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Überraschend brach die Angeklagte Marina S. im Potsdamer Landgericht ihr Schweigen.

© dpa

Kindstötungsprozess in Potsdam: Sieben Jahre Gefängnis für Marina S. gefordert

„Sie wollte das Kind nicht“: Die Staatsanwaltschaft geht nicht von minderschwerem Fall aus. Der Verteidiger der Angeklagten forderte dagegen einen Freispruch für seine Mandantin.

Von Carsten Holm

Potsdam - Im Kindstötungsprozess vor dem Landgericht hat die Staatsanwaltschaft für die 61 Jahre alte Potsdamerin Marina S. eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren gefordert. Für die Anklage steht fest: Marina S. hat im Sommer 2000 ein ungewolltes, uneheliches Kind nach der Geburt in ihrer Wohnung im Schlaatz „mit mindestens einem Stich in die Brust“ getötet. Dies beruhe auf Zeugenaussagen ihres damaligen Ehemanns Klaus-Dieter St. sowie von Nachbarn und Polizeibeamten, begründete Staatsanwalt Jörg Möbius am Mittwoch sein Plädoyer.

„Sie wollte das Kind nicht“, sagte Möbius am achten Verhandlungstag während der Rekonstruktion des Geschehens. S. habe sich bei einer Betriebsfeier Ende 1999 oder Anfang 2000 mit einem anderen Mann eingelassen und sei schwanger geworden. Sie habe das tote Baby, nach der Aussage der Angeklagten vor Gericht ein Mädchen, im Wohnungsflur in einer Mülltüte abgelegt, ihr Mann habe es dann im Hausmüll entsorgt. Punkt für Punkt versuchte Möbius Aussagen in Frage zu stellen, mit denen Marina S. den Tatvorwurf am vergangenen Donnerstag zurückgewiesen hatte. An die Öffentlichkeit gekommen war der Fall, als Klaus-Dieter St. einem Nachbarn 2017 davon erzählt hatte. St. habe, so Möbius, nicht Rache nehmen wollen: „Er wollte die Last loswerden.“

Staatsanwalt zweifelt an Darstellungen der Angeklagten

Marina S. hatte angegeben, in ihrer mit Wasser gefüllten Wanne eine Sturzgeburt erlitten zu haben, ausgerutscht, mit dem Kopf gegen den Beckenrand gestoßen und dann ohnmächtig geworden zu sein. Dann will sie nach dem Baby „gefischt“ haben, das aber tot gewesen sei. „Warum hat sie die Fehlgeburt nicht gemeldet?“, fragte Möbius: „Weil das Baby untersucht worden wäre.“ Und er legte nach: „Sturzgeburt? Einer von 1000 Fällen. Ausgerutscht? Hingefallen? Kopf gestoßen? Ohnmächtig geworden? Kind aus dem Wasser geholt? Es wäre wahrscheinlicher, dass das Kind nach dieser Darstellung ertrunken wäre.“ Wenn man alle Zufälle zusammennehme, „übersteigt das die Vorstellungskraft“.

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Von einem minderschweren Fall und damit von einem Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren könne er nicht ausgehen, sagte Möbius, weil die Aussage der Angeklagten „nicht glaubhaft“ sei und sie sich zudem „nicht mit den Sachverständigen unterhalten“ habe. So bleibe ein Strafrahmen von fünf bis zu 15 Jahren. 

Verteidiger Falko Drescher ließ sich davon nicht beeindrucken. Er forderte Freispruch für seine Mandantin, allein, weil die Umstände, unter denen das Baby gestorben sei, „völlig im Dunkeln liegen“. Weil Marina S. die Tatvorwürfe in allen relevanten Punkten zurückgewiesen hatte, war Klaus-Dieter St. am Mittwoch zum zweiten Mal als Zeuge geladen worden. 

Nochmals befragte ihn der Vorsitzende Richter Theodor Horstkötter, der St. zur Unterstützung den Potsdamer Anwalt Martin Dakhli beigeordnet hatte, ausführlich – aber der Hauptbelastungszeuge schilderte das Geschehen ohne Widersprüche. Dann fragte ihn seine Ex- Ehefrau: „Warum hasst du mich so?“ „Ich hasse dich nicht“, antwortete St.

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Mit einer einfühlsamen Ansprache hatte Horstkötter zuvor versucht, Marina S. dazu zu bewegen, weitere Aussagen zum Tatgeschehen zu machen. Er legte offen, wie groß die Schwierigkeiten der Kammer seien, ihren Aussagen zu glauben. Sie behaupte, ihr Mann habe die Geburt nicht bemerkt, als er nach Hause kam, sie habe alles gereinigt: „Wie kann er dann Details aus dem Badezimmer beschreiben? Wie kann er wissen, dass eine Schere eine Rolle spielte?“ 

Schwurgericht neigt zu einer Verurteilung wegen Totschlags

Mit dieser will S. die Nabelschnur durchtrennt haben. Wie habe er einen Geruch wahrnehmen können, „obwohl Sie doch nie darüber gesprochen haben?“ Auch die Aufnahmen der Telefonüberwachung stünden im Raum: Man bleibe dabei, hieß es da, dass es eine Totgeburt oder Frühgeburt im fünften Monat gegeben habe. Das mache den Eindruck, es werde „über Vornewegverteidigung nachgedacht“. 

Erkennbar war, dass das Schwurgericht zu einer Verurteilung wegen Totschlags neigt. Wohl ein Hintergrund des Vortrags des Richters, den er aber nicht explizit formulierte: Würde Marina S. zugeben, dem Baby etwas angetan zu haben, könnte das Gericht angesichts eines solchen Geständnisses von einem minder schweren Fall ausgehen – auch weil seit der Tat 21 Jahre vergangen sind und das Sanktionsbedürfnis des Staates mit fortschreitender Zeit geringer wird. Tatsächlich sprach der Richter von einer „Brücke, über die man aber auch gehen muss“.

Danach beriet sich die Angeklagte mit ihrem Verteidiger – und erklärte, bei ihrer Aussage, sie habe das Baby nicht getötet, bleiben zu wollen. Das Urteil soll am Mittwoch, dem 15. Dezember, um 13 Uhr verkündet werden. 

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