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Spieler des SV Babelsberg 03 präsentieren sich 1936 nach einem Kick gegen Hertha BSC in Wehrmachtsuniform. 

© Klaus Becker Verlag / Aus dem Buch "Die Geschichte des SV Babelsberg 03“ von Klaus Gallinat

NS-Vergangenheit des SV Babelsberg 03: Als Nulldrei gegen Hitlers Leibstandarte spielte

Eine Gruppe junger Fans des heute eher linken Clubs recherchiert zur Rolle des Fußballvereins von 1933 bis 1945. Die Erkenntnisse sind teilweise überraschend.

Babelsberg - Der SV Babelsberg 03 ist über die Landesgrenzen hinaus als linker Fußballverein bekannt, der sich immer wieder deutlich gegen rechts engagiert. Doch das war nicht immer so: Eine Gruppe junger Nulldrei-Fans hat sich eingehend mit der Vergangenheit ihres Lieblingsvereins im Nationalsozialismus beschäftigt. „Der Verein hat sich mit den herrschenden Nazis gut arrangiert, wurde von ihnen gefördert und hatte sowohl überzeugte Spieler als auch Funktionäre in seinen Reihen“, heißt es in einem Bericht der „Recherchegruppe SV Babelsberg 03 im Nationalsozialismus“, die im August dieses Jahres gegründet wurde.

In Uniformen der Wehrmacht posiert 

Im Zuge ihrer Recherchen stieß die Gruppe auf einige erschreckende Details: So zeigte die Mannschaft von Nowawes 03, wie der Verein damals noch hieß, bereits 1933 geschlossen den Hitlergruß. Nach einem Spiel gegen Hertha BSC, das 1936 im Babelsberger Lindenpark stattfand, posierten die Spieler auf einem Foto in Uniformen der Wehrmacht. „Das Bild fanden wir sehr heftig“, sagt Max Wittmann von der Recherchegruppe. „Es ist erschreckend, dass Spieler des Vereins schon so früh offen mit dem Naziregime sympathisierten.“

Wittmann ist Nulldrei-Fan und studiert Soziale Arbeit in Potsdam. Er und einige andere Mitglieder des Fanprojekts hatten schon länger die Idee, die Geschichte des Vereins näher zu beleuchten. „Einige der jungen Fans des SV Babelsberg 03 waren sehr darüber verwundert, dass in einem linken Fußballverein kaum etwas über die nationalsozialistische Vergangenheit bekannt ist“, sagt der Sozialarbeiter und Fanprojektleiter Patrice Hannig. Tatsächlich war bis vor kurzem auf der Nulldrei-Webseite lediglich eine Chronologie mit den sportlichen Eckdaten zwischen 1933 und 1945 zu sehen.

Spiel des SV Babelsberg 03, vormals SV Nowawes, gegen den BSV 92 im Jahr 1944.
Spiel des SV Babelsberg 03, vormals SV Nowawes, gegen den BSV 92 im Jahr 1944.

© Klaus Becker Verlag / Aus dem Buch "Die Geschichte des SV Babelsberg 03“ von Klaus Gallinat

Rund sieben Fans zwischen 15 Jahren und Ende 20 fanden sich daraufhin im August zusammen, um eine Reihe von Fragen zu klären, unter anderem: „Gab es jüdische Spieler und Funktionäre beim SVB 03?“, „Wer wurde alles aus dem Verein ausgeschlossen?“ oder auch „Wie wurde die NS-Gesetzgebung im Sport umgesetzt?“ Dazu nahmen die Fans Einblick in verschiedene Archive und traten in Kontakt zu Stadthistorikern und den Jüdischen Gemeinden Potsdams. Zudem nutzten sie das 2019 veröffentlichte Buch „Die Geschichte des SV Babelsberg 03“ von Klaus Gallinat als Quelle.

Zu Beginn der 1930er-Jahre konnte der SV Nowawes 03 einige Erfolge feiern: Er stieg zwischen 1933 und 1935 von der dritthöchsten in die höchste Spielklasse (Gauliga) auf, der Stadtrat von Nowawes lobte daraufhin den „nationalen Geist von Nowawes 03“. Ab 1934 mussten jüdische Spieler aus „arischen“ Vereinen austreten und eigene Vereine gründen.

Bei Nowawes 03 kam es zu keinen Austritten, woraus die Recherchegruppe schließt, dass es zu diesem Zeitpunkt schlicht keine jüdischen Spieler im Verein gab. Aufgrund seiner frühen Nähe zur NS-Ideologie sei der Verein vermutlich ohnehin unattraktiv für Juden und andere Gegner der Nationalsozialisten gewesen.

"Pflegestätte nationalsozialistischen Gedankenguts"

Viele Spieler waren Soldaten, so etwa Karl Bertram, der Teil der Legion Condor war, einer Luftwaffeneinheit zur Unterstützung des spanischen Diktators Franco. 1936 wurde der SA-Funktionär Walter Sehring Chef des Vereins, dessen Name 1938 in SV Babelsberg 03 geändert wurde.

1938 spielte der SV Babelsberg 03 gegen die SS-Leibstandarte von Adolf Hitler – ein Anzeichen für die besondere Nähe des Vereins zur NS-Elite? „Wir wissen noch nicht, inwieweit das damals vielleicht ‚normal‘ für einen deutschen Verein war, oder ob der SV Babelsberg 03 da eine Sonderrolle eingenommen hat“, sagt Max Wittmann. Als der Verein 1939 mit den Sportfreunden Potsdam zur Spielvereinigung Potsdam 03 fusioniert wurde, sprach der neue Geschäftsführer und SA-Sturmführer Günther Kauerauf von einer „Pflegestätte nationalsozialistischen Gedankenguts“.

Auch im Krieg ging der Spielbetrieb in Potsdam weiter, den Angaben nach um die Moral der Bevölkerung aufrechtzuerhalten: Kurt Schymanski, Leutnant der Wehrmacht und gleichzeitig Spieler des Vereins, organisierte Derbys gegen Soldaten aus der Hitlerkaserne in Potsdam. Spiele fanden bis in den Januar 1945 hinein statt.

Gedenken an den KZ-Überlebenden Willi Frohwein

Die Recherchegruppe will nun tiefer in die Materie gehen, um herauszufinden, was einzelne Spieler und Funktionäre des Vereins in der NS-Zeit getan haben. Das ist jedoch nicht ganz einfach: „Archivbesuche und regelmäßige Treffen sind aufgrund von Corona gerade schwierig“, sagt Wittmann. Dennoch will die Gruppe ihre Arbeit fortführen, Vorträge und Zeitzeugengespräche veranstalten und darüber hinaus erinnerungspolitisch tätig werden: So wollen die Nulldrei-Fans rund um den 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, eine Veranstaltung zum Gedenken an den Babelsberger Antifaschisten und Auschwitz-Überlebenden Willi Frohwein organisieren.

„Bislang haben wir nur positives Feedback bekommen, mittlerweile haben sich auch zwei weitere Nulldrei-Fans der Gruppe angeschlossen“, sagt Wittmann. Zuspruch erfährt die Recherchegruppe nicht nur von anderen Fans, sondern auch vom Verein: Auf der Nulldrei-Webseite wurden die bisherigen Ergebnisse der Gruppe veröffentlicht und in die Vereinschronik aufgenommen.

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