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Ehrenamtliches Schrauben für die Verkehrswende. Erich Benesch baut Lastenräder in Babelsberg. 

© Andreas Klaer

Mobilität in Potsdam: Lastenräder umsonst für alle

Ab Mitte Januar verleiht die „Flotte Potsdam“ kostenlos Lastenräder. Dahinter steht ein Netzwerk leidenschaftlicher Fahrradfreunde.

Bis zu 100 Kilogramm kann „Max“ tragen. Heute hilft er Nora Künkler, die schwere Recycling-Abfälle zum Wertstoffhof bringen muss. Das Beste daran: Die junge Frau muss für die Dienste des hilfsbereiten Zeitgenossen nichts bezahlen. „Max“ ist eines von zwei Lastenrädern, die man in Potsdam kostenlos ausleihen kann. Bald werden es mehr sein.

„Ich habe zwar ein Auto“, sagt Künkler. „Doch für kurze Wege möchte ich es lieber nicht benutzen.“ Deshalb hat sie das Lastenrad im Internet gebucht, über die Website „Flotte Berlin“. Und zwar schon zum dritten Mal. Abgeholt hat sie es im Fahrradladen Pedales am Hauptbahnhof. Ab 15. Januar soll das Ausleihen noch einfacher möglich sein. Denn dann geht die Website „Flotte Potsdam“ an den Start.

Immer mehr Menschen machen ihre Einkäufe mit dem Rad

Insgesamt sechs Lastenräder sollen dann an verschiedenen Standorten im Stadtgebiet für alle Potsdamer bereitstehen. Das Portal möchte so nutzerfreundlich sein wie ein kommerzielles Unternehmen – ohne Geld zu kosten. Hinter dem Projekt stehen überzeugte Fahrradfreunde, die damit einen Beitrag zur Verkehrswende leisten wollen.

„Viele Nutzer sind Studenten, die kein Geld für ein eigenes Auto haben“, sagt Oliver Rübe vom Fahrradladen Pedales. Doch immer mehr Menschen würden zum Beispiel ihre Lebensmittel-Einkäufe mit dem Flotte-Rad transportieren, weil sie die Umwelt schonen möchten. Im Winter würde das Angebot allerdings seltener genutzt als im Sommer.

Pedales verleiht und verkauft auch selbst Räder, kostenpflichtig. Den Gratis-Verleih von „Flotte Potsdam“ unterstützt das Unternehmen trotzdem. Die Plattform stelle keine Konkurrenz dar, sagt Rübe. Im Gegenteil, durch die Initiative würde eher das Interesse der Potsdamer am Lastenrad geweckt, glaubt er: „Das Lastenrad ist im Kommen.“

"Das Lastenrad löst das Statussymbol Auto ab"

Wer ein eigenes Transportrad kaufen möchte, muss dafür allerdings etwas Geld investieren. Im Pedales wird zum Beispiel ein Einsteigermodell für etwa 1700 Euro angeboten. Das Luxus-Lastenrad „Urban Arrow Family LTD“ der niederländischen Marke Bakfiets kostet sogar etwa 7000 Euro. Es verfügt über einen Elektromotor von Bosch.

„Das Lastenrad löst das Auto als Statussymbol ab“, glaubt Erich Benesch. Das findet er zwar gut, aber er selbst möchte damit kein Geld verdienen. Benesch ist mitverantwortlich für den Aufbau der „Flotte Potsdam“. Und zwar wortwörtlich, denn er baut die Räder selbst zusammen. In der Werkstatt des „Projekthauses Potsdam“ in Babelsberg entstehen sie aus Bausätzen eines Hamburger Unternehmens. Die Mitmach-Werkstatt werde von Fördermitteln und ehrenamtlichem Engagement getragen, sagt Benesch.

Bisher hätten die Babelsberger Fahrradfreunde vor allem Räder für soziale Initiativen gebaut, sagt Benesch. Zum Beispiel für das Begegnungszentrum „Oskar“ in Drewitz oder Flüchtlingsinitiativen. Im Bekanntenkreis würden die Eigenbau-Räder auch schon seit längerer Zeit ausgeliehen. Klimaaktivist Otto Richter von „Fridays for Future Potsdam“ zum Beispielnutzt sie regelmäßig für Demonstrationen. „Damit transportieren wir Lautsprecher“, sagt er. Die seien schon mal 120 Kilogramm schwer. „Dann kommen wir an die Grenze der Belastbarkeit der Räder.“ Man kennt sich, denn Otto Richter ist selbst Fahrradfreund und in der Projekthaus-Werkstatt aktiv.

Lastenräder sind keine neue Erfindung. Vor dem Zweiten Weltkrieg gehörten sie in fast allen europäischen Städten zum Straßenbild. Bäcker und Lebensmittelhändler fuhren damit ihre Waren aus, Briefträger und Kurierdienste nutzten sie tagtäglich.

Erst in der Nachkriegszeit gerieten die Transporträder in Vergessenheit, wurden vom Auto verdrängt. In letzter Zeit erleben sie eine Renaissance, mit neuem Designs aus Dänemark und den Niederlanden. Das liegt vor allem am wachsenden Umweltbewusstsein.

Wie fährt sich so ein Vehikel im Straßenverkehr?

Ein dreirädriges Lastenrad wie „Max“ ist über zwei Meter lang und über einen Meter breit. Wie fährt sich so ein Vehikel im Straßenverkehr? „Eigentlich ist die Fahrrad-Infrastruktur in Potsdam ja ganz okay“, sagt Nora Künkler. Doch für Lastenräder seien viele Radwege zu schmal. Das Überholen sei oftmals nicht möglich. Da müsse die Stadt noch nachbessern.

Auch Parkplätze gäbe es zu wenige, sagt der Stadtverordnete Sascha Krämer (Linke). Deshalb hat seine Fraktion im vergangenen Jahr einen entsprechenden Antrag eingebracht. Im September beschloss das Stadtparlament, dass neue Lastenräder-Parkplätze geschaffen werden sollen. Krämer drängt nun auf eine schnelle Umsetzung. „Stellplätze werden vor allem an Tram-Haltestellen und Knotenpunkten des öffentlichen Nahverkehrs dringend gebraucht“, sagt er.

„Derzeit werden Flächen geprüft und Erfahrungen mit anderen Kommunen ausgetauscht“, teilt das Rathaus auf Anfrage mit. Vor allem bei Neubauten in Wohngebieten sollen von nun an spezielle Parkplätze eingerichtet werden. Doch es sollen auch bisherige Autostellplätze weichen, zum Beispiel in der Friedrich-Ebert-Straße, sagt Sprecherin Christine Homann.

In Berlin, Hamburg und anderen Städten gibt es eine finanzielle Förderung für den Kauf von Lastenrädern. In Potsdam bisher nicht. Das Rathaus verweist an das Land. Tatsächlich hat die Brandenburger Regierungskoalition im Koalitionsvertrag die Einführung einer „Lastenradprämie“ versprochen. Unklar ist jedoch, wann die kommen soll. Das Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung war am Freitag kurzfristig nicht für einen Kommentar zu erreichen.

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