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Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert im Interview mit den Potsdamer Neueste Nachrichten.

© Ottmar Winter

Interview | Mike Schubert: "Jeder von uns lernt jetzt dazu"

Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) über die Coronakrise in Potsdam, das Virus im Bergmann-Klinikum, sein Ringen um die Garnisonkirche – und Demut.

Herr Schubert, ein schwieriges Jahr geht zu Ende. 2021 birgt die Hoffnung, dass die Pandemie beendet werden kann. Doch Corona wird Folgen haben – auch für Potsdam. Welche Folgen sehen Sie bereits?
Erst einmal müssen wir uns mit aller Kraft darum kümmern, die Pandemie zu bewältigen. Dann setzen wir uns mit dem auseinander, was folgt. Eins ist absehbar: Wir werden in den kommenden Jahren Stück für Stück wieder aufholen müssen, was wir 2020 nicht in dem Tempo geschafft haben, wie wir es uns vorgenommen hatten. Ein Jahr wird dafür nicht reichen.

Kann das Virus das Wachstum der Stadt bremsen?
Das weiß ich nicht.  Eine Aussage wäre zum jetzigen Zeitpunkt spekulativ. Es sieht so aus, dass wir eine andere finanzielle Situation nach der Corona-Pandemie haben werden. Aber die bisherigen Steuerschätzungen sind auch nicht so valide, um darauf konkrete Abschätzungen aufzubauen. Daher müssen wir im kommenden Jahr die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf unseren städtischen Haushalt bewerten. Eins ist Fakt: Was vor der Krise wichtig war, wird auch nach der Krise wichtig sein, gute Arbeit, bessere Bildung, neuer Wohnraum. Wir werden uns vielleicht bei allen Punkten durch die finanziellen Restriktionen an ein anderes Tempo gewöhnen müssen.

Besonders getroffen sind vielfach finanziell schwache Menschen. Hat Corona die Kluft zwischen Arm und Wohlhabend in Potsdam weiter vertieft – und wird sich diese Entwicklung noch fortsetzen?
Corona wirkt in jeder Hinsicht in die Gesellschaft hinein wie ein Brennglas, nicht nur in Potsdam. Das gilt für das Gesundheitssystem, aber auch für die wirtschaftliche Lage. Wir merken sehr genau, dass der Boom, den wir über Jahre auch in der Region erlebt haben, jetzt zumindest an Dynamik verliert. Welche Auswirkungen dies zum Beispiel langfristig auf den Arbeitsmarkt hat und wie es uns gelingt, die wirtschaftliche Dynamik wieder aufzunehmen, wird sich vielleicht Ende des nächsten Jahres zeigen:

Bereiten Sie Maßnahmen vor, wie die Stadt Nöte, die durch weniger Einkommen in Kurzarbeit oder Arbeitsplatzverlust entstehen, lindern kann?
Was machbar ist, werden wir tun. Besonders bei der Wohnungsfrage werden wir unsere Möglichkeiten nutzen. Ich sage aber auch: Was da unter Umständen in Gänze auf uns zu kommt, würde eine Kommune allein überfordern. Man muss auch eingestehen, wo die eigenen Grenzen sind und wo Bund und Land gebraucht werden.

Händler, Gastronomen, Veranstalter, Kulturschaffende und viele andere stecken in ernsten Schwierigkeiten, auf der Brandenburger Straße sind immer mehr Schaufenster leer. Um wie viele Jahre wirft die Pandemie die bislang prosperierende Landeshauptstadt zurück?
Eine solche Jahresprognose lässt sich nicht seriös einschätzen. Worauf wir setzen, was Hoffnung macht: Es hat sich nichts an der guten Lage Potsdams am Rande der Bundeshauptstadt geändert, an der Attraktivität dieser Stadt als Wohnort und Tourismusstandort. Das ist gerade für die benannten Branchen von Bedeutung. Vielleicht haben wir deshalb sogar eine größere Chance als andere Städte, wieder an das Vor-Krisen-Niveau anzuknüpfen.

Brandenburgs Landtag hat gerade einen Haushalt mit einer Kreditaufnahme von 2,7 Milliarden Euro verabschiedet; der Corona-Rettungsschirm für die Kommunen umfasst 434 Millionen Euro. Damit werden die hohen Kosten und Steuereinbußen wegen der Pandemie in Potsdam nicht ausgeglichen sein, oder?
Nein. Aber es ist auch nicht Aufgabe des Landes, alle Einbrüche komplett auszugleichen. Wir sitzen gemeinsam im Boot. Wir haben auch eigene Steuereinnahmen und wir werden nach der Pandemie, oder wenn man mit stabileren Daten arbeiten kann, genau rechnen müssen. Dann werden wir wissen, was für finanzielle Möglichkeiten wir haben. Spekulationen über finanzielle Spielräume halte ich derzeit für nicht seriös.

