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Steffi Pyanoe.

© Sebastian Gabsch

Kolumne PYAnissimo: Im Dampfbad der Geschichte

Etwas zu Ende bringen, aufräumen, einpacken. Rücktritte und Abdankungen haben im Herbst offenbar Konjunktur. Und die Tradition reicht noch viel länger zurück.

Lauter Rücktritte und Abdankungen. Merkel hat keine Lust mehr auf Kindergarten. Der Stadtwerkechef wird verabschiedet. Der Oberbürgermeister geht. Bei der EWP wird auch ein Job frei. Es muss am Herbst liegen. „Herr: es ist Zeit.“ Zwischen Laubharken und Radwechsel überkommt einen das Bedürfnis aufzuräumen. Etwas zu Ende zu bringen. Einzupacken.

Wie war das mit der Abdankung des Kaisers?

Das hat Tradition: 1989 tritt am achten November der Ministerrat der DDR zurück. Noch länger her ist 1918. Aber wie war das noch mal mit der Abdankung des Kaisers? Im Geschichtsunterricht kam man nie bis ran an die Zeit, das Schuljahr war immer schon vorher zu Ende.

Deshalb habe ich gerne das ZDF-Doku-Drama „Kaisersturz“ gesehen. Gedreht wurde in und am Neuen Palais, da weiß man die Pracht vor der eigenen Haustür gleich noch mehr zu würdigen. Ob ich alles verstanden habe, was an schweren Schreibtischen oder in Wandelgängen besprochen wurde, weiß ich nicht. Die Dinge waren eben damals wie heute ziemlich verworren und verknispelt: Wer darf was, wer ist zuständig und verantwortlich? Was will man überhaupt und wie will man es erreichen? „Wer mein Nachfolger wird, bestimme immer noch ich“, sagt der Kaiser mit letztem Murren. Das darf heute natürlich keiner mehr sagen. Höchstens denken.

Bloß nicht Verantwortung für den Mist übernehmen, den man verursacht hat

Aber so einige Knallersätze der Gegenwart fielen – zumindest laut Drehbuch – damals schon. Philipp Scheidemann, der am 9. November die Republik ausruft, will „lieber nicht in die Regierung“, bloß nicht Verantwortung übernehmen für den ganzen Mist, den man nicht verursacht hat. Neue Leute sollen her, ein neuer Reichskanzler, aber „alles nur Theater“, sagt der Adjutant und winkt ab. Max von Baden winkt auch ab, er hat keine Lust. Oder Angst. „Politik und Geist, das verträgt sich nicht.“ Es ist ja nicht alles sooo lustig, wie es aussieht. Im Gegenteil. Ganz zuletzt sagt Wilhelm Zwo erleichtert: „Dann hat das Hundeleben ein Ende.“ Er, der immer alles richten soll, allen gerecht werden soll, aber nie alles weiß. Ende, aus. „Und auf den Fluren laß die Winde los.“

Und die SPD, ach herrlich. Verräucherte Versammlungsräume, laute Männer, die mit Hut und Mantel im Stehen diskutieren, damit man jederzeit mit einer Depeche losrennen kann. Kurbeltelefone. Plakatkleber. Jungens mit Extrablatt. Frauen, die hektisch Nachrichten zur Tür reinreichen. Frauen, die sagen, was sie denken: „Wer investiert denn in eine bankrotte Firma“ sagt Luise Ebert zu ihrem Mann, der die Monarchie noch retten will. „Und was werden die Genossen dazu sagen?“

"Auf unseren Beamtenapparat können Sie sich verlassen"

Im Neuen Palais bewahrt Auguste bis zuletzt Contenance. Aber dann kommt der Herbst. Der Kaiser liegt mit Ischias im Bett und Max von Baden macht Dampfbad. Und raunt Friedrich Ebert später aus dem Liegestuhl zu: „Auf unseren Beamtenapparat können Sie sich verlassen.“ Das war der lustigste Satz im Film.

Unsere Autorin ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg

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