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Vincent und Mister X wollen unerkannt bleiben.

© Andreas Klaer

Neue Ausstellung in der Volkshochschule Potsdam: „Graffiti ist eine Sucht, ein Lebensgefühl“

Die Sprayer-Szene schläft nie. Jetzt zeigt die Volkshochschule eine Ausstellung mit Graffitis aus dem Stadtbild. Zwei Künstler erzählen, wie sie arbeiten und warum sie das tun.

Potsdam - Vincent und Mister X tragen Masken, die nur die Augenpartie freilassen und Vincent heißt nicht Vincent. Die beiden sind Anfang 20 und gehören zur Potsdamer Graffitiszene. Am gestrigen Donnerstag lassen sie sich auf ein Treffen mit der Öffentlichkeit in Form einer Zeitung ein, um von ihrem Hobby, wenn man das so lapidar benennen darf, zu erzählen. Am heutigen Abend wird in der Volkshochschule (VHS) eine Ausstellung zum Thema Graffiti eröffnet, die von den beiden mitorganisiert wurde. Vincent und Mr. X werden bei der Vernissage dabei sein und Fragen aus dem Publikum beantworten. Die Masken bleiben allerdings auf: Das seien sie der Szene schuldig, sagt Vincent.

„Wir wollen endlich mal zeigen, was wir können“

Etwa 30 Bilder hängen auf dem Flur der Volkshochschule hinter nüchternen Glasrahmen. Dass die Straßenkunst hier so aufgeräumt und steril gezeigt wird, ist dem Brandschutz geschuldet, sagt Maren Herbst von der Volkshochschule. Besprühte Leinwände oder Holzplatten, so ihre anfängliche Idee, waren nicht erlaubt. „Wir wollten das aber trotzdem machen. Einerseits um zu zeigen, was das eigentlich für eine Kunst oder Kultur ist, und andererseits, um den Besuchern Gelegenheit zu geben, sich die Bilder, an denen man in der Regel schnell vorbeifährt, mal genauer anzuschauen.“ Außerdem solle mit der Ausstellung ein neues, junges Publikum in die Volkshochschule gelockt werden.

Ein sogenanntes Piece aus der Ausstellung.
Ein sogenanntes Piece aus der Ausstellung.

© Andreas Klaer

Der Kontakt zur Szene gelang über Kollegen. „Jemand kennt jemanden, der einen kennt“, sagt Herbst. Die Sprayer seien sofort begeistert gewesen. Sie haben dann ihre eigenen Werke fotografiert und an die VHS geschickt. „Wir wollen endlich mal zeigen, was wir können“, sagt Vincent. „Wir werden sonst ja immer gleich für Terroristen gehalten. Potsdam heißt für uns Mad Stop City – Potsdam rückwärts.“

Für die Sprayer gibt es zu wenige legale Flächen

Es sei ja umgekehrt: Der Sprayer lebt gefährlich, denn Illegalität gehört zum Konzept. Natürlich gibt es auch legale Sprühflächen: In Potsdam darf man im Freiland sprühen, auf der Platte in Potsdam-West, am Plantagenspielplatz in Babelsberg und auf dem Bassinplatz. Die hier von der Stadt aufgestellten Wände waren allerdings zu leicht, der Wind fegte sie um, es blieben zwei kleine Mauern, sagt Mr. X. Geradezu üppig ist die Mauer in der Havelbucht, drei Meter hoch, 27 Meter lang, gesponsert vom Potsdamer Farbenladen Writers Heaven. Die Orte werden gut genutzt, es sind aber zu wenige, sagt Vincent. Das wiederum ist dennoch nicht der einzige Grund, dass auch Bauwerke und verlassene Gebäude besprüht werden. Unter Zeitdruck und im Dunkeln ein Bild hinzubekommen, ohne erwischt zu werden, ist eine Herausforderung. Bei großen Aktionen geht das nur im Team, in der Crew. „Das ist klar organisiert“, sagt Vincent. Tagsüber werden Routen zum Wegrennen geprüft. Nachts wartet man, bis der letzte in der Nachbarschaft das Licht ausgemacht hat. „Alles ist eingeteilt: Wer macht die Skizze, wer sprüht an welchem Ende, wer passt auf?“ Am nächsten Tag im Hellen sein Werk zu begutachten, das sei ein gutes Gefühl. Bis „dein Ding gebufft wird“, also saubergemacht oder übermalt. „Dann ärgert man sich natürlich. Tabu sind denkmalgeschützte Häuser, Kirchen, Friedhöfe, Einfamilienhäuser und Autos. Wenn es doch jemandes Haus erwischt – das sei eben Pech.

Eines der Wandbilder in der Ausstellung.
Eines der Wandbilder in der Ausstellung.

© Andreas Klaer

Die Bilder der Ausstellung zeigen, was in Potsdam zu sehen ist oder war, nennen aber keine Orte. Bei längerem Hinschauen entdeckt man klare Unterschiede. Handschriften. „Styles“ sagt Mr. X. „Jeder malt seine Buchstaben anders.“ Der Besucher lernt: Mit Buchstaben ist es Graffiti, das Wort leite sich schließlich von Graph, griechisch für Schriftzeichen, ab. Reine Bildmotive sind Streetart. Neben den bunten Fotos hängen auch Skizzen, comicartige und teils sehr filigrane schwarz-weiße Zeichnungen. Das finale Sprühen, erklärt Vincent, sieht leichter aus, als es ist. „Der ganze Körper muss mitgehen, Arme, Schultern, Füße, damit du den Bogen, den Schwung so hinkriegst, wie er sein soll. Das ist schwer.“

Das Hobby ist ein teures

Dabei unterscheidet man Tags, schnell auf der Flucht hinterlassene Namenskürzel, Pieces, kompliziertere Buchstabenfolgen, die mehr Zeit brauchen, und das „Bomben“ von Wandbildern. Wer es gemütlicher mag, kauft sich im Künstlerbedarf Leinwände und sprüht im Atelier, dann mit Atemmaske. „Die Gase sind extrem giftig“, sagt Vincent. Zur Ausrüstung gehören Arbeitsklamotten, Schuhe zum Laufen und Klettern, Handschuhe, Rucksäcke und natürlich Farben. Das Hobby ist teuer: Für ein großes Bild gehen schnell 100 Euro drauf.

Etwa 100 Sprayer in mehreren Crews soll es in Potsdam geben. Die meisten arbeiten tagsüber in normalen Berufen oder studieren. Dazu kommen ein paar sogenannte Oldschooler oder Kings im künstlerischen Ruhestand. Der beginnt bei vielen, wenn man eine Familie gründet.

Und warum macht man es überhaupt? „Das ist eine Kultur. Ein Lebensgefühl. Eine Sucht. Man will seinen Style entwickeln und ihn zeigen. Und Graffiti ist die erste Kunst, die von Jugendlichen entwickelt wurde“, sagt Vincent. Würden sie sich dafür ein Museum wünschen? „Die Straße ist unser Museum“, sagt Vincent und grinst unter der Maske.

Eröffnung „Graffiti goes VHS“ am heutigen Freitag um 17.30 Uhr in der Volkshochschule im Bildungsforum.

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