So oder so, es wird weniger Geld da sein. Es liegt seit Frühjahr in der Luft, dass sich auf einer Streichliste schnell die so genannten freiwilligen Ausgaben finden könnten – für Kultur, für soziale Projekte. Und dann?
Im Rathaus gibt es keine Streichlisten. Ich habe immer betont, dass auch wir als Stadt unseren Beitrag leisten werden. Und ich beteilige mich auch nicht an solchen Spekulationen. Wir werden unsere Möglichkeiten nutzen. Aber gerade Haushaltsfragen sollte man faktenbasiert und nicht aus dem Bauch heraus entscheiden.

In der Coronakrise müssen Politiker manchmal fast täglich Entscheidungen treffen, die man sich vor einem Jahr noch nicht einmal vorstellen konnte. Welches war Ihre schwerste Entscheidung?
(Überlegt lange) … Eine Antwort fällt mir schwer. Wir bewegen uns seit Beginn ja täglich im Spannungsfeld zwischen Bekämpfung der Pandemie, Gesundheitsschutz und Einschränkungen von Freiheitsrechten auf der anderen Seite. Wir sind plötzlich mit Fragen konfrontiert, die sonst in der Kommunalpolitik weniger eine Rolle spielen: Wie geht man mit dem Tod von Menschen um? Wie geht man damit um, dass es auch Grenzen gibt, was wir als Verwaltung, die Stadtverordneten oder ich als Oberbürgermeister beeinflussen kann?

"Mir ist bewusst, dass ich bei der Entscheidung, die ich am Ende treffe, unter Umständen einen Fehler mache."
"Mir ist bewusst, dass ich bei der Entscheidung, die ich am Ende treffe, unter Umständen einen Fehler mache."

© Ottmar Winter

Wie gehen Sie an solche Entscheidungen heran?
Ich bin froh, dass wir einen guten Verwaltungsstab haben, der uns bei den Entscheidungen berät. Mir ist bewusst, dass ich bei der Entscheidung, die ich am Ende treffe, unter Umständen einen Fehler mache – und dass es trotzdem schlimmer wäre, nicht zu entscheiden. Diese Daueranspannung ist sicherlich etwas, was in diesem Jahr besonders herausfordernd war.

Wir sind in der schwierigsten Phase der Pandemie. Was kann noch auf Potsdam zu kommen?
Wir müssen alles tun, um eine Lage wie gerade in Sachsen zu vermeiden. Vor allem geht es darum, dass die Krankenhäuser in Brandenburg den Anfall der Verletzten wirklich bewältigen können. Wir sind da schon jetzt hart an der Grenze, und in einigen Orten im Land Brandenburg darüber hinaus. Ohne gemeinsame überregionale Strukturen wird es immer schwerer. Wir tun gut daran, alle Möglichkeiten auch zu nutzen – vom Appell bis zu klaren Einschränkungen, um die Lage im Griff zu behalten.

Was heißt das für Weihnachten?
Vor allem jetzt an Weihnachten kann jeder seinen Beitrag leisten. Die Frage, die sich jeder von uns stellt, sollte nicht sein, was die Verordnungen uns erlauben, sondern wie wir Kontakte vermeiden können. Besonders sorge ich mich um die Pflegeeinrichtungen. Jeder sollte sich hinterfragen, ob es unbedingt sein muss. Und wenn ja, dann bitte zwingend unter Einhaltung der Regeln, die es speziell für den Besuch in den Senioreneinrichtungen gibt.

Auch in Potsdam gilt der harte Lockdown, samt Ausgangssperre in der Nacht. Wie erleben Sie den Umgang der Leute damit?
Im Großen und Ganzen, sogar in sehr großen Teilen, halten sich die Potsdamerinnen und Potsdamer an die strikteren, aber nötigen Vorgaben. Ich kann nachvollziehen, dass man nicht bei jeder Maßnahme fröhlich reagiert oder glücklich ist. Wir sind auch nicht fröhlich, wenn wir diese Entscheidungen treffen müssen. Und in einer Demokratie gehört auch dazu, dass es Kritik an Entscheidungen gibt. Dass darüber diskutiert wird, ist grundsätzlich notwendig und richtig. Ich würde mir manchmal einen anderen Ton wünschen.

Ich würde mir manchmal einen anderen Ton wünschen.

Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) über die Auseinandersetzung mit Kritikern der Corona-Maßnahmen.

