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Hinsehen lernen. Lidia Karbowska-Minard mit den Kindern in der Ausstellung.

© Martin Müller

Landesgeschichte: Schädel und Münze

Die Geschichte Brandenburgs ist von Einwanderung geprägt. Was das konkret heißt, können Schüler aus dem ganzen Land ab sofort bei einem Projekttag in Potsdam lernen.

Kartoffeln mit Kräuterquark – brandenburgischer kann es auf dem Mittagsteller nicht werden. Dieses Mahl bekommen die Viertklässler der Astrid-Lindgren-Grundschule in Schwedt/Oder in der Gewölbehalle im Kutschstall des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte serviert, die Kellnerin trägt die Tracht der Kartoffelverkäuferinnen aus der Zeit von Preußenkönig Friedrich II., wie sie erklärt. „Kennt Ihr die Geschichte von den Kartoffeln und Friedrich dem Großen?“, fragt sie. „Jaaaa!“, schallt es ihr entgegen. Davon, wie der König den Anbau der eher skeptisch beäugten Pflanze aus dem fernen Amerika förderte, muss sie nichts mehr erzählen.

Slawen, Germanen, Juden, Hugenotten und Soldaten vom Balkan

Die Kartoffel ist nur eine von vielen Spuren in der Tradition, Kultur und Geschichte Brandenburgs, die in fremde Gefilde verweist. Mit diesen Verbindungen befasst sich das neue Programm im Rahmen des Bildungsangebotes „Ein Tag in Potsdam – Geschichte erleben“. Zu dem Projekttag, den das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG) gemeinsam mit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG) bereits seit 2006 auflegt, gibt es erstmals eine eigene Ausstellung. Die Schüler aus Schwedt waren am Dienstag die ersten Besucher – gemeinsam mit Brandenburgs Bildungsministerin Martina Münch (SPD) und Friedrich Wilhelm von Rauch, dem Chef der Ostdeutschen Sparkassenstiftung, die den Projekttag von Anfang an finanziert. Rund 70 000 Schüler haben seit 2006 teilgenommen, sagte HBPG-Chef Kurt Winkler. Für die Neuauflage rund um das Thema Migration hätten sich bereits jetzt 95 Schulklassen mit 2381 Schülern angemeldet, sagte Kuratorin Ruth Slenczka: „Darauf sind wir stolz.“

95 Klassen haben sich für das neue Programm angemeldet

Auf dem Programm stehen neben dem Mittagessen eine Stadtrallye, ein Ausflug in den Park Sanssouci und die Neuen Kammern und der Besuch in der Ausstellung. Gearbeitet wird dort vor allem mit Objekten, die die Schüler gemeinsam mit Ausstellungsguide Lidia Karbowska-Minard zum Sprechen bringen: Sie erzählen von slawischen Siedlern, germanischen Eroberern, christlichen Missionaren, jüdischen Kaufleuten, Glaubensflüchtlingen aus Frankreich oder Soldaten vom Balkan und aus dem fernen Osten.

Da ist zum Beispiel die kleine Silbermünze von Albrecht dem Bären, die mehr ist als nur Zahlungsmittel – nämlich auch eine Machtdemonstration, wie die Ausstellungsführerin erklärt. Auf der Münze zu sehen sind ein Mann mit Helm, Schwert und Schild zwischen kleinen Burgtürmen, „Brandenburg“ ist darauf geschrieben. „Mit dieser Münze hat er auch gesagt: Hier regiere ich!“, sagt Karbowska-Minard. Die Schüler nicken. Dass in Brandenburg damals schon jahrhundertelang slawische Stämme zuhause waren, haben sie zuvor gelernt – und sich angehört, wie das Sorbische, das noch heute gesprochen wird, eigentlich klingt.

Spurensuche anhand von historischen Exponaten 

Andere Ausstellungsstücke sind so lichtempfindlich, dass sie unter einem schwarzen Kasten verwahrt werden, der beim Rundgang nur kurz angehoben wird – was die Schüler merklich beeindruckt. Da ist etwa eine Urkunde aus dem Jahr 1297, ein Schutzbrief, der Juden gegen Geldzahlung den Aufenthalt erlaubte.

Zwei Schädel erzählen von Notzeiten

Auch von schweren Zeiten wird erzählt: In einer Vitrine liegen zwei Schädel, ein großer und ein kleiner. Der kleinere stammt von einem zehnjährigen Kind – so alt wie die Schulkinder, die nun davor stehen. Was Archäologen aus der geringen Kopfgröße und den schlechten Zähnen schlussfolgern, leuchtet auch den Schülern ein: Es muss sich um eine extrem mangelernährtes Kind gehandelt haben. Es geht um die Zeit des 30-jährigen Krieges und der Pest-Epidemie. Beides raffte in Brandenburg rund die Hälfte der Bevölkerung dahin – sodass Fachkräfte aus dem Ausland, darunter die Hugenotten, die in Frankreich wegen ihres Glaubens nicht mehr sicher leben konnten, plötzlich sehr gefragt waren.

Spuren von Migration auch in der eigenen Familie zu finden, dazu werden die Schüler zum Abschluss angeregt. Sie stehen vor einer großen Weltkarte. Zwar sind alle in Brandenburg geboren. Wenn es aber um die Eltern oder Großeltern geht, sieht die Sache schon anders aus: Schlesien, Polen, die Ukraine oder die Mongolei werden genannt – und dann mit Reißzwecken auf der Karte markiert. Manch einer weiß auch gar nicht genau, wo die Großeltern herkommen. Die neunjährige Lana etwa nimmt sich vor, das nun herauszufinden, wie sie erzählt. Der Projekttag habe ihr gefallen, sagt sie: „Es war lustig, wir haben viel entdeckt.“

Wo kommt die eigene Familie her?

Lehrerin Monika Reiche ist längst überzeugt vom Potsdam-Tag, sie ist zum dritten Mal dabei. Brandenburg sei ein Thema im Sachkundeunterricht – und der Projekttag für die Schüler viel anschaulicher „als das nur auf der Landkarte zu sehen“. Zudem hätten viele Schüler Potsdam vorher noch nie besucht. Auch an diesem Dienstag brauchte die Gruppe aus Schwedt fast drei Stunden für die Anreise – trotz eigenem Bus. Aber es lohne sich, betont die Lehrerin. Die Arbeit in Kleingruppen bei der Rallye stärke auch das Selbstbewusstsein und den Zusammenhalt.

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