zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: „Joachim ist nicht wiedergekommen“

Die Tragödie der Familie Douglas, deren Sohn im April 1946, mit 17 Jahren, von den Russen erschossen wurde

Zwei mehr als 60 Jahre alte Taschenkalender bewahrt die Familie Douglas auf. Hinter den knappen handschriftlichen Notizen von Uhrmachermeister Otto Douglas und seines Sohnes Joachim verbirgt sich eine Tragödie, die erst nach der deutschen Wiedervereinigung aufgeklärt werden konnte. Am 28. November 1945 vermerkt der Vater: „Joachim ist von der Schule nicht nach Hause gekommen. Er wurde vom Russen abgeholt.“ Bereits zwei Tage zuvor waren drei Schulkameraden, darunter sein enger Freund Klaus Tauer, verhaftet worden. Im Kalender des Sohnes findet sich am 2. Dezember 1945 die Notiz: „Von sechs Russen verprügelt.“ Am 9. Dezember wird Joachim nach Hause entlassen, muss aber fast täglich zum Verhör. Heiligabend schreibt der Vater: „Gegen Mittag ist Joachim wieder zum Verhör gegangen und nicht mehr wiedergekommen. Es ist ein trübes Weihnachtsfest.“ Er sollte seinen Sohn nie mehr wiedersehen.

Anfangs brachten die Eltern noch Wäsche und Lebensmittel zur Viktoriastraße (heute Geschwister-Scholl-Straße), wo der sowjetische Geheimdienst in der Verlegervilla Rütten und Loening ein Untersuchungsgefängnis eingerichtet hatte. Dann hieß es: „Ihr Sohn ist nicht mehr hier.“ Erst Jahrzehnte später konnte aufgeklärt werden, dass Joachim Douglas in das berüchtigte KGB-Gefängnis Leistikowstraße gebracht worden war. Am 22. Januar 1946 wurde er wegen angeblicher Tätigkeit im „Werwolf“ (einer nicht mehr wirksam gewordenen Art nationalsozialistischer Partisanenorganisation) zum Tode durch Erschießen verurteilt. Das Urteil wurde am 18. April 1946 in Potsdam, vielleicht auch im Zuchthaus Brandenburg, vollstreckt. Da war Joachim Douglas gerade 17 Jahre alt geworden.

Dieses tragische Schicksal teilten seine Schulkameraden Klaus Tauer und Klaus Eylert. Zu einer langjährigen Freiheitsstrafe „begnadigt“ wurde Hermann Schlüter, der überlebte und heute für die Opfergemeinschaft tätig ist. Joachim Douglas ist am 11. März 1993 von der russischen Militärstaatsanwaltschaft rehabilitiert worden, die Urkunde darüber erhielt seine Schwester auf Antrag am 28. Juli 2004. Dem Urteil lägen keine Fakten einer Widerstandstätigkeit gegen die Sowjetarmee zugrunde, es sei also aus politischen Motiven gefällt worden, heißt es darin. Dies mag eine späte Genugtuung für die Familie sein, kann aber ihr Leid und die jahrzehntelange Ungewissheit nicht vergessen machen. Anlass der Verhaftungen war wahrscheinlich, dass die Schüler die Teilnahme am Russisch-Unterricht verweigert hatten und daraufhin von ihrer Lehrerin denunziert wurden.

Rehabilitiert wurde auch Otto Douglas. Er war 1940 über Umwege nach Potsdam gekommen. Im jetzt polnischen Rothenburg bei Hirschberg (Jelenia Gora) hatte er sich in den 30er Jahren geweigert, in seinem Uhrmachergeschäft ein Hitlerbild aufzuhängen und am Führergeburtstag zu flaggen. Daraufhin wurde sein Geschäft von Nazianhängern boykottiert, sodass er es aufgeben und wegziehen musste. Nach Kriegsende wurde Douglas am 26. November 1945 zwangsverpflichtet und als Leiter einer Uhrenwerkstatt eingesetzt, die für die sowjetischen Besatzer arbeitete. Mancher erinnert sich noch an das Geschäft in der Brandenburger Straße, das Otto Douglas dann als privater Handwerksmeister weiterführte. Bald wurde er jedoch unter Druck gesetzt, den günstigen Standort dem staatlichen Handel zu überlassen. Dass er sich weigerte, kam ihn teuer zu stehen. Wegen angeblichen Wirtschaftsverbrechens wurde er 1957 zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Als Vorwand diente, dass er Ersatzteile und Uhren auch aus Westberlin bezogen hatte.

Das Schicksal der Familie mag ungewöhnlich hart erscheinen, aber es ist für die Ära der Diktaturen keine Ausnahme. An das tragische Ende von Joachim Douglas und seiner Kameraden wird seit 2004 in ihrer ehemaligen Schule, dem heutigen Einstein-Gymnasium, durch eine Gedenktafel und in der kürzlich in der Lindenstraße 54 eröffneten Ausstellung über die Potsdamer Opfer des stalinistischen Terrors erinnert. Im Zusammenhang mit dem Ausbau des KGB-Gefängnisses Leistikowstraße zur Gedenkstätte legt Anke Höhne vom Opferverein „Memorial Deutschland“ in den nächsten Tagen einen Band „Schatten zwischen Belvedere und Schloss Cecilienhof“ mit Kurzbiographien von Häftlingen vor – auch von Joachim Douglas. Erhart Hohenstein

Erhart Hohenstein

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false