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Künstler ziehen ins Rechenzentrum: Mit Blick auf die Garnisonkirche

5000 Quadratmeter für die Kunst, so viel Platz steht im Rechenzentrum zur Verfügung. Einige Räume sind bereits vermietet, ab dem 1. September können Kreative diese dann nutzen. Aber nicht alle Künstler sind begeistert.

Potsdam - Simone Westphal läuft zwischen der 456 und der 412 hin und her – und kann sich nicht entscheiden. Lieber einen Raum mit Blick auf das Portal der Garnisonkirche – von oben herunter, aus dem 4. Stock des Rechenzentrums? Und außerdem ein erhöhter Geräuschpegel, sobald man das Fenster kippt? Oder ist für sie als Malerin nicht doch ein Raum mit Nordlicht und weitem Blick Richtung Holländisches Viertel besser geeignet? Die Künstlerin mit dem Atelier am Wannsee hat bereits mehrfach das Rechenzentrum begutachtet, dessen Räume die Stiftung SPI Sozialpädagogisches Institut Berlin ab dem 1. September nach und nach an Künstler und Kreative vermieten will.

Drei Jahre dürfen Künstler Räume im Rechenzentrum mieten

15 Frauen und Männer versammeln sich zu Beginn der Besichtigungsrunde am Mittwochnachmittag um den großen runden Tisch im Versammlungssaal des Rechenzentrums, manche mit skeptischem Blick, andere mit leuchtenden Augen. „Wir werden insgesamt 5000 Quadratmeter vermieten. Das ist viel“, sagt Andreas von Essen, Mitarbeiter des SPI, zur Begrüßung. „Unser großes Lotteriespiel heißt: Gibt es auch so viele Interessenten?“ Denn die Rahmenbedingungen sind abgesehen von der niedrigen Miete nicht nur optimal: Insgesamt drei Jahre lang darf die Kunstszene hier Räume anmieten für sieben Euro bruttowarm pro Quadratmeter, die Heizung ist alt, der Internetanschluss erst halb fertig. Sollte die Stiftung Garnisonkirche nach dem Turm noch das Schiff der früheren Kirche wieder aufbauen wollen, wird das Rechenzentrum abgerissen.

Derzeit bietet das SPI überwiegend Räume in der Größe von 15 bis 20 Quadratern im vierten Stock und auf der Hälfte der dritten Etage an. Denn noch belegen Mitarbeiter des Rechenzentrums Teile der dritten und die gesamte erste und zweite Etage. Erst Anfang 2016 räumen sie das Gebäude. Bis dahin müssen die unterschiedlichen Nutzer, die „obersten Datenschützer“, wie von Essen sagt, mit Musikern, Malern und Mediendesignern auskommen.

"Jeder kann schauen, was für ihn passt"

Rund 45 Mietverträge seien bislang von der Stiftung Garnisonkirche als Eigentümerin des Grundstücks genehmigt worden, die zehn Tage lang Zeit für Widerspruch hat. Das werde aber nicht passieren, beruhigt Andreas von Essen – und zieht mit den Interessenten in das oberste, hellste Stockwerk. Dort hängt im Treppenaufgang der Grundriss. Viele der Räume sind schon rot umkringelt, also vermietet. „Jeder kann schauen, was für ihn passt“, sagt Anja Engel, die Koordinatorin. Die Musiker könnten, so der Plan, mittelfristig in die unteren Etagen ziehen und in dann eigens eingerichteten Kabinen proben.

Jan Barrahona-Munoz läuft einmal im Karree und vergleicht die weiß getünchten, etwas größeren Räume, die zum Innenhof zeigen mit jenen, die zur Straße hin mit Blick in alle vier Himmelsrichtungen zu haben sind. Als Freizeit-Puppenspieler sucht er eine neue Bleibe, wo er für sein „Teatro sonido“ das Bühnenbild herstellen und proben kann. Seine preisgünstige Werkstatt in Brandenburg/Havel will er wieder aufgeben: „Es ist zu nervig zu pendeln“, erzählt der Medientechniker. Nun will er sich den Raum mit einem befreundeten Musiker teilen, um Kosten zu sparen. „Ich bin sicher, ich finde einen Raum.“

Haus mit Strahlkraft

Eine Mediendesignerin hat sich rasch entscheiden: ein 15-Quadratmeter-Zimmer Richtung Norden: „Mir ist es Richtung Süden, zur Breiten Straße hin, zu laut. Die Räume sind auch renovierungsbedürftiger.“ Und auch ein Fenster Richtung Osten, wo eines Tages der Turm der Garnisonkirche wieder aufgebaut werden könnte, kommt für sie nicht in Frage. „Die Melodie des Glockenspiels kann einen wahnsinnig machen“, bemerkt ein Interessent, der in der Nähe wohnt und sich mit einer Absage verabschiedet.

„Ich bin seit zehn Jahren Rentner und male zu Hause in meinem kleinen Atelier in Babelsberg“, erzählt ein Mann mit weißem Bart. „Ich brauche mehr Gesellschaft und hoffe hier auf Anregungen.“ Ob es hier auch Gemeinschaftsräume gebe, wo man sich darstellen könne, will der 70-Jährige gleich zu Beginn des Rundgangs wissen. „ Das Haus soll nach außen Strahlkraft bekommen“, betont von Essen: Bildhauer könnten den schönen Innenhof mit Skulpturen bestücken. Und der Versammlungsraum bleibe öffentlich zugänglich. Platz für den Austausch untereinander könnten die geräumigen Ecken in jedem Stockwerk bieten. Für Simone Westphal ist klar, dass sie hier mieten will. Ihr Atelier in Wannsee aber behält sie vorerst noch: „Es kann gut gehen hier, aber auch total daneben.“

Isabel Fannrich-Lautenschläger

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