Wie groß ist die Gegenwehr gegen die Corona-Schutzmaßnahmen?
Wir kriegen nicht nur Kritik, sondern auch Zuspruch. Insgesamt gibt es drei Richtungen der Äußerungen: Da sind jene, die die Entscheidungen richtig finden, jene, die noch viel weitreichendere Schritte wollen – und eben auch jene, die sich in der individuellen oder beruflichen Freiheit eingeschränkt sehen oder damit umzugehen haben, dass die Verwaltung nicht so wie gewollt entschieden hat. Wir haben deswegen das Beschwerdemanagement hier im Rathaus neu eingerichtet.

Gibt es auch bedrohliche Anfeindungen?
Wir werden alle nach der Pandemie eine Menge zu verzeihen haben - Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat damit wirklich das Richtige gesagt. Aus dem Erleben als Kommunalpolitiker sage ich, da ist schon Einiges dabei, was hart an die Grenze des Verzeihbaren geht. Bislang blieb es bei verbalen Übergriffen. Und damit muss man umgehen.

Wo ziehen Sie die Grenze?
Mit dem geltenden Recht. Wir prüfen, ob das, was gegen Mitarbeiter der Verwaltung oder auch gegen mich als Oberbürgermeister im Rathaus ankommt, gegebenenfalls auch strafrelevant ist.

Auch das Potsdamer Gesundheitsamt scheint überlastet. Es gab jüngst einen verzweifelten Brandbrief, den rund 35 Mitarbeitende unterzeichnet haben. Wie ist die Lage im Amt derzeit?
Ein Wort vorweg zu dem sogenannten Brandbrief: Es gibt in einer Verwaltung andere Wege, so wie in jedem Unternehmen, wenn man unzufrieden ist. Es gibt Personalvertretungen, an die sich die Mitarbeitenden wenden können und es gibt weitere Möglichkeiten. Aber zur Sache selbst: Natürlich sind die Kollegen des Gesundheitsamtes in einer Pandemie am meisten belastet. Nicht ohne Grund haben wir die Bundeswehr als Hilfe geholt, mehr als 30 Soldatinnen und Soldaten helfen aktuell aus. Und es helfen etwa weitere 40 Kolleginnen und Kollegen aus der Verwaltung dort mit, um die Quarantäne zu überwachen und Kontakte nachzuverfolgen. Mit dem neuen Tarifvertrag haben wir jetzt auch die Möglichkeit, für Kolleginnen und Kollegen der Gesundheitsämter auch Corona-Prämien zu zahlen. Die Landeshauptstadt hat sich sofort bereit erklärt, das zu tun, die erste ist bereits diesen Monat ausgezahlt worden, eine weitere folgt speziell für die Mitarbeitenden des Gesundheitsamtes in den kommenden Monaten. Wir reizen unsere finanziellen Möglichkeiten vollständig aus. Wir wollen, dass die Kollegen für das, was sie momentan für uns alle stemmen, auch vernünftig bezahlt werden.

Wie hoch ist denn die Prämie und wie viele Mitarbeiter bekommen sie?
Alle Mitarbeiter des Gesundheitsamtes bekommen die Prämie, sie liegt im Dezember zwischen 300 bis 600 Euro je nach Entgeltgruppe, wobei diejenigen mit der geringsten Entgeltstufe die höchste Prämie erhalten. Eine weitere Zulage erfolgt für die Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst im März. Zum Gesamtbild gehört auch, dass Ärzte im Gesundheitsamt außer Tarif entlohnt werden, dass Überstunden bezahlt werden, sie teilweise eine Fachkräftezulage erhalten. Wir reizen das wirklich aus.

Weihnachten im kleinsten Kreis, Gottesdienste in Kirchen nur für sehr wenige Menschen, Böllerverbot in ganz Potsdam zu Silvester – und doch könnten weitere Verschärfungen in Potsdam nötig werden. Wann müssten Sie handeln?
Wir haben in Potsdam die Großschadenslage ausgerufen. Denn wir müssen alle Möglichkeiten nutzen, medizinische Plätze, also Bettenkapazitäten zur Verfügung zu stellen.

