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Insgesamt wurden am Freitag in Potsdam an vier Stellen Stolpersteine verlegt.

© Andreas Klaer

Mahnmal: Sechs neue Stolpersteine gegen das Vergessen

In Potsdam gibt es jetzt insgesamt 40 Mahnmale für Opfer des Nationalsozialismus. Am Freitag wurden sechs Stolpersteine verlegt. Schüler erzählten die bewegenden Geschichten derer, an die sie erinnern.

Potsdam - Es war am Freitagmorgen einer von vielen bewegenden Momenten in den Räumen der Potsdamer Staatsanwaltschaft: Mädchen und Jungen der Klassen 8a und 8b des Humboldt-Gymnasiums trugen die Lebensgeschichte des 1944 in Auschwitz ermordeten jüdischen Richters Fritz Hirschfeld und der Krankenpflegerin Käthe Alexander-Katz vor. Sie hatte die Frau des Juristen in Klein-Glienicke gepflegt, als Hirschfeld 1939 vor den Nazis in die Niederlande geflüchtet war. Auch die Jüdin Käthe Alexander-Katz kam in Auschwitz um, nur einen Tag, nachdem sie am 13. Januar 1943 in das Vernichtungslager deportiert worden war. Für beide wurden die ersten der neuen Stolpersteine in den Fußweg vor dem früheren Hirschfeld-Hauses an der Griebnitzstraße 8 eingelassen.

Fritz Hirschfeld (l.) mit Freunden am Meer.
Fritz Hirschfeld (l.) mit Freunden am Meer.

© privat

Madelyn Vertenten, die in den USA lebende Enkelin von Käthe Alexander-Katz, saß mit einigen Verwandten am gestrigen Freitag unter den Zuschauern im überfüllten Saal der Staatsanwaltschaft. Sie weiß, dass es sie wohl nur gibt, weil Käthe Alexander-Katz ihre Tochter in den dreißiger Jahren vorsorglich nach Nordamerika schickte. Sie kennt alle Stationen ihrer Familiengeschichte, sie weiß um den anonymen Tod der Uroma im größten Vernichtungslager der Nazis. „Für mich ist das heute so, als würde meine ermordete Großmutter endlich das Begräbnis bekommen, das sie niemals hatte.“

Die Tochter überlebte. Käthe und Gabriele Alexander-Katz (um 1920).
Die Tochter überlebte. Käthe und Gabriele Alexander-Katz (um 1920).

© privat

Bald gibt es 75.000 Stolpersteine in Europa

34 Stolpersteine, kleine Messingtafeln, mit denen auf den Gehwegen vor den ehemaligen Wohnungen und Häusern von NS-Opfern erinnert wird, gab es bereits in der Landeshauptstadt, sechs weitere kamen nun dazu. Die Stadt beteiligt sich seit 2008 an der Aktion „Stolpersteine – ein Kunstprojekt für Europa“. Wie fast immer ist Ideengeber Gunter Demnig dabei, wenn seine Stolpersteine in den Boden gelassen werden, so kam er gestern auch nach Potsdam. Am 29. Dezember will er in Memmingen im Allgäu den 75.000. Stolperstein in Europa verlegen. Die Steine, sagte Demnig den PNN, seien „sein Lebenswerk“. Er veranschlagt sie pro Exemplar mit 120 Euro, und er ist stolz darauf, dass er die Finanzierung „ohne öffentliche Gelder, sondern allein mit Spenden“ schafft.

Gunter Demnig.
Gunter Demnig.

© Andreas Klaer

Noosha Aubel, Beigeordnete für Kultur, hob hervor, dass mit den kleinen Tafeln „die Namen der Opfer des Nationalsozialismus „zurück in die Erinnerung“ geholt würden. Der Massenvernichtung ganzer Gruppen setzten die Stolpersteine „eine Individualität der Opfer entgegen“.

Schülerinnen des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums verlesen den Lebenslauf von Paul Elkan Bernhardt. 
Schülerinnen des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums verlesen den Lebenslauf von Paul Elkan Bernhardt. 

