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Sie sehen sich kriminalisiert: Über 80 Kitesurfer demonstrierten am Samstag ab 13 Uhr vor dem Potsdamer Rathaus.

© Andreas Klaer

Kitesurfer-Demo vor dem Potsdamer Rathaus: Ortsvorsteher plädieren weiter für Surf-Verbot auf dem Fahrländer See

Der Streit um ein Surfverbot auf dem Fahrländer See wird immer mehr zum Kulturkampf. Am Samstag wurde vor dem Potsdamer Rathaus dagegen demonstriert. Doch die Surfer ernten auch Widerspruch.

Von Carsten Holm

Potsdam - So farbenfroh sah es vor dem Rathaus lange nicht mehr aus: Ein buntes Völkchen von mehr als 80 Frauen, Männern und Kindern hatte sich dort am Samstagmittag versammelt, um gegen das von ihnen befürchtete Verbot vor allem des Kitesurfens auf dem Fahrländer See zu demonstrieren. Sie kamen mit farbigen Segeln, die sie Kites nennen, mit Paddeln und Brettern, ihren sogenannten Boards.

Organisiert hatte die Demonstration der Surf und Kite Verein Potsdam (SKVP). Die zumeist 25- bis Mitte 40-Jährigen, allesamt dem eher hippen Teil der Potsdamer und Berliner Zivilgesellschaft zuzurechnen, sehen Gefahr im Verzug. Denn am 4. November haben die Stadtverordneten wie berichtet den Oberbürgermeister beauftragt, „die rechtliche Situation zum Kitesurfen auf dem Fahrländer See zu klären und ein gegebenenfalls bestehendes Verbot unverzüglich und dauerhaft durchzusetzen”. Das Kitesurfen, das Windsurfen, Segeln und Eissegeln solle ebenso untersagt werden wie das Parken auf Zufahrtswegen und Grünflächen, dafür sollen auch Hinweisschilder aufgestellt werden. Bis zum Februar 2021 soll ein Zwischenstand, bis April dann der Abschlussbericht vorgelegt werden.

Gegen den Stadtverordnetenbeschluss

Was sich aber schon jetzt zeigt: Der Konflikt um den im Nordwesten der Landeshauptstadt gelegenen, gut 1,7 Kilometer langen und über 1,3 Kilometer breiten See scheint sich zu einem regelrechten Kulturkampf auszuweiten. Auf der einen Seite die jung-dynamischen Surfer, die wütend sind und ein angebliches „Recht der Bürger auf Freizeitgestaltung und Seezugang” proklamieren – zu ihrem Paradies. Auf der anderen Seite etablierte Kommunalpolitiker der am See gelegenen Ortsteile Neu Fahrland und Fahrland, die das Biotop in Gefahr sehen, sich aber auch an Anspruch und Auftreten der Sportler stören.

Wenn Carmen Klockow (Bürgerbündnis), die Ortsvorsteherin von Neu Fahrland, über die Kite-Surfer spricht, kommt sie zunächst ins Schwärmen. Sie hat die Surfer gesehen, die mit bunten Lenkdrachen, den Skites, über den See fegen, die sie mit 20 bis 30 Meter langen Seilen steuern, „Jumps” wagen oder abheben und für eine möglichst lange „Airtime” schon mal zehn Meter hoch über dem Wasser fliegen. „Das ist ein buntes Meer. Es sieht richtig schön aus”, sagt Klockow.

Sie und ihr Fahrländer Kollege Stefan Matz (parteilos) kennen aber auch die Kehrseite des Sports. Klockow präsentierte den PNN am Samstag auf Anfrage eine Liste der Rücksichtslosigkeiten von Wassersportlern: „Es war oft überlaufen. Sie fuhren direkt bis an den See. Sie parkten die Straßen zu. Anwohner kamen nicht auf ihre Grundstücke, Landwirte nicht auf ihre Felder. Schäden am Schilfgürtel, Bedrohung der Nist- und Rastplätze vieler Vogelarten.”

