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Landeshauptstadt: „Jesus war der erste Kommunist“

Das Leben der Maria von Pawelsz-Wolf, die früh ihren Vater verlor, den CDU-Politiker Wilhelm Wolf

Das Wetter ist wunderschön am 13. Mai 1948. Der Vater fährt davon und kehrt nicht wieder. Maria von Pawelsz-Wolf erinnert sich gut. Ihr Vater Wilhelm Wolf, Mitbegründer und Landesvorsitzender der CDU in Brandenburg sowie Vizepräsident des Landtages, will im Osten von Berlin eine Rede halten. Vom Landtag wird ihm ein neuer Chauffeur zugewiesen, einen jungen Mann. Maria Wolf ist neun Jahre alt damals. Nie hat die heute 68-Jährige die Bilder vergessen können, wie am Abend des nächsten Tages „eine schwarze Kalesche“ vor dem Haus in der Seestraße hält.

„Er ist schlicht ermordet worden“, fegt sie jeden Zweifel hinweg. Der Wagen ihres Vaters prallt in Berlin-Grunewald gegen eine Betonwand – ein entgegenkommendes Auto soll den Chauffeur geblendet haben. Der schwerverletzte CDU-Politiker kommt ins Martin-Luther-Krankenhaus, der berühmte Chirurg Ferdinand Sauerbruch lässt wissen, „besser er stirbt“. Das geschieht gegen Abend des 14. Mai. Mysteriös, bei der Beerdigung flüstert ein Parteifreund der Witwe Erika Wolf zu: „Ich bin aber nicht der Mörder ihres Mannes“. Wilhelm Wolf war strikt gegen eine deutsche Teilung, als er sich zur Wahl für den CDU-Vorsitz stellte, seien „Leute“ gekommen, die ihn warnten, er soll gerade das nicht tun.

Maria von Pawelsz-Wolf ist eine Konservative jenen Typs, für die „alte Kommunisten“ noch „anständige Leute“ waren. Beispielsweise der DDR-Minister Heinrich Rau, der ihre Mutter ab und zu in seinem gepanzerten Dienstwagen mit nach Berlin nahm. Die Christdemokratin sagt auch Sätze, die auf der linken Seite des politischen Spektrums als unterschriftsfähig gelten dürften, wie etwa diesen: „Jesus war der erste Kommunist.“

Der Potsdamer Chemie-Professor Otto Liebknecht, Bruder von Karl Liebknecht und Entdecker chemischer Grundlagen für das Waschmittel „Persil“, kümmerte sich mit seiner Frau nach dem Tod des Vaters um die Familie. Im Juli 1950 flieht die Witwe Erika Wolf mit Maria und den beiden Brüdern nach West-Berlin. In der jungen DDR ist es gefährlich für Christdemokraten, wenn sie sich weigern, „Blockflöten“ der von der SED geschaffenen „Nationalen Front“ der Blockparteien zu werden. Im März waren Erwin Köhler, CDU-Bürgermeister von Potsdam, und seine Frau Charlotte verhaftet worden. 1951 werden sie in Moskau erschossen.

Diakonissen nehmen die Wolfs zunächst auf. Dann erhält Erika Wolf eine Stelle beim Schwedischen Hilfswerk in Bonn, vermittelt durch Andreas Hermes. Hermes ist für Maria von Pawelsz-Wolf 1945 in Berlin der wahre Gründer der gesamtdeutschen CDU, nicht etwa Konrad Adenauer. Sie selbst kommt in das Stift Keppel im Siegerland, ihre Brüder in ein Heim in Schweden. 1955 besucht sie in Detmold die Schule und hat wegen des Stifts „schreckliche Männerangst“, obwohl es ein Mädchengymnasium ist.

„Du lernst zuerst ein Handwerk“, bestimmt die Mutter, „wenn du in die Politik gehst, musst du in der Lage sein, untertauchen zu können“. Maria Wolf macht eine Schneiderlehre in Düsseldorf. Jahre später, als sie Lehrerin werden will und ihr ein von den linken Ideen der 68er geprägtes Prüfungskollegium das Leben schwer macht, sollte sich der Rat der Mutter als nützlich erweisen. Maria von Pawelsz-Wolf hatte als Beamtin auf Probe einen Leserbrief an die FAZ geschrieben, der unter der Überschrift „Note 1 für die richtige Einstellung“ erschien. Die Aufregung war groß, sie hätte den Dienstweg einhalten sollen, kritisierte ein Schulleiter. Sie aber bewahrt sich die geistige Freiheit in dem sie sich sagt: „Ich habe die Nähmaschine im Keller, ich muss nicht unbedingt Beamtin werden“.

Ab 1960 studiert sie in Köln Betriebswirtschaftslehre. 1966 macht sie in Münster ihr Examen als Diplom-Kaufmann, später arbeitet sie als Berufsschullehrerin. Den Architekten Martin von Pawelsz heiratet sie 1962, mit ihm baut sie 1967 in Bleidenstadt bei Wiesbaden ein Haus. Von Pawelsz stammt aus Kaschubien, einer polnischen Region westlich und südwestlich der Städte Danzig und Gdynia. Sein Vater war ein liberal gesinnter preußischer Offizier, die liberale Erziehung schlägt gut an beim Sohn. Der 83-Jährige sitzt neben seiner Frau auf dem Sofa und nickt ab und zu gutmütig, während seine Frau von ihrem gemeinsamen Leben erzählt. Maria von Pawelsz-Wolf reist viel, oft ohne ihn, mehrmals sogar nach Indien. Ob er da nicht auch einmal etwas dagegen gehabt hat? „Lass sie doch“, sagt er verschmitzt. Der Mann ist die ideale Ergänzung zu Maria von Pawelsz-Wolf; sie eine Dampfmaschine, immer optimistisch, immer neue Ideen und Projekte, er ein Gentleman des „leben und leben lassen“.