© Andreas Klaer

Schüler wollen aufpassen, "dass es nie wieder passiert"

Schüler des Humboldt-Gymnasiums, des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums, und der Montessori-Oberschule hatten in wochenlanger, akribischer Recherche die Lebensläufe der Verfolgten zusammengetragen und hatten im Brandenburgischen Landeshauptarchiv geforscht; manche hielten in ihren Klassen Vorträge über den Nationalsozialismus.

Sichtlich beeindruckt berichteten die Schüler von ihren Besuchen auf dem jüdischen Friedhof, die 16 Jahre alte Clara war schockiert. als sie bei ihre Recherchen erfuhr, „wie wenig Rechte Juden hatten und wie schnell sie enteignet wurden“. Der 13 Jahre alte Karl mahnte selbstsicher wie ein Festredner: „Wir sind nicht verantwortlich, aber wir müssen aufpassen, dass es nie wieder passiert.“ Die Potsdamer Schüler zeigten sich entsetzt darüber, wie detailliert die Nazis ihre Verbrechen dokumentierten, ein Mädchen erzählte von den Schwierigkeiten, die es unter Älteren in ihrer Familie mache, über die Nazi-Zeit zu sprechen.

Hirschfeld wurde nach Auschwitz deportiert

So fanden sie beispielsweise über den stadtbekannten Richter Hirschfeld heraus, dass er von 1927 bis 1933 Vorsitzender des Potsdamer Arbeitsgerichts war, 1935 aber seine Berufszulassung verlor, obwohl er im selben Jahr zum Katholizismus konvertierte. Nach der deutschen Besetzung der Niederlande deportierten ihn die Nazis über das Ghetto Theresienstadt nach Auschwitz.

Hugo Baron mit Geschäftspartnerin Gertrud Krug.
Hugo Baron mit Geschäftspartnerin Gertrud Krug.

© privat

Die Schüler des Bertha-von Suttner-Gymnasiums beschäftigten sich mit den Lebensgeschichten des Potsdamer Nervenarztes Paul Elkan Bernhardt und Hugo Baron. Bernhardt lebte in der Ludwig-Richter-Straße 15, er nahm sich 1942 vermutlich das Leben, um der Deportation zu entgehen. Hugo Baron führte unter anderem in der Lindenstraße 15 ein Geschäft für Herren- und Jungenausstattung. Er wurde als Jude diskriminiert und schließlich nach Theresienstadt deportiert, wo er 1942 starb.

Käthe und Paul Otto Meyerstein (v. l.).
Käthe und Paul Otto Meyerstein (v. l.).

© privat

Veranstaltung brauchte Polizeischutz

An der Montessori-Oberschule forschten Schüler über das Leben von Paul Otto und Käthe Meyerstein. Das Ehepaar lebte in Neu Fahrland, den Söhnen glückte noch die Flucht in die USA. Meyerstein und seine Frau wurden 1942 ins Rigaer Ghetto gebracht, der Familienvater starb dort, während die Nazis seine Frau in Auschwitz ermordeten.

Auch die Niederländerin Myriam Teulings kam zur Verlegung des Stolpersteins für Fritz Hirschfeld nach Potsdam. Ihre Verwandten hatten sich um Hirschfeld gekümmert, als er 1939 in das Nachbarland aufbrach. Teulings fiel auf, dass zwei Polizeibeamte dabei waren, als Angehörige von Nazi-Opfern, Schüler und Repräsentanten der Stadt am früheren Haus der Hirschfelds Blumen auf die Stolpersteine legten. Sie zeigte sich etwas überrascht. Vor ihrer Reise habe sie sich angesichts des wiedererstarkten Antisemitismus in Deutschland gefragt, „wie es um meine Sicherheit steht, wenn ich dorthin fahre“, sagte sie den PNN. Sie fühle sich sicher, bekräftigte Teulings. Jedoch fügte sie an, sie sei „traurig darüber, dass man für eine solche Veranstaltung nun wieder Polizeischutz braucht“.

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Carsten Holm

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