „Obwohl er innerlich wohl wusste, dass er Theresienstadt nicht überleben wird, schwingt in dem Schreiben die Hoffnung mit, dass es anders sein könnte“, sagt er. Der Inhalt des Briefs sei „erschütternd, wenn man die Hintergründe kennt“, sagt Büstrin.

Herzfeld, geboren 1861 in New York als Spross einer deutschstämmmigen Bankiersfamilie, führte zunächst ein Leben im Wohlstand. 1903 zog er mit seiner Familie nach Potsdam und ließ die nach ihm benannte Villa in der heutigen Geschwister-Scholl-Straße 54 errichten. Im Ersten Weltkrieg traf ihn ein erster schwerer Schicksalsschlag, als sein Sohn fiel. Wohl als eine Folge nahm sich seine Frau nur wenige Jahre später das Leben, Herzfeld siedelte nach Bornim über, in die Nachbarschaft der Foersters. 1938 erhielt er als Rechtsanwalt Berusfverbot, 1942 wurde er zwangsweise ins sogenannte jüdische Altenheim in Babelsberg eingewiesen. Dort unternahm der mittlerweile 81-Jährige einen Selbstmordversuch, allerdings gelang es den Ärzten im St.-Josefs-Krankenhaus, Herzfeld gesund zu pflegen.

Der Brief ist leise, still, intim

In dieser Stimmung und im Bewusstsein der bevorstehenden Deportation nach Theresienstadt schrieb Herzfeld seinen Brief. „Sollte es dort allzuschlimm sein, weiß ich ja, was ich zu tun habe“, heißt es an einer Stelle. Ob sich Herzfeld womöglich im Ghetto selbst das Leben nahm, wird wohl im Dunkeln bleiben. Sein Todesdatum wird mit dem 27. Oktober 1942 angegeben, die Todesursache steht nicht fest. Auch von den anderen Deportierten des Babelsberger Altenheims überlebte niemand den Krieg. Der Brief schließt mit guten Wünschen für die Foersters und einem Dank: „Welche unendliche Freude Ihre Kuchen in unserem Heim erregt haben, können Sie sich nicht vorstellen.“ Dieser leise, stille, intime Tonfall des Briefs bewegt Büstrin bei jedem Lesen aufs Neue. Ebenso wie Herzfelds Gabe, bei all dem eigenen Leid doch zuerst an andere zu denken. Sie spricht aus vielen Zeilen seines Briefs – und auch aus einem Gedicht, mit dem er endet: „Dies will ich mir schreiben in Herz und Sinn, Daß ich nicht für mich auf Erden bin, Daß ich die Liebe, von der ich leb’, Liebend an Andere weitergeb.“

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