Lügenvorwürfe

Wie aufgeladen der Konflikt inzwischen ist, wurde auch am Rande der Demonstration deutlich. Thomas Walter, Vorsitzender des SKVP, dem nach seinen Angaben 69 Mitglieder aus Potsdam, 19 aus dem Umland „und ein paar aus Berlin” angehören, sagt, sein Verein habe alle Argumente der Gegenseite „zerpflückt”. Das Zerpflücken geschieht offenbar mit schwerem Gerät. Wenn Klockow behaupte, der See sei bisweilen überlaufen gewesen, sei das „glatt gelogen”. Es seien an guten Tagen „maximal 20 bis 30“ Surfer dort gewesen, „vielleicht mal 50“, schiebt Vereinssprecher Michael Hecker nach. Auf der Homepage heißt es über einem Stück zum Thema: „Eine Chronologie der Fehlinformation und Lügen.” Am Ende steht ein Männchen da mit dünner, extrem langer Nase. Der Text dazu: „Das Bild zeigt, wohin derartige Lügen führen können.” Allen Ernstes steht da auch: Wassersportler „schädigen die Uferbereiche nicht mehr und nicht weniger als Spaziergänger und Badegäste”.

Anwohner wehren sich gegen Kitesurfer auf dem Fahrländer See: Parkende Autos und wilde Camper im Biotop und auf den Äckern.
Anwohner wehren sich gegen Kitesurfer auf dem Fahrländer See: Parkende Autos und wilde Camper im Biotop und auf den Äckern.

© Stefan Matz/privat

Wassersportler Walter bastelt sich ohnehin gern seine eigene Wahrheit. Sind Surfer für Schäden im Schilf verantwortlich? „Ich habe im Sommer beobachtet, dass Leute mit ihrem Wohnmobil ins Schilf fuhren. Keine Wassersportler.” Also haben Surfer mit den Schäden nichts zu tun? „Jeder Mensch, der an den See geht, gibt einen Impact auf die Natur”– schlechten Einfluss, meint er wohl.

Ortsvorsteher Matz widerspricht

Spricht man den Ortsvorsteher Matz auf die Surfer an, reagiert er gereizt: „Sie gehen durch Stellen im Schilf, die sie vorher kaputtgemacht haben oder breiten auf einem bestellten Acker ihre Kites aus. Sie fahren mit einem Trailer durch den Schilfgürtel.”

Matz erzählt, wie irritiert er war, als ihn einer der Sportler angegangen sei und gefragt habe, „was ich mir als Zugezogener einbilde, anderen hier etwas zu verbieten”. Er lebt seit 18 Jahren im Potsdamer Norden und seit 12 Jahren in Fahrland.

Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) hat bereits im Februar 2019 bei der Stadt ein „Befahrungsverbot” für den See beantragt und seine Forderung jetzt bekräftigt. Kite- und Windsurfer hätten „die größten Scheucheffekte gegenüber verschiedenen Vogelarten” bewirkt, auch „wegen der großen Silhouette”. Der Vogelreichtum am Fahrländer See ist laut Nabu beeindruckend. Fisch- und Seeadler zählen dazu, Graugänse, Tafel- und Reiherenten, Blaukehlchen, Haubentaucher und Gänsesäger. Indes: was die Ornithologen beobachteten, ist bedenklich. Die Störungen durch Surfer, aber auch durch Stand-Up-Paddler hätten „zu wiederholtem Auffliegen der rastenden Wasservögel” geführt. Mögliche Folgen: weniger Zeit für die Nahrungsaufnahme, ein schlechter Ernährungszustand nach der Winterrast und geringere Bruterfolge in den nördlichen Gebieten.

Auch der Nabu stellt sich gegen das Surfen

Der Potsdamer Nabu-Vorsitzende Manfred Pohl notierte, „dass bei wiederholten Störungen Teile der anwesenden Trupps den Fahrländer See ganz verließen”. Sogar manche Anhänger des Surfsports raten vom Fahrländer See ab. Das Szeneportal Spotnetz etwa, das Surf-Orte beschreibt, bewertet das Areal so: „Gesetzlich” sei das Kiten dort zwar erlaubt, „allerdings ist der See so klein und bei gutem Wind so gut besucht, dass Kiten hier absolut nicht angesagt ist!“.

Und: Es gibt auch versöhnliche Töne. Michael Hecker, Sprecher des SKVP, plädiert für eine Befriedung des Streits. Die Stadt habe angeboten, im Januar einen Runden Tisch im Neu Fahrlander Bürgerhaus zu organisieren. Gemeinsam müsse man festlegen, ob etwa nur eine bestimmte Zahl von Wassersport zugelassen werde und ob es sinnvoll sei, Schutzzonen festzulegen. „Was wir da beschließen, werden wir in unserem Verein umsetzen”, verspricht Hecker.

Der Fahrländer See
Der Fahrländer See

© Ottmar Winter

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