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Umworben. Beim Berufswahldinner von Dehoga und IHK Potsdam im Hotel Bayrisches Haus in Potsdam konnten Schüler und ihre Familien mit Unternehmen ins Gespräch kommen. Auszubildenden im Küchen- und Servicebereich servierten dabei ein Abendmenü.

© Andreas Klaer

Nachwuchs gesucht: Potsdams Gastronomie fehlt das Fachpersonal

Beim Berufswahldinner wirbt das Gastgewerbe in Potsdam um Nachwuchs. Selbst Spitzenhäuser finden kaum Azubis.

Potsdam - Hotel- und Gaststättenbetreiber in der Region Potsdam haben eigentlich Grund zur Freude: 270.300 Touristen kamen im ersten Halbjahr 2019 in die Landeshauptstadt, 4,5 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Auch der Umsatz stieg im ersten Halbjahr leicht – laut Landesamt für Statistik um 0,1 Prozent bei steigenden Preisen. Trotzdem haben Gastgeber in Potsdam und Umgebung mit einer immer größeren Sorge zu kämpfen: Ihnen laufen die Fachkräfte weg.

„Egal wo man sucht, man findet einfach niemanden mehr“, meint Regine Rejall. Sie ist Geschäftsführerin des Cafés „Schwielowsee-Pavillon“ im Strandbad Ferch, im Sommer ein beliebter Ausflugsort. Dabei gehe es nicht einmal mehr um Azubis oder Fachkräfte, sondern um jede arbeitende Person. Ob Arbeitsagentur, Online-Stellenbörsen oder das Studentenwerk: Niemand will sie mehr im Café unterstützen. „Wir haben eine immer größere Arbeitslast, machen morgens später auf und abends früher zu. Irgendwann kommt der Punkt, an dem wir ganz zumachen müssen“, befürchtet Rejall.

Kein Azubi-Koch im Sternehaus

Die Gewinnung von Fachkräften ist auch in Potsdam ein Problem. Selbst Sternekoch Alexander Dressel kennt es in seinem mehrfach ausgezeichneten Hotel Bayrisches Haus: „Im letzten Jahr hatten wir Glück und konnten drei Auszubildende für das Hotelfach und einen Koch dazugewinnen. Dieses Jahr haben wir niemanden gefunden.“

Dabei versucht Dressel durchaus, seinen Azubis etwas zu bieten: Eine Meisterausbildung im Bayrischen Haus könne mit einem Stipendium finanziert werden, auch Weiterbildungen an Akademien außerhalb Brandenburgs und Auslandsaufenthalte seien möglich, so Dressel. Die Auszubildenden übernehme er anschließend gerne. Das sei denen aber gar nicht mehr so wichtig. Es sei für alle Unternehmen die gleiche Situation. Man müsse mehr für die Branche werben, so Dressel.

Um genau das zu tun, organisiert der Branchenverband Dehoga gemeinsam mit der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Dressels „Bayerischem Haus“ ein Berufswahldinner. Dort sitzen interessierte Neunt- und Zehntklässler mit ihren Eltern an weiß gedeckten Tischen. Sie kommen bei gebeiztem Lachs und Weißwein mit den Großen der Branche ins Gespräch, wie den Hotels Mercure und Dorint oder dem Gastrounternehmen Redo XXL. Olaf Lücke, Geschäftsführer der Dehoga, präsentiert ein Imagefilmchen. „Wir wollen zeigen, was die Branche kann“, sagt er. „Denn es geht nicht nur ums Teller tragen.“

Junge Leute wollen nach Berlin oder Hamburg

Das Berufswahldinner ist eine von vielen Initiativen, die mit der Gewinnung von Nachwuchs dem Fachkräftemangel entgegenwirken sollen. In den Berufen Hotel- und Restaurantfachmann, Systemgastronom und Koch wurden laut IHK in Westbrandenburg dieses Jahr nur 295 neue Ausbildungsverträge geschlossen – für die Betriebe reicht das nicht. Von insgesamt rund 2500 Azubis im Jahr 2005 ging die Zahl im Kammerbezirk Potsdam bis 2018 auf rund 560 zurück. Vonseiten der IHK Potsdam gibt Marco Lindemann zudem zu bedenken: „Die Betriebe treten in Konkurrenz zu den großen Ballungsräumen. Junge Leute wandern nach Berlin und Hamburg aus.“

Auch Felix Tismer will dorthin: „In das Arcona-Hotel in Berlin, dort habe ich einfach mehr Chancen, mich weiterzuentwickeln.“ Der angehende Hotelfachmann übt dafür im Oberstufenzentrum Johanna Just in Potsdam. Einen italienischen Dinnerabend organisieren dort die Azubis. Für die theoretische Ausbildung kommen sie aus Betrieben in Werder (Havel) und der gesamten Mittelmark nach Potsdam. Tismer ist für die Buchungen der Gäste zuständig. Den Berufszweig habe er hauptsächlich gewählt, um später im Ausland arbeiten zu können.

Seine Mitschülerin Laura Hoffmann sieht ebenso die Perspektiven: „Mit dem Beruf hat man viele Möglichkeiten. Vielleicht werde ich einmal Stewardess oder arbeite bei einem Rechtsanwalt.“ Manche würden die Schicht- und Wochenendarbeit aber gar nicht bis zum Abschluss durchhalten. In ihrem Betrieb sei sie die Einzige, die die Ausbildung noch nicht abgebrochen habe: „Wir waren sechs am Anfang, jetzt bin nur noch ich übrig.“

Fast jeder Vierte will den Beruf wechseln

Laut einem Report der Jugend des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zur Ausbildung in der Gastronomie von 2015 ist das kein Wunder. Neun Prozent der Azubis beurteilen die fachliche Qualität ihrer Betriebe als mangelhaft. Viele müssen zehn oder mehr Überstunden in der Woche ableisten. Nur 29 Prozent wollen laut dem Bericht anschließend in ihrem Ausbildungsbetrieb bleiben, fast jeder Vierte will den Beruf wechseln. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) begrüßt deshalb eine kürzlich verabschiedete Reform des Bundestages, die eine Mindestvergütung und weniger Überstunden für die Auszubildenden vorschreibt.

Beim Berufswahldinner versucht Olaf Lücke von der Dehoga, die Probleme nicht durchblicken zu lassen. Er sagt später, sowohl vonseiten der Hotelchefs als auch von Schülern und Eltern habe er nur positive Rückmeldungen bekommen. Dabei seien es beim Berufswahldinner im Oktober 2018 noch rund 10 Teilnehmer gewesen, zur mittlerweile dritten Ausgabe kamen nur noch 60. So muss Lücke weiter um das Interesse der jungen Leute kämpfen. Der Bedarf ist da: Mehr als 650 offene Stellen im Gastgewerbe hat die Arbeitsagentur aktuell in Potsdam und 25 Kilometer Umkreis ausgeschrieben.

Sophie Laaß

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