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Filmnachwuchs. Die Schüler der Grundschule am Humboldtring mit Regisseur Ljupcho Temelkovska (unten r.) und Birgit Dongowski (oben l.), die beide die Klasse betreuten.

© A. Klaer

Landeshauptstadt: Kino zum Kennenlernen

Für das internationale Filmbildungsprojekt „Cinema en curs“ haben Schüler Dokumentationen gedreht und dabei ihre Umgebung entdeckt

Der Potsdamer Fischer Mario Weber hat gerade einen Fisch mit fachgerechten Handgriffen ausgenommen und filetiert. Die Reste auf seinem Arbeitsplatz spült er ruhig mit einem Schlauch weg. Dicke Tropfen hängen an der Tischkante. Plötzlich erscheint wie aus dem nichts ein majestätischer Fischreiher und stibitzt frech einige der Fischreste.

Die Szene ist Teil eines Dokumentarfilms, den die Willkommensklasse der Grundschule am Humboldtring in Potsdam für das Projekt „Cinema en curs“ gedreht hat. Die Doku „Der Fluss ist mein Leben“ wurde am Dienstag zusammen mit vier weiteren Filmen deutscher und katalanischer Schulen im Filmmuseum präsentiert.

„Cinema en curs“, was so viel bedeutet wie Kino im Kurs, ist ein internationales Filmbildungsprogramm für Schulen. Das Programm wurde 2005 von A Bao A Qu e. V. ins Leben gerufen. Der Verein mit Hauptsitz in Barcelona entwickelt und unterstützt Projekte, die Kultur, Bildung und Künste verknüpfen sollen. Seit dem Start haben bereits über 150 Schulen und 16 000 Schüler teilgenommen. Im Schuljahr 2016/17 waren Schulen aus Katalonien, Madrid, dem spanischen Galicien, Chile und Argentinien und zum ersten Mal auch aus Deutschland dabei. Neben der Grundschule aus Potsdam nimmt auch eine siebte Klasse der Alfred-Nobel-Schule aus Berlin-Neukölln und die Willkommensklasse der Siegmund-Jähn- Grundschule aus Fürstenwalde teil.

Die Ziele des Projekts sind vielfältig, wie Jon Echeverria vom Verein A Bao A Qu erklärt, der die Programme in Berlin und Brandenburg organisiert: „,Cinema en curs’ soll die kulturelle Teilhabe fördern, Filme in den Schulalltag integrieren, den Film für den Unterricht nutzbar machen.“ Auch sollen die soziale Integration gefördert werden und die Schüler ihre Umgebung, ihren Lebensraum untersuchen.

Im Mittelpunkt der insgesamt fünf Dokumentarfilme, die im Filmmuseum gezeigt werden, stehen auf unterschiedliche Weise die Stadt, das Viertel, die Natur der Umgebung und die Menschen, die mittendrin wohnen und arbeiten. Egal ob das Arbeiten und Leben des Fischers Weber an und mit der Havel, die alten Geschichten und Erinnerungen ehemaliger Fabrikarbeiter im früheren Fabrikviertel Poblenou in Barcelona, zwei alte Freunde und Bauern in den katalanischen Bergen oder die Geschichte und die Bewohner des Hufeisenviertels in Berlin-Britz – die Schüler sind in ihrer Stadt oder ihrem Dorf unterwegs gewesen, haben die Menschen ihrer Heimat kennengelernt und etwas über die Geschichte und Vielfalt ihrer Umgebung erfahren.

Das Projekt begann im Herbst vergangenen Jahres. Für die Konzeption, Recherche, Planung und Umsetzung ihrer Doku waren die Schüler selbst verantwortlich. Über das gesamte Schuljahr hatten die Schüler zur Vorbereitung mehrere Stunden in der Woche Unterricht. Neben den Lehrern und Betreuern war in jeder Klasse einmal die Woche ein professioneller Filmemacher mit anwesend, der mit den Kindern Filme analysierte und ihnen das Handwerkszeug beim Umgang mit der Kamera oder der Schnitttechnik beibrachte. „Sie haben sich Filmausschnitte bekannter Regisseure professionell angesehen und analysiert. Und das alles auf Deutsch. Danach gab es eine Recherchephase, in der die Schüler überlegt haben, was sie erzählen wollen. Und dann haben sie den Film selber gemacht“, erklärt die Sozialarbeiterin Birgit Dongowski, die die Grundschulklasse am Humboldtring in Potsdam mitbetreut hat.

Die zwischen acht und zehn Jahre alten Schüler sind Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan oder Tschetschenien. „Die meisten von ihnen sind erst seit September in Deutschland. Ihre Deutschkenntnisse haben sie innerhalb des Projekts aufgebaut“, so Dongowski. Außerdem hätten sie durch den Film viele soziale Kompetenzen erworben und seien mit den Menschen in ihrer Umgebung in Potsdam in Kontakt gekommen. Von dem Projekt waren alle schon im Vorfeld überzeugt gewesen, sagte Stefan Franke, der Lehrer der Klasse. „Es trägt zur Integration bei. Dadurch, dass sie sich mit der neuen Heimat auseinandersetzen und Deutsch lernen.“ Den Kindern hat die Arbeit viel Spaß gemacht, wie der zwölfjährige Abdul aus Syrien schildert. „Ich habe so Deutsch gelernt und neue Freunde gefunden.“ Sein Klassenkamerad Lokman, der vor zwei Jahren aus Syrien nach Deutschland kam, möchte jetzt sogar Regisseur werden, wie er erzählt.

Auch die Sigmund-Jähn-Grundschule, deren Willkommensklasse den Film „Unsere Stadt im Frühling“ präsentierte, ist von dem Programm begeistert. „Wir haben im letzten Jahr ein Projekt gesucht, als Jon Echeverria auf uns zukam“, erzählt Schulleiterin Ines Tesch. „Die Kinder sind seit September da. Keines konnte Deutsch. Durch das Projekt haben sie unsere Stadt kennengelernt, Deutsch gelernt, soziale Kompetenzen und Teamarbeit erlernt und auch Medienbildung“, so Tesch. Die Arbeit mit den Acht- bis Zwölfjährigen habe hervorragend geklappt, so der Klassenlehrer Stephan Gesk. „Zunächst mussten wir den Schülern die Fachbegriffe wie Bildausschnitt, Kamera oder Vordergrund beibringen. Mittlerweile schaffen sie es, schneller zu schneiden als wir.“

Ob das Projekt auch im nächsten Schuljahr stattfindet, wissen die Organisatoren noch nicht hundertprozentig. „Wir versuchen gerade, dafür die Weichen zu stellen“, sagte Echeverria. Voraussichtlich seien neben den drei deutschen Schulen aus den diesjährigen Projekten noch zwei weitere Schulen aus Brandenburg dabei.

Sarah Stoffers

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