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Am 1. Dezember 2017 wurde in Potsdam eine Paketbombe gefunden. Der Weihnachtsmarkt wurde gesperrt.

© Sebastian Gabsch

Paketbombe auf dem Weihnachtsmarkt: Wie die PNN über Ernstfälle berichten

Am 1. Dezember 2017 wurde in Potsdam eine Paketbombe gefunden, der Weihnachtsmarkt gesperrt.  Was tun wir, wenn eine Nachricht wie diese bei uns ankommt? Protokoll einer Berichterstattung.

Von Valerie Barsig

Potsdam - Das Telefon klingelt. Ein Leser ist dran. „Wissen Sie, dass der Weihnachtsmarkt gesperrt ist?“, fragt der Mann. Es ist Freitagnachmittag, der 1. Dezember 2017. Es ist der Tag, an dem in Potsdam eine Paketbombe gefunden wird.

Was tun wir, wenn eine Nachricht wie diese bei uns ankommt? Zum Internationalen Tag der Pressefreiheit am heutigen Freitag möchten wir von unserer Arbeit erzählen. Nicht, weil wir an diesem Tag die Pressefreiheit nicht ausüben konnten. Sondern damit Sie, liebe Leserinnen und Leser, anhand eines prägnanten Beispiels einen Blick hinter die Kulissen werfen können.

Ist an der Nachricht was dran?

An diesem 1. Dezember sind zwei Reporter in der Redaktion. Der Rest der Kollegen ist fest eingeplant am Newsdesk und ist mit Redigat und Seitenproduktion beschäftigt, außerdem sitzt ein Redakteur als Onlinedienst am Desk. Fotograf Sebastian Gabsch wird zum Weihnachtsmarkt in der Innenstadt geschickt – sozusagen als Vorhut. Denn erstmal müssen wir prüfen, ob an der Nachricht etwas dran ist. Kurze Zeit später brummt das Handy und Gabsch bestätigt uns, was der Leser bereits am Telefon gesagt hat: Die Polizei hat mehrere Bereiche des Weihnachtsmarktes abgesperrt. 

PNN-Reporter Henri Kramer machte sich auf den Weg.
PNN-Reporter Henri Kramer machte sich auf den Weg.

© Sebastian Gabsch

Also entscheidet die Redaktion: Ein Reporter muss raus, um sich vor Ort über die Lage zu informieren, Henri Kramer macht sich auf den Weg. Gleichzeitig versuchen die Kollegen in der Redaktion, die Pressestelle der Potsdamer Polizei zu erreichen, um sich den Vorfall bestätigen zu lassen und mehr zu erfahren. Doch dort ist niemand zu erreichen.

Jetzt muss es schnell gehen

Es muss jetzt schnell gehen: Die Potsdamer müssen wissen, was vor sich geht. Der Wert einer ersten, exklusiven Nachricht im Internet auf pnn.de ist hoch. Allerdings gilt: Sorgfalt geht vor Schnelligkeit. In der ersten Version der Online-Nachricht steht, was wir vom Anrufer und unserem Fotografen wissen: Es gibt einen Zwischenfall, die Brandenburger Straße ist gesperrt.

Mehr können wir zu diesem Zeitpunkt nicht veröffentlichen. Doch nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz ist die Sensibilität hoch, wir wissen aus Erfahrung: So viel Polizei ist nicht ohne Grund vor Ort. Doch so lange wir keine offiziellen Quellen befragen können, berichten wir nur: Es ist gesperrt. Und geben eine erste Meldung auf der Internetseite heraus, zudem in den sozialen Netzwerken Twitter und Facebook.

Berichten wir in einem Newsblog?

Wenig später meldet sich Fotograf Gabsch erneut: Er konnte mit einem der Polizisten vor Ort sprechen – der sagt, es bestehe Verdacht auf Sprengstoff in einem Paket. Damit hat uns eine offizielle Quelle den Grund für die Sperrung genannt und wir ergänzen unsere Meldung online. Inzwischen beraten die verbleibenden Redakteure das weitere Vorgehen: Berichten wir online in einem Newsblog? Wo schreiben wir in der Zeitung über den Vorfall? Wie viel Platz räumen wir dem ein? Denn noch sind andere Berichte auf den Seiten der Zeitung geplant und wir wissen wir nicht, ob es sich wirklich um eine Bombe handelt.

