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Fred Böttcher, Kellner in der Brasserie in Potsdam, freut sich, wieder Gäste bedienen zu können. 

© Andreas Klaer

Öffnung der Gastronomie: Die Stadt Potsdam lebt wieder auf

Seit Freitag sind Restaurants und Cafés wieder eingeschränkt geöffnet. Aber die Existenzangst bleibt.

Von Carsten Holm

Potsdam - Am Freitag (15.05.2020) lebte Potsdam wieder auf: Nach fast neunwöchiger Zwangspause wegen der Coronapandemie durften die Restaurants wieder öffnen. „Endlich nach so langer Zeit“, sagte der Potsdamer Pensionär Ingo den PNN, als er draußen beim „Heider“ am Nauener Tor ein Kännchen Kaffee bestellte. Zur selben Zeit ein Stück weiter in der Friedrich-Ebert-Straße: ein paar Gäste sitzen vor „Bagels & Coffee“ auf einen Espresso. Nicht anders das Bild am Platz der Einheit auf der Terrasse des Bistros „Alex“. Angelika und Karl-Heinz Götze aus Töplitz lassen sich ein Frühstück servieren; Buffets sind auf absehbare Zeit nicht erlaubt.

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Wie sehr die Potsdamer sich auf die Wiedereröffnung gefreut haben, wird an der Zahl der Vorbestellungen deutlich. Das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete „Kochzimmer“ war für Freitag und diesen Samstag fast voll gebucht. Auch Chris Zanottos feines „Zanotto“ an der Dortustraße ist ausgebucht. Doch der Schein trügt. Im „Kochzimmer“ dürfen statt der vormals 36 Plätze wegen des Abstandsgebots nur noch zwölf bis 18 Plätze vergeben werden, Chris Zanotto nimmt statt 42 nur noch zwölf Buchungen an. Er will nach dem Ende der Krise auch bei dieser Zahl bleiben: „Ich koche allein, ich serviere selbst und kann mich Gästen besser widmen. Ich lebe ohne große Ansprüche und komme damit aus.“

"Ohne einen Rettungsschirm wird das alles nicht gut enden“

Den meisten Betreibern aber steht das Wasser trotz der Öffnung ihrer Restaurants bis zum Halse. Es besteht für sie kein Zweifel, dass ihr bisheriges Geschäftsmodell unter den neuen Bedingungen zum Scheitern verurteilt ist. „Wir hatten 70 Plätze und dürfen nur noch an 35 bedienen“, sagt Bengt Rudolph, Chef der „Brasserie zu Gutenberg“ an der Jägerstraße: „Wenn wir mit 50 Prozent der Plätze gewinnbringend arbeiten könnten, wären wir reich geworden.“ Rudolph hat Mieten und Steuern stunden lassen sowie Rücklagen fast aufgebraucht, um seine Mitarbeiter zu halten.

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Als notorischer Optimist ist René Dost, unter anderem Betreiber des „Café Heider”, des „Wiener Café“, des „800 Grad“- Steakhouses, bisher aufgetreten. Er sieht seine Aussichten nun düster: „Es ist ein Desaster. Ich bin nicht mehr davon überzeugt, dass wir das Jahresende überleben können“. Nur zwei Vermieter seien ihm bei den hohen Mietkosten entgegengekommen, auch die Stadt Potsdam, die signalisiert habe, die Pacht für die Außenflächen zu erlassen – immerhin 12.000 Euro jährlich allein am Nauener Tor. Er habe die Zahl seiner Mitarbeiter von rund 150 auf unter 100 reduziert, „aber ohne einen Rettungsschirm wird das alles nicht gut enden“.

Alexander Dressel, Chef des Romantik Hotels „Bayrisches Haus“ und des Sterne-Restaurants „Kabinett F.W.“, will seinen Gourmettempel erst Mitte August nach den Sommerferien wieder öffnen.

Durcheinander bei den Masken

Restaurantbetreiber und Gäste sind indes recht unsicher, wie streng den Hygieneempfehlungen zu folgen ist. Klar ist, dass die Abstandsregel von 1,50 Metern außer zu Familienangehörigen eingehalten werden muss. Zwei Familien aus zwei Haushalten aber dürfen sich inzwischen treffen, auch in Restaurants. Dort müssen sie für 1,50 Meter Distanz sorgen. „Sollten diese Abstandsregeln bis Ende des Jahres beibehalten werden, ist ein wirtschaftlicher Betrieb nicht aufrechtzuerhalten“, sagt „Kochzimmer“-Patron Frankenhäuser.

Ein seltsames Durcheinander gab es am Freitag bei den Schutzmasken: Im „Alex“ servierten die Kellner mit, in der „Brasserie“ ohne. „Wir tragen ein Lächeln im Gesicht“, sagt René Dost. Der Grund für die Konfusion: Die Landesverordnung umgeht diese Details, Arbeitgeber dürfen nach ihrem Hygienekonzept selbst entscheiden. Gästen ist es ohnehin erlaubt, maskenfrei zu speisen.

„Die Lage ist wirklich sehr ernst“, sagte Olaf Lücke, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands in Brandenburg. Laut Rückmeldungen aus Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen, wo die Gastronomie geöffnet wurde, sei der Umsatz dort auf 30 Prozent im Vergleich zur Vor-Coronazeit eingebrochen. Es sei, so Lücke, „ein Härtefallfonds für die Gastronomie erforderlich“. Ein Grund seien auch die viel zu hohen Mieten: „Es darf doch nicht sein, dass wir die Zeche für die Krise zahlen und die Immobilienbranche sie ohne Blessuren übersteht.“

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