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Als Gregory nach Potsdam kam, dachte er, der Unterricht wäre auf Englisch – und war entsetzt, dass er erstmal Deutsch lernen musste.Doch Willkommenslehrerin Kerstin Richter half ihm dabei. „Sie ist eine coole Lehrerin“, sagt Gregory heute.

© Andreas Klaer

PNN-Serie: Was aus den Willkommensschülern wurde: „Ich wollte mich verständlich machen“

Über die Willkommensschüler der Da-Vinci-Gesamtschule haben die PNN oft berichtet. Nun wollten wir wissen, wie es für sie weiterging und haben einige aufgespürt. Heute: Gregory Ohwerhi.

Von Katharina Wiechers

Potsdam - Vor allem eines ist Gregory von seiner Ankunft in Deutschland im Gedächtnis geblieben: Der Geruch. Es war der 24. Dezember 2013, als er mit dem Flugzeug aus Nigeria anreiste. „Ich erinnere mich noch an den Duft der Winterluft“, sagt er. „Und ich habe mich gewundert, wo die Blätter sind.“ Bäume, die im Winter kahl werden, kannte er aus seiner westafrikanischen Heimat nicht. Und auch sonst war vieles fremd für Gregory.

Sein Vater hatte ihm damals angeboten, zu ihm nach Potsdam zu kommen – wo er schon seit vielen Jahren lebte. Gregory sagte zu, obwohl er seinen Vater, einen Krankenpfleger, der mit einer Deutschen verheiratet ist, kaum kannte und selbst kein Wort Deutsch sprach. „Ich habe meinen Vater zum ersten Mal gesehen, als ich zehn oder elf Jahre alt war“, sagt der heute 20-Jährige. „Er ist nach Deutschland gegangen, als ich im Bauch meiner Mutter war.“ Später besuchte er Gregory und seine Geschwister in Nigeria, wenn auch sehr selten.

"Ich dachte, der Unterricht wäre auf Englisch"

Gregorys erster Schultag in Potsdam war der 7. Januar 2014, auch daran kann er sich noch gut erinnern. Mit seinem Vater und seiner Stiefmutter kam er zur Da-Vinci-Gesamtschule, damals noch in der Haeckelstraße in Potsdam-West. Dort erfuhr er, dass er wie alle neuen Schüler ohne Deutschkenntnisse zunächst in die Willkommensklasse gehen sollte – eine große Enttäuschung für den zielstrebigen Jugendlichen. „Ich dachte, der Unterricht ist auf Englisch und ich kann sofort loslegen“, erinnert er sich. In Nigeria, wo die Amtssprache Englisch ist, wäre er bald auf die Universität gegangen, doch hier sollte er jetzt erstmal Deutsch lernen und dann in der neunten Klasse weitermachen. „Das war schlimm für mich.“

Gregory Ohwehri (2. v.l.) mit seiner Tanzgruppe in seiner Heimat Nigeria.
Gregory Ohwehri (2. v.l.) mit seiner Tanzgruppe in seiner Heimat Nigeria.

© privat

Aber Gregory ist geblieben und hat es „durchgezogen“ – ein Wort, das er oft benutzt. In der Willkommensklasse lernte er schnell, obwohl er keinerlei Vorkenntnisse hatte. Die einzige Vorbereitung auf sein neues Leben in Potsdam habe darin bestanden, sein Handy auf Deutsch zu stellen, wie er sagt. „Sonst hatte ich mit der Sprache nichts zu tun.“ Aber das Lernen mit seiner Lehrerin Kerstin Richter und den „Willis“ machte ihm Spaß, auch deutlich mehr als der Französisch-Unterricht in der nigerianischen Heimat. „Der Unterschied war, dass ich die Sprache hier direkt anwenden konnte“, sagt Gregory. Und er hatte auch den Drang, sich verständlich zu machen – zum Beispiel auf dem Fußballplatz. „Nach zwei Wochen bin ich zu Fortuna Babelsberg gegangen, das war eine weitere Motivation, Deutsch zu lernen. Ich wollte mich auf dem Spielfeld verständigen können und nicht nur mit Händen und Füßen kommunizieren.“ Auch seine Stiefmutter half ihm mit der Sprache. Nach einigen Monaten wechselten sie auch zu Hause von Englisch auf Deutsch. An manchen Worten verzweifelte er aber auch, zum Beispiel an „Kuchen“, sagt er lachend. Warum gerade dieses Wort so schwierig für ihn war, kann er heute auch nicht mehr erklären – längst kommt ihm das Deutsche flüssig von den Lippen, sogar ein leichter brandenburgischer Einschlag ist zu erkennen.