Statements des Polizeichefs Meyritz

Während sich die Redaktion zunächst entscheidet, das Geschehen für die Leser im Internet verfolgbar zu machen, trifft Kramer vor Ort ein. Die Polizei lässt den Leiter der Polizeidirektion West, Peter Meyritz, ein Statement abgeben, das Kramer mit dem Handy aufnimmt und an die Redaktion schickt. Gleichzeitig trudeln dort erste Fotos von Gabsch ein. Meyritz sagt, dass ein Paket mit Drähten an eine Apotheke an der Brandenburger Straße geliefert worden ist. 

1. Dezember 2017: Peter Meyritz, Leiter der Polizeidirektion West, Potsdams damaliger Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) und Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD, v.l.).
1. Dezember 2017: Peter Meyritz, Leiter der Polizeidirektion West, Potsdams damaliger Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) und Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD, v.l.).

© Sebastian Gabsch

Kramer steht nun an einem Absperrband an der Charlottenstraße und spricht mit Ladenbesitzern und Weihnachtsmarktbesuchern. In der Redaktion fließen seine Informationen in den Online-Newsblog ein und sind Basis für weitere Recherche. „Kann noch Stunden dauern“, schreibt Kramer gegen 16 Uhr. Gegen 17 Uhr meldet die Polizei bei Twitter: Der Sprengstoffverdacht hat sich bestätigt. In der Redaktion verfolgen wir in den sozialen Medien vor allem die Accounts von Polizei und Feuerwehr.

pnn.de ist zwischendurch nicht mehr erreichbar

Kurz danach ein Rückschlag: pnn.de ist nicht mehr erreichbar. Während die IT versucht, das Problem zu lösen, berichten wir weiter. Erstmal nur auf Twitter. Etwa eine halbe Stunde, dann läuft alles wieder. Das Problem: Die vielen Zugriffe hatten den Server überlastet.

Als Unterstützung haben wir inzwischen Reporterin Sandra Calvez zum Weihnachtsmarkt geschickt. Die meldet sich per WhatsApp: „Unbestätigte Info: Es soll ein zylinderförmiger Gegenstand mit Nägeln gewesen sein.“ Nun warten wir auf offizielle Bestätigung, denn so kann diese Nachricht nicht veröffentlicht werden.

Zwei Seiten in der Zeitung

Gegen 19 Uhr äußert sich Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) – von ihm hat Calvez ein Video aufgenommen, das wir ungeschnitten bei Twitter veröffentlichen: Das Paket wurde kontrolliert gesprengt, man hat Nägel gefunden.

Auch für die Berichterstattung in der Zeitung ist jetzt eine Entscheidung gefallen: Auf zwei Seiten soll über die Paketbombe berichtet werden. Dazu muss Kramer vom Weihnachtsmarkt in die Redaktion zurückkehren. Die Zeit rennt: Er wird gemeinsam mit Chefredakteurin Sabine Schicketanz in einer knappen Stunde zwei Texte verfassen. Zeit ist bis 20.15 Uhr, dann geht die Zeitung in den Druck. Die Texte werden aus dem Material aus dem mittlerweile umfangreichen pnn.de-Newsblog erstellt. Darin beantwortet werden muss: Was ist wann passiert? Wo? Wie? Wer hat was bestätigt, welche Erkenntnisse der Ermittler gibt es bisher? Welche Konsequenzen sind bislang bekannt? 

Berichterstattung geht online weiter

Auch nach dem Andruck geht die Berichterstattung online weiter, Calvez spricht vor Ort mit Bewohnern, die noch immer nicht in ihre Häuser zurück dürfen. Die Reporterin ist seit Stunden in der Kälte unterwegs, es sind Temperaturen um null Grad. Ein Bäcker hat geöffnet, bietet Platz zum Aufwärmen. Bis die Polizei das Areal freigibt, wird die Berichterstattung an diesem Tag dauern. Um 22.06 Uhr ist die Suche nach weiterem Sprengstoff beendet, ebenso der Newsblog.

Die Berichterstattung aber dauert an: Am Sonntag nach dem Vorfall gibt es eine Pressekonferenz der Polizei. In dem zündfähigen Paket wurde ein QR-Code zu einem Erpresserbrief gefunden. Das Paket wurde in Potsdam-West aufgegeben – von wem, ist noch immer unklar. Der Fall steht weiter auf der Redaktionsagenda. 

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