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Kai Sichtermann, Bassist (l.), und Funky K. Götzner, Schlagzeuger (r.), von der Urbesetzung der Band. 

© Promo

Konzert im Potsdamer Lindenpark: Schmachten im System

Bassist Kai und Schlagzeuger Funky von Ton Steine Scherben kommen in den Lindenpark und lassen den Protestpunk wieder auferstehen.

Wenn man Ton Steine Scherben hört, denkt man unweigerlich an deren Frontmann Rio Reiser, den Mann mit dieser unnachahmlichen Stimme und einem großen Charisma. Aber die wilden 70er Jahre des Protestpunks, der parolengeladenen Befreiungslieder, mit denen man die Schlacht gewinnen wollte, sind lange vorbei. Reiser starb 1996, die Band hatte sich bereits 1985 aufgelöst und startete 2012 einen zweiten Versuch, ohne Rio, dafür mit Gründungsmitglied Kai Sichtermann, Bassist, und Funky K. Götzner, Schlagzeuger seit 1974. Und dem wunderbaren musikalischen Erbe.

Jetzt kommen Kai und Funky zu einem Akustik-Konzert in den Lindenpark. Mit dabei Gymmick, geboren 1973, ein Cartoonist und Musiker aus Nürnberg. Ein Songpoet, heißt es, mit dem das groovende Grundgerüst der Scherben die rebellischen Anarchozeiten und diese unvergessene Musik noch mal auf die Bühne holen will.

In Potsdam dürfte der Rückblick auf die 70er und 80er Jahre, als die Feindbilder noch stimmten und gerade wir Ossis diese Sehnsucht nach Freiheit, wie auch immer definiert, so brennend nachempfanden, auf viel Interesse stoßen. Immerhin läuft hier seit Jahren äußerst erfolgreich ein Theaterstück über Rio Reiser. Die Lieder, die einem auch nach Jahrzehnten noch in Hirn und Herz stecken, funktionieren noch, auch wenn sie vor allem wohlige Gefühle der Erinnerung bedienen.

Musik, die ins Herz geht

Der Bandname Ton Steine Scherben klang damals nach irgendwas zwischen gefährlich und tieftraurig und das erste Lied „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ sprach Wessis und Ossis gleichermaßen aus den Herzen. Platten der Scherben gab es hier keine, es sei denn, Omi schmuggelte sie bei ihren Westbesuchen unter Kaffee und Schokolade rüber. Oder man hatte gute Freunde, die einem die Musik auf Kassette, ein Minitonband, kopierten. „Wir müssen hier raus! Das ist die Hölle! Wir leben im Zuchthaus!“ - auch herrlich mehrdeutig, Aufstand gegen das elterliche und sonstige Establishment und wenn die Kraft reicht, gleich gegen das komplette System. Das war damals im Westen auch nicht immer ein Spaziergang.

Bei all dem Krawalligen konnten Ton Steine Scherben so zutiefst romantisch und liebevoll sein, vielleicht war das ihr eigentliches großes Ding. Sie waren immer beides, laut und leise. Unvergessen: „Halt dich an deiner Liebe fest.“ Das nuschelte Rio Reiser so, dass man auch „an meiner Liebe“ verstehen konnte – und das war fast noch schöner.

„Kai und Funky von Ton Steine Scherben & Gymmick“ am Freitag um 20 Uhr im Lindenpark, Stahnsdorfer Straße 76/78, Karten kosten 20 und 24 Euro.

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