Youtube-Videos über Ersten und Zweiten Weltkrieg

Nach einem halben Jahr Willkommensklasse konnte Gregory 2014 nach den Sommerferien in die reguläre neunte Klasse wechseln. Der Anfang war schwer, vor allem in Deutsch und Geschichte. „Manchmal hatte ich keinen Schimmer, worum es ging“, gibt er zu. Vieles schaute Gregory zu Hause noch einmal nach, sah sich zum Beispiel Youtube-Videos über den Ersten und Zweiten Weltkrieg an. „In Mathe und Physik hatte ich weniger Probleme, die Fachausdrücke sind ja ähnlich wie im Englischen.“

Die neuen Mitschüler hätten ihn gut aufgenommen, sagt Gregory. „Sie waren alle sehr nett zu mir, eigentlich wie eine große Familie. In manchen anderen Klassen gibt es Grüppchenbildung, aber nicht bei uns“, berichtet er stolz. Dennoch dauerte es anfangs eine Zeit, bis er enge Freundschaften schloss – mittlerweile hat Gregory aber einen großen Freundeskreis, wie er sagt. Mit seinem besten Kumpel Lukas teilt er sogar den Schulweg: Morgens fahren sie gemeinsam vom Stern an die Da-Vinci-Schule, die mittlerweile im Bornstedter Feld ist, nachmittags zusammen wieder zurück.

Gregory steht vor dem Abitur

Probleme mit Rassismus hat der dunkelhäutige Junge bislang nicht gehabt – zumindest sagt er das. „Ich mache mir darüber nicht so viele Gedanken“, sagt er. „Sonst bekommt man irgendwann Panik und bewertet alles in diese Richtung, zum Beispiel eine Polizeikontrolle. Irgendwann traut man sich dann gar nicht mehr rauszugehen.“

Mittlerweile ist Gregory in der zwölften Klasse, im Mai steht das Abitur an. Als Leistungsfächer hat er Mathematik, Englisch und Informatik gewählt. „Ich habe gute Noten“, sagt er auf Nachfrage. Ob er als Streber gilt? Er winkt ab. „Jeder strebt doch nach irgendwas, ich eben nach guten Noten.“ Um diese auch in den Abiturprüfungen zu erreichen, will er mit Freunden eine Lerngruppe gründen. Das Fußballspielen muss dann erstmal ruhen, auch die Arbeitszeiten – er jobbt in einem Kino – hat er wegen des Abiturs heruntergefahren.

Natürlich hat er auch schon einen Plan, wie es nach dem Abi weitergehen soll: Er beginnt ein duales Studium in Berlin. Wirtschaftsinformatik soll es sein, parallel wird er bei einem IT-Unternehmen arbeiten. Dann ist er endlich da, wo er schon vor Jahren sein wollte, an der Hochschule. Und ganz bestimmt wird er es durchziehen.

Die nächste Folge erscheint am Donnerstag. Dann stellen wir Zeinab Hussein aus Syrien vor.

+++ Hintergrund: Über die Willkommensklassen

An 31 Potsdamer Schulen in öffentlicher Trägerschaft gibt es Willkommensklassen – die offiziell Vorbereitungsgruppen beziehungsweise Förderkurse heißen. Besucht werden sie laut Brandenburger Bildungsministerium im aktuellen Schuljahr von 997 Kindern und Jugendlichen, zumindest war dies am Stichtag, dem 20. August 2018, der Fall. Die altersgemischten Willkommensklassen sollen vor allem dazu dienen, Kindern aus dem Ausland erste Deutschkenntnisse beizubringen. Eingerichtet wurden sie, als 2015 die Zahl der Flüchtlinge stark anstieg. Doch nicht nur Kinder aus Syrien oder Afghanistan sitzen heute in den Potsdamer Willkommensklassen, auch Schüler aus Polen oder Indien. Von der ersten bis zur dritten Jahrgangsstufe besuchen sie in der Regel ein halbes Jahr lang die Willkommensklasse, ab der vierten Jahrgangsstufe ein Jahr lang. Dann wechseln die Kinder je nach Ankunftsdatum zum Halb- oder zum Schuljahr in die Regelklasse – was oft mit einigen Problemen verbunden ist. Die meisten Kinder haben zwar schon vor ihrer Ankunft in Deutschland in ihrer Heimat eine Schule besucht, viele müssen aber nicht nur Deutsch, sondern auch die lateinische Schrift lernen oder ganz allgemein mit dem deutschen Schulsystem vertraut gemacht werden.

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