Aber Potsdam steht im Landesvergleich noch relativ gut da.
Ich halte nichts davon, zu warten bis es heißt, jetzt stehen wir schlecht da. Ich mache das nicht allein an Inzidenzen fest. Ich sage sehr dezidiert: Diese Diskussion geht nach meiner Ansicht in die falsche Richtung. Wir dürfen nicht nur gucken, wann wir die nächsthöhere Stufe erreichen – und reagieren. Die Diskussion muss wieder wie im Frühjahr umgekehrt sein: Wie gelingt es uns, wieder Inzidenzwerte zu erreichen, mit denen die Lage beherrschbar ist? Das ist bei Inzidenz-Werten unter 50 der Fall. Das wären dann unter 30 Neuinfektionen in einer Woche.  Davon ist Potsdam weit entfernt. Wir sollten also nicht gucken, was wir noch nach oben hin an Luft haben. Weil dieser Blick ist trügerisch und bringt uns dem Normalzustand nicht wieder näher. Wir sollten rechtzeitig handeln, um die Zahlen deutlich zu reduzieren. Ich möchte wieder runter.

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Was hindert Sie daran, besondere Maßnahmen zu ergreifen wie beispielsweise Ihr Amtskollege Boris Palmer (Grüne) in Tübingen, mit kostenlosen Masken, subventionierten Taxifahrten, Reihentestungen in Pflegeheimen und speziellen Einkaufsstunden für die besonders gefährdete ältere Bevölkerung?
Die Frage haben wir uns gestellt, sie wird uns immer wieder gestellt. In der Tat: Alle Kommunen gucken derzeit auch beim Nachbarn, über den Tellerrand hinweg, was man tun könnte. Wir haben auch überlegt, Masken zu beschaffen, für den Fall, dass über die Weihnachtsfeiertage die vom Bundesgesundheitsminister angekündigten Lieferungen nicht kommen. Es gab dazu Gespräche mit dem Klinikum, wir wollten gerade bestellen, da wurde der Termin der Ausgabe der Masken durch den Bund verkündet. Und trotzdem muss man ehrlich sagen: Keiner hat den Stein der Weisen. Und auch die kurze mediale Aufwallung über das Agieren von Boris Palmer führte am Ende in eine mediale Entschuldigung von ihm. Dennoch werden wir jede Idee auch weiterhin prüfen ob Sie auch in Potsdam etwas bringen könnte.

Landesweit gibt es mittlerweile Corona-Fälle in jedem vierten Pflegeheim (Stand 16.12.). Haben Sie Pläne für einen besseren Schutz der Bewohner von Potsdamer Pflegeheimen?
Ich denke, dass der Weg, jetzt FFP2-Masken auszureichen, mit Schnelltests zu arbeiten, trotz aller Unwägbarkeiten richtig ist. Trotzdem sehen wir selbst in Einrichtungen, die das alles machen, dass es am Ende doch zu Ausbrüchen kommen kann. Es besteht immer eine latente Gefahr das es einen Eintrag über Personal, über Bekannte, beim Arztbesuch gibt. Das Pflegepersonal unternimmt nach dem, was wir sehen, wirklich viel für die Sicherheit - aber eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Wer hundertprozentige Sicherheit suggeriert, der macht etwas falsch, weil er Menschen in eine trügerische Sicherheit schickt.  Wir sollten stattdessen alle Chancen nutzen, vor allem jetzt vor den Weihnachtstagen jeden, der seine Angehörigen in einem Pflegeheim besuchen will, noch einmal zu sensibilisieren: Machen Sie bitte zumindest einen Schnelltest und tragen Sie eine FFP2-Maske statt einer Alltagsmaske, um den Schutz der Bewohner und auch der Mitarbeitenden der Heime zu erhöhen. 

Potsdam war bereits in der ersten Welle im Frühjahr hart getroffen mit dem Virus-Ausbruch im Klinikum „Ernst von Bergmann“ und fast 50 Corona-Toten dort. Wie sehen Sie das Geschehen heute, mit einigen Monaten Abstand?
Natürlich habe ich mich im Nachgang gefragt: Hast Du vielleicht zu langsam reagiert oder zu sehr vertraut? Hast Du die eine oder andere Fehleinschätzung getroffen? Das kann keiner für sich ausschließen, auch ich nicht. Ich weiß, dass ich damals nach bestem Wissen entschieden habe. Im Krisenstab haben wir alle Möglichkeiten genutzt, um auf die Situation zu reagieren. Corona-Ausbrüche, das sehen wir aktuell nicht nur in Potsdam, passieren leider auch in Krankenhäusern. Das eigentliche Problem im Frühjahr war nicht der Ausbruch auf Stationen des Klinikums an sich, sondern, dass er zu spät erkannt und gemeldet wurde und wie dann reagiert wurde. Das hat wertvolle Zeit gekostet.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam ermittelt weiterhin unter anderem wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung gegen die ehemalige Klinikumgeschäftsführung sowie gegen drei Leitende Ärzte. Zudem wird die vom Rathaus einberufene Corona-Kommission, die das Ausbruchsgeschehen untersuchen soll, nun ihren Bericht vorlegen. Wie weit ist die Aufklärung aus Ihrer Sicht?
Man muss beides trennen. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen werden vermutlich  aufgrund des großen Umfangs noch eine ganze Zeit in Anspruch nehmen. Erst am Ende werden wir das Ergebnis sehen. Mit der Kommission ist es etwas anders: Ich bin gespannt auf den Bericht, der sicher wichtige Hinweise geben wird. Es geht darum, wie wir das Klinikum künftig aufstellen, und um das Verhältnis von Stadtverordnetenversammlung, Aufsichtsrat, Gesellschafter zum Klinikum: Wie wollen wir eine Kultur im Haus entwickeln, die ausschließt, was wir im Frühjahr erlebt haben. Wir werden das intensiv bearbeiten und etwas daraus machen. Das Ziel ist klar: Wir wollen gemeinsam ein besseres Krankenhaus schaffen und aus den Fehlern lernen