Aber wo ist die Schwermut einer Frau, die mit neun Jahren ihren Vater verlor? Woher kommt die Lebensenergie?

„Wollen sie das wirklich wissen?“, entgegnet Maria von Pawelsz-Wolf und erzählt: In Indien macht sie eine „unglaubliche Lebenserfahrung“. Sie trifft in Andhra Pradesh den Guru Sai Baba, der sich als eine Reinkarnation des indischen Heiligen Shirdi Sai Baba begreift. Weltweit hat er zehn Millionen Anhänger. In religiösen Dingen ist die Protestantin tolerant: „Es gibt nur einen Gott, aber es gibt viele Wege zu Gott.“ Sie bittet Sai Baba in einer Audienz um seinen Segen. Dieser antwortet, „I will see“ – was in dem Kontext soviel heißt wie, „später vielleicht oder nie“ und von der zunächst Enttäuschten auch so verstanden wird. In diesen Tagen bricht in Andrha Pradesh ein Bürgerkrieg aus, Premierministerin Indira Gandhi hatte einen Hindu durch einen Moslem ersetzt. Maria von Pawelsz-Wolf gehört zum letzten Trupp, der die Region gerade noch so verlassen kann. Bei ihr sind Anhänger von Sai Baba, die ihr am Ende des Weges ihre Waffen zeigen und ihr sagen, sie hätten den Auftrag gehabt, selbst ihr Leben zu opfern, um sie zu verteidigen.

„Da begriff ich: Das war Sai Babas Segen!“ Die zehn Tage Indien haben sie „reifer“ gemacht. „Ich war zehn Tage aus der Welt“, sagt sie. Die Kraft dieser Tage fließe ihr weiter zu.

Unter dem Motto „Zahnpasta und Spaghetti für die Ukraine“ beginnen Maria von Pawelsz-Wolf und ihre Schüler nach 1990 von Wiesbaden aus Hilfstransporte zu organisieren. Die Fahrten mit einem zu Beginn noch gesponsorten Sattelschlepper gehen nach Kamenez-Podolski, 1992 begleitet sie die zweite Hilfslieferung selbst. Die Not in der ukrainischen Stadt ist groß. Mit Paketen unterm Arm gehen sie und andere durch die Straßen, klopfen an Türen, so auch an der von Lydia Nudelmann. Mit dabei hat die Deutsche ihren Sohn und Freunde von ihm, die gerade bei der Bundeswehr sind. Sie stehen im ärmlichen Wohnzimmer der alten jüdischen Frau, „drei deutsche blauäugige Recken“. Lydia Nudelmann erbleicht, zittert, weint. Die Helferin will begreifen, sie recherchiert und hört von einem Denkmal – „Da will ich hin!“

Es ist kein „Denkmal“, es ist eine Gedenkstätte für ein Massaker. Am 5. August 1941 wurden zigtausende Juden bei Kamenez-Podolski durch SS-Soldaten mit Maschinengewehr-Salven ermordet. Lydia Nudelmann überlebt – und 50 Jahre später stehen junge Männer in ihrer Stube, die so aussehen wie die Mörder von damals. „Ich bin froh, dass ich die Jungs dabei hatte“, sagt die Gründerin des Partnerschaftsvereins Wiesbaden-Schierstein – Kamenez-Podolski e.V.: „So konnte ich zeigen, das Deutschland jetzt anders ist.“

Von der rein humanitären Hilfe schwenkt der 1993 gegründete Verein um zur „Hilfe zur Selbsthilfe“. Aus Hilfsempfängern sollen Produzenten werden; die ersten Produktionsmittel, die Maria von Pawelsz-Wolf nach Kamenez-Podolski bringen lässt sind fünf fabrikneue Nähmaschinen – Mutter Erika Wolf lässt grüßen. Mittlerweile sind mehrere Kleinbetriebe und sogar eine Druckerei mit 70 Angestellten durch die Hilfe des Partnerschaftsvereins entstanden. Und auch das hat die Potsdamerin erreicht: Regelmäßig beginnen junge Mädchen aus Kamenez-Podolski in Deutschland eine Ausbildung zur staatlich geprüften Betriebswirtschafts-Assistentin. Die ersten Absolventinnen haben bereits Karriere machen können.

Potsdamerin, das ist sie irgendwie immer geblieben, 1999 wird sie pensioniert und kehrt zurück an die Stätte ihrer glücklichen, aber jäh endenden Kinderjahre. „Ich bin nach Hause gekommen“, sagt sie. Einige ihrer alten Klassenkameraden aus der Grundschule haben „mich hier bereits entdeckt“. Hin und wieder treffen sie sich. Maria von Pawelsz-Wolfs Augen glänzen, mit einer Hand streicht sie über ein Kissen, darauf aufgedruckt ein Bild, das ihre vier Enkelkinder zeigt. Sie hat noch viel vor, basteln mit Kindern im Bürgerhaus am Schlaatz zum Beispiel.

Offen bleibt die Frage ihres Lebens, die nach dem Schicksal von Wilhelm Wolf, ihrem Vaters. In Potsdam macht sie den Unfallchauffeur ausfindig und stellt sich ihm vor. Der alte Mann hat gerade einen Herzinfarkt überstanden, er sagt nicht viel und sie will keinen neuen Herzanfall provozieren. Das mache ihren Vater nicht wieder lebendig. Der Mann sagte nur, er könne sich gut an den Tag erinnern: „Es war wunderschönes Wetter “

Aber das wusste sie bereits.

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