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Direktkandidat Norbert Müller (Die Linke) diskutiert mit potentiellen Wählern. 

© Sebastian Gabsch PNN

PNN-Wahl-Serie | Die Linke-Direktkandidat Norbert Müller: Der rote Radler

Die PNN begleiten sechs Potsdamer Direktkandidatinnen und -kandidaten bei einem Wahlkampftermin vor Ort. Heute: Norbert Müller (Linke) am Platz der Einheit.

Potsdam - Für 15 Uhr ist der Wahlkampfstand der Linken angekündigt. Um 15.02 Uhr radeln drei Genossen zum Platz der Einheit, parken das rot lackierte Lastenrad. In wenigen Minuten stecken sie einige Teile zusammen, ein roter Schirm, Flyer und Gummibärchen, fertig ist der Wahlstand. Ein Mann mit langem, grauem Haar kommt zielgerichtet zum Tisch, er möchte einen Kugelschreiber. 

"Die von der Linke schreiben am besten", sagt er, steckt den Stift ein und geht wieder. Ein Faltblatt will er nicht. Ein älteres Pärchen bleibt stehen, fragt nach Norbert Müller, dem linken Direktkandidaten in Wahlkreis 61. Der ist noch nicht da. "Macht nichts, dann gehen wir erstmal Eis essen", sagt der Herr. 

"Ach, Sie sind mein Kandidat"

Auch der Kandidat kommt mit dem Rad, schnappt sich einen Stapel Flyer und spricht Wartende an der Tramhaltestelle an. "Darf ich Ihnen etwas zur Bundestagswahl mitgeben?" Die meisten nehmen an, danken, steigen in die Bahn. Kaum einer scheint zu bemerken, dass der Mann vor ihnen steht, dessen Gesicht auch auf den Flyer gedruckt ist. 

"Ach, Sie sind mein Kandidat, ich wähl Sie. Aber Sie sehen ja ganz anders aus als auf den Plakaten", sagt eine Frau, die sich selbst als "arme Rentnerin" bezeichnet. Manche lehnen ab, als Müller sie anspricht. "Ich wähle eh was anderes", kommt von einer jungen Frau. "Wir kommen nicht von hier", sagt eine Frau. Ein Touristenpaar aus Belgien, Norbert Müller erklärt den beiden den Weg zum Schloss Sanssouci. 

Die meisten Passanten laufen am Stand vorbei, ohne ihm Beachtung zu schenken, sie wollen zur Tram, zum Einkaufen oder kommen von der Arbeit. Dann kommen zwei junge Männer mit sorgfältig gepflegten Bärten zu Müller. "Mit wem würden Sie eine Koalition machen?", will einer der beiden wissen. Die drei fangen an zu diskutieren, mehr als eine halbe Stunde dauert das Gespräch, es geht um Sicherheit, Löhne, Verkehr. 

Einer der Männer erzählt, er sei Polizist, wohne in Fahrland und arbeite in Berlin-Moabit. "Wenn ich um Mitternacht Feierabend habe, komme ich kaum nach Hause." "Dann muss der öffentliche Nahverkehr besser werden", sagt Norbert Müller, der selbst mit Frau und Söhnen in Fahrland lebt. 

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Die potentiellen Wähler und der Kandidat sind nicht immer einer Meinung, aber eines wird offensichtlich: Müllers Begeisterung für die Debatte. Der 35-Jährige mit Ringelshirt und Schiebermütze argumentiert, spricht locker und mit Witz, streut persönliche Erfahrungen ein, zeigt immer wieder sein Fachwissen und seine Ortskenntnis. 

Olaf Scholz als "Phantom"

Angesprochen auf den Promiwahlkreis mit den beiden Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) reagiert Müller dagegen leicht genervt. "Warum fragen Journalisten immer zuerst danach und nie nach mir?" Klar, die bundesweite Aufmerksamkeit für den Wahlkreis habe auch Vorteile. Er wirft einen Seitenblick zu dem Journalisten des Spiegel, der neben ihm steht. Auch er ist zum Wahlkampfstand gekommen und gibt zu, ohne die beiden Direktkandidaten, die ins Kanzleramt streben, wäre er nicht da. 

"Dabei war vor allem Scholz hier lange ein Phantom", sagt Müller. "Der reist wie ein Tourist hier ein. Ich hätte es ehrlicher gefunden, wenn die SPD hier einen anderen Kandidaten aufgestellt hätte." Noch dazu habe er viele lokale Termine erst zu- und dann in letzter Minute abgesagt. 

Von Annalena Baerbock spricht Müller mit Respekt, lobt ihr Engagement etwa für Geflüchtete in Potsdam. An Olaf Scholz lässt er kein gutes Haar. Er könne nicht verstehen, warum die Affären um Cum Ex und Wirecard dem Kanzlerkandidaten nicht geschadet hätten. Prognosen sehen Scholz auch im Wahlkreis recht deutlich vorne. 

"Kreativität und Fleiß"

Bleibt Müller optimistisch? "Unsere aktuelle Position ist natürlich nicht so komfortabel", sagt er. "Aber wir geben nicht auf und bringen alles auf die Straße, war wir haben." Mit Kreativität und Fleiß könne man vieles ausgleichen, glaubt er. Etwa durch Formate wie den offenen Probenraum auf dem Platz der Einheit, ein Event, bei dem Bands öffentlich proben, um auf den Mangel an Räumen in der Stadt aufmerksam zu machen. Oder die Wahlzeitung mit 100.000er Auflage, die die Parteimitglieder in die Briefkästen steckten. Oder durch Pendlerwahlkampf frühmorgens an Bahnhöfen. Oder durch das Bürgerbegehren für einen Mietendeckel bei der kommunalen Pro Potsdam, für das am Wahlstand Unterschriften gesammelt werden. 

Als Norbert Müller vom Wahlkampf berichtet, erzählt er auch von den vielen, eng getakteten Podiumsdiskussionen. Bei einer Debatte habe jeder Kandidat einen persönlichen Gegenstand mitbringen sollen. Olaf Scholz habe eine Aktentasche mitgebracht, sagt Müller und verdreht die Augen. Und er selbst? "Eine rote Socke." 

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