Die Wege dorthin sind umstritten. Manche wollen einen kommunalen Eigenbetrieb. Die neue Geschäftsführung verfolgt das Ziel eines Neubaus für das Bergmann-Klinikum. Wie stehen Sie zu diesem Vorhaben?
Wir sollten erst den Bericht abwarten, da bin ich gespannt. Man weiß es, man sieht es: Das Krankenhaus ist an dieser Stelle über Jahrzehnte immer wieder mit Anbauten entwickelt worden. Das führt hinsichtlich der Abläufe, der Vorgaben von Hygiene - darüber hat auch der frühere Geschäftsführer offen geredet – zu Verbesserungs- und Investitionsbedarf. 

Wo liegt das Problem?
Wenn wir am Ende zu dem Punkt kommen sollten, dass wir das Klinikum „Ernst von Bergmann“ in Teilen umgestalten und neu bauen, werden wird diese Diskussion mit dem Land führen müssen. Bei einem Maximalversorger kann das nicht die Kommune oder das Unternehmen aus vermeintlichen Gewinnen stemmen. Da ist das Land auch gesetzlich in der Pflicht zu unterstützen. Aber wir wollen uns auch in anderen Bereichen gut aufstellen. Die Rückkehr in den Tarifvertrag war aus meiner Sicht richtig auch wenn das für das Haus wirtschaftlich schwierig ist und der Gesellschafter an der Stelle einspringen wird.

Die Nebenwirkungen werden heiß diskutiert, es gibt auch Kritik.
Trotzdem war es richtig. Ich würde mir manchmal auch wünschen, dass man das Positive nicht verdrängt, nachdem man über Jahre auf die Rückkehr in den Tarifvertrag gedrängt hat: In Brandenburg, in Ostdeutschland dürften wir das einzige Krankenhaus sein, das mitten in der Corona-Pandemie den Weg zurück in den Tarif öffentlicher Dienst geht.

Dennoch, viele Mitarbeitende besonders in der Pflege fühlen sich durch den Tarif zurückgestuft, sie verdienen auch kaum mehr. Wie kann das sein?
Mit der Rückkehr steigen die Personalkosten am Klinikum um acht bis zehn Millionen Euro. Deshalb glaube ich schlichtweg nicht, dass die Masse der 2000 Mitarbeiter weniger oder kaum mehr verdient. Es geht um eine Riesensumme. Verdi und auch die Betreiber des Bürgerbegehrens haben  viel geschafft. Viele Kolleginnen und Kollegen nehmen den Vertrag, der Betriebsrat – er ist der verlängerte Arm der Mitarbeiter, dafür ist er gewählt - unterschreibt: Und trotzdem erlebe ich teilweise eine öffentliche Diskussion als hätten wir gar keinen Tarif eingeführt. Keine andere Kommune in Ostdeutschland steckt dafür so viel Geld in ihr Krankenhaus. Und öffentlich wird manchmal ein Bild gezeichnet als nichts passiert, was bei mehr als acht Millionen mehr Personalkosten schlicht nicht sein kann.

Demonstration für mehr Gehalt vor dem Klinikum "Ernst von Bergmann" im Sommer 2020.
Demonstration für mehr Gehalt vor dem Klinikum "Ernst von Bergmann" im Sommer 2020.

© Sebastian Gabsch

Das kann auch darauf hindeuten, dass viele Mitarbeiter vorher besonders wenig verdient haben und deshalb jetzt große Gehaltszuwächse erhalten, während die Pfleger wenig profitieren.
Das würde ja im Umkehrschluss bedeuten, dass sie bisher fast Tarif erhalten haben. Wir sollten auch in Potsdam in manchen Diskussionen dazu kommen, rechtliche Rahmenbedingungen anzuerkennen. Das Tarifvertragssystem wird von der Landeshauptstadt Potsdam übernommen, der Kommunale Arbeitgeberverband gibt uns Regeln vor. Was nicht funktioniert: Man holt sich aus verschiedenen Baukästen Teile heraus – und meint, dass das alles geht. Nein, es geht  leider nicht immer alles! Der rechtliche Rahmen gilt auch in Potsdam. Ich würde mir wünschen, dass das deutlicher wird. Wir halten uns nicht aus bösem Willen an Recht und Gesetz, sondern weil wir dazu verpflichtet sind.

Wie jedes Jahr wurde auch 2020 erbittert um die Garnisonkirche gestritten, um Turm-Aufbau, Rechenzentrum, die weitere Gestalt. Sie wollen einen Kompromiss. Ist das nicht vergebene Liebesmüh?
Warum sollte es das sein? Wir sind noch lange nicht am Ziel, aber wir sind jetzt schon einen großen Schritt weiter, auch im Umgang: Vor zwei Jahren hätte niemand geglaubt, dass die Nutzer vom Rechenzentrum und der Garnisonkirche sich gemeinsam an einen Tisch setzen würden. Wir haben dieses Jahr den Punkt erreicht, dass beide Seiten und die Landeshauptstadt gemeinsam in ein strukturiertes Verfahren einsteigen wollen. Wir haben einen neuen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung erreicht, der dieses Verfahren überhaupt erst einmal ermöglicht hat. Ich wollte etwas weiter sein, was auch wegen Corona nicht möglich war. Es ist allemal wert, weiter daran zu arbeiten. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass wir eine gemeinsame Lösung hinbekommen.

Neben dem Rechenzentrum (rechts) wächst der Turm der Garnisonkirche in die Höhe.
Neben dem Rechenzentrum (rechts) wächst der Turm der Garnisonkirche in die Höhe.

© Sebastian Gabsch (Archiv/ Juni 2020)

Was erwarten Sie vom Brainstorming-Prozess, den die Design-Thinking-Experten des Hasso-Plattner-Instituts steuern sollen?
Es geht um einen Prozess, bei dem die Beteiligten miteinander nach einer Lösung suchen. Deshalb will ich vorher ganz bewusst keine Erwartungshaltung formulieren. Es geht nicht darum was der Oberbürgermeister erwartet. Mir ist es wichtig, dass wir zum einen diesen Ort für Diskurs der Stadtgesellschaft erhalten und zum anderen den 30 Jahre andauernden Konflikt in eine Form auflösen, wo man miteinander auf dem Areal von Garnisonkirche und Rechenzentrum etwas entwickelt. Das widerspricht sich nicht.   

Sie haben den berühmten Architekten Daniel Libeskind ins Spiel gebracht, um am Standort der Kirche die Brüche sichtbar zu machen. Wie ist der aktuelle Stand?
Daniel Libeskind hat über ein Gespräch Interesse signalisiert. Wir weichen aber nicht von dem klaren Verfahren ab, das mit der Stadtverordnetenversammlung vereinbart wurde. Es bleibt also dabei: Erst einigen wir uns über das inhaltlich Konzeptionelle. Und danach reden wir über die Architektursprache. Und zwar nicht mit einem Architekten, sondern in einem Verfahren. Ich kann zu diesem Zeitpunkt eigentlich gar nicht mehr sagen als: Man hat sich zusammen auf den Weg gemacht.

Hat Herr Libeskind weiterhin Interesse?
Wir haben gegenüber Herrn Libeskind das Verfahren erläutert, und zwar nicht die Stadt allein, sondern gemeinsam mit der Garnisonkirchenstiftung und der Fördergesellschaft. Er kennt also die Rahmenbedingungen. Und ich sage noch einmal: Ich habe überhaupt keinen Anlass und sehe auch keine Notwendigkeit, von dem Verfahren abzuweichen. Im Gegenteil: Der Beschluss der Stadtverordneten ist für mich bindend. Ich wollte ihn auch nie anders haben.

Hat Daniel Libeskind denn auf Ihre Mitteilung reagiert?
Er kennt unser Schreiben und hat mit Verständnis reagiert. Und damit ist zum jetzigen Zeitpunkt zur Architekturfrage auch nichts zu diskutieren.

In ähnlich verfahrener Lage erscheint auch das Vorzeigeprojekt Krampnitz. Der neue Potsdamer Stadtteil wird erst einmal nur für 5000 statt wie angepeilt für 10.000 Bewohner geplant, es hakt bei der Tramtrasse, beim Energiekonzept. Waren die Krampnitz-Pläne von Anfang an zu hochfliegend?
Die Pläne in Krampnitz Wohnraum zu schaffen? Nein, ich denke nicht. Wenn Sie die zeitlichen Vorstellungen meinen, dann waren die Pläne zum Beginn sehr ambitioniert. Ich habe bereits im 2019 klar gesagt, und daran hat sich nichts geändert: Wir können dort erst 10.000 Menschen ansiedeln, wenn die Straßenbahn fährt, die Verkehrsanbindung geklärt ist, vorher geht nur weniger. Wir werden jetzt die ersten 5000 Bewohnerinnen und Bewohner schrittweise dort hinziehen lassen. Und wenn das Planfeststellungsverfahren für die Tram fertig ist, werden wir über weitere Schritte entscheiden. Dass man einen Stadtteil für 10.000 Menschen nicht innerhalb von zehn Jahren aus dem Boden stampft inklusive Verkehrsanbindung, zeigt ja auch der Blick ins Bornstedter Feld, da haben wir die Planungen in den 1990er-Jahren begonnen. Man muss in der Stadtentwicklungspolitik akzeptieren, dass lange Linien auch in der Planung lange brauchen. Man muss solche Projekte in Ruhe und seriös planen und das braucht Zeit. Und wir müssen manchmal auch in unserer Stadt zulassen, dass Dinge Zeit brauchen. Daran sollten wir uns alle gewöhnen. Durch den schieren Wunsch, Probleme zu lösen, wird es nicht beschleunigt. Das zeigt sich insbesondere bei den Wohnfragen.

Das alles war ja vorher bekannt. Warum ist dieses Projekt nicht längst viel weiter?
Das Projekt ist mehrfach verändert worden,: Anfangs hat man mit 3800 Bewohnern geplant, ohne Tram, daraus wurde dann eine 5000er-Bewohner-Bebauung und später ist man zum Schluss gekommen, dass auch 10.000 Menschen vertretbar wären.

Wann werden in Krampnitz 10.000 Menschen leben?
Ich habe schon im letzten Jahr gesagt, dass sich dies erst seriös sagen lässt, wenn wir für die Straßenbahn eine Planfeststellung haben. Und wir brauchen vor allem seriöse, einhaltbare Zeitpläne und keine Luftschlösser.

Ein weiteres Großprojekt, an dem es derzeit heftige Kritik gibt, ist das Digitalzentrum, das bald am Standort des früheren Reichsbahnausbesserungswerks – kurz RAW - am Hauptbahnhof entstehen soll. Jetzt kündigt eine Initiative via Flyer und Graffiti an, den „Investor zu verjagen“. Wie stehen Sie zu diesen Vorgängen?
Dieser Versuch verbalvulgärer Revolutionsrhetorik mit impliziter Gewaltandrohung hat in unserer Stadt keinen Platz. Potsdam ist eine Stadt der Toleranz, des Miteinanders und des friedlichen Streits der Meinungen und Ideen. Was wir aber hier an Aggression erleben, darf keine Sympathie in unserer Stadt finden. Wer Drohungen an Wände schmiert, zeigt, dass er an ernsthafter Konfliktlösung nicht interessiert ist. Die Industriegeschichte zeigt, dass Maschinenstürmer noch nie einen progressiven Beitrag zu sozialen Verbesserungen leisten konnten. Für mich ist das ein Umgang mit Fortschritt, der für Menschen, die sich vermeintlich für links halten, eher sehr bewahrend konservativ ist. Man kann solch ein Projekt gestalten, man kann damit umgehen, aber so zu tun, als wenn man mit Gewaltandrohung Projekte verhindern kann, hat in der Stadt nichts zu suchen als politischer Ansatz. Da ist eine Grenze überschritten worden.

Es geht laut Investor um 1000 Hightech-Arbeitsplätze, geplant ist extravagante Architektur, Kapital für Start-ups – das Ganze klingt für eine Kommune ja fast zu gut, um wahr zu sein. Gibt es einen Haken?
Das ist ja das Spannende! So ein Projekt wird in der Phase - wie jedes andere - sehr genau untersucht, ob die Wirtschaftlichkeit gegeben ist. Das haben die Kollegen der Bauverwaltung gemacht. Was da an Architektur entsteht, tut der Stadt auch als Ergänzung und mal als modernerer Entwurf durchaus gut. Man kann, man darf, man soll über Architektur streiten. Vielleicht müssen wir uns in Potsdam aber daran gewöhnen, dass es nicht das Diktat einer Form von Architektur gibt, und dass es nicht Gruppen geben darf, die für alle entscheiden, was schön ist und was nicht schön ist.

Die Kritiker aus dem linken Spektrum befürchten, die Mieten im Umfeld werden durch die Ansiedlung steigen.
Es gibt dazu klare Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung, die auch von mir mitgetragen werden. Die Verwaltung ist beauftragt, zum Milieuschutz Vorkehrung zu treffen. Das werden wir in dem Maße, wie wir können, auch vollumfänglich tun.

Unverständnis gibt es auch, weil die kommunale Pro Potsdam für rund 1600 Wohnungen – also knapp zehn Prozent des Wohnungsbestandes – mitten in der Krise die Mieten erhöht hat. Halten Sie das immer noch für zulässig und notwendig?
Die Pro Potsdam hat entschieden, weitere Entscheidungen über Mieterhöhungen im Lichte der Pandemie abzuwägen. Worum es mir in der Diskussion geht, und dazu stehe ich: Wir achten in Potsdam wirklich genau darauf, beispielsweise über die Mietenbremse, was unser kommunales Unternehmen macht. Wir müssen aber aufpassen: So wie wir den eigenen Haushalt der Stadt nicht überfordern dürfen, dürfen wir auch kommunale Unternehmen nicht überfordern in dem, was wir von ihnen als soziale Leistungen erwarten. Es gibt andere staatliche Ebenen, an dieser Stelle zu helfen, in der Form von Individualförderung. Menschen, die ihren Wohnraum nicht mehr in dem Umfang bezahlen können, können sich über Sozialtransferleistungen unterstützen lassen.

Also weiter Mieterhöhungen?
Auch eine Gesellschaft wie die Pro Potsdam muss in den Mieterhalt investieren. Ich weiß, es kommen sofort die Stimmen: An meiner Wohnung ist ja in den letzten Jahren nichts gemacht worden. Ja, das ist richtig. Investitionen erfolgen nicht  wohnungsscharf. Aber die Pro Potsdam arbeitet mit dem Gesamtbestand in der Stadt. Und wir dürfen nicht den Fehler machen, die Qualität des Wohnungsbestandes der Pro Potsdam n Frage zu stellen. Es wäre der falsche Weg, Mieterhöhungen auf Dauer auszuschließen. Wer das betreibt, macht aus der Pro Potsdam letztlich einen Reparaturbetrieb für Dinge, für die sie als kommunales Unternehmen nicht allein zuständig ist.

Ein Sprung zur Stadtpolitik: Mithilfe des rot-grün-roten Bündnisses in der Stadtverordnetenversammlung haben Sie einige Ihrer politischen Zielsetzungen vorangebracht – doch die Kooperation wirkt oft nur wie eine Zweckehe. Wie viel Zutrauen haben Sie in Ihr Regierungsbündnis?
Koalitionen und Kooperationen sind immer nur Zweckehen. Es sind drei Parteien. Diskussionen und Reibereien sind normal. Im Großen und Ganzen, wenn man den Rauch und den Donner, der bisweilen dabei ist, verziehen lässt: Die Rathaus-Kooperation hat auch in diesem Jahr eine Menge umsetzen können. Vielleicht nicht so viel, wie jeder für sich gedacht hat. Aber zu einem Bündnis gehören Kompromisse, weil man eben Mehrheiten braucht. Es ist auch normal, dass es Diskussionen auch innerhalb der Parteien gibt. Wir machen hier Kommunalpolitik, da sind solche Diskussionen manchmal ein Stück breiter angelegt.

In den bürgerlich-konservativen Schichten der Stadt hört man die Klage, Sie seien nicht in dem Maße Repräsentant und Ansprechpartner auch für sie wie Ihr Vorgänger Jann Jakobs. Sie argumentieren, dass die Stadt eben mehrheitlich progressiv – oder auch links – gewählt habe, die Rathauspolitik dies widerspiegle. Ist das nicht ein gefahrgeneigtes Spiel, das Gräben in Potsdam eher vertieft?
Ich kann es nur wiederholen: Wir haben diese Diskussionen umgekehrt geführt, als über Jahre Fraktionen links von der Mitte nicht Teil der Kooperation waren. Damals gab es ein Bündnis, in dem eine bürgerliche Partei dabei war. Da kamen Beschwerden von der linken Seite. Ich glaube, das wohnt Demokratie auch ein Stück inne. Für mich ist es jederzeit möglich, sinnvolle Ideen mitzutragen, die mehrheitsfähig in der Stadtgesellschaft sind. Die konfrontative Zuspitzung, das Beharren auf der eigenen Meinung, der permanente Konflikt hilft da nicht weiter. 

Im Jahresend-Interview vor einem Jahr haben wir über dieselben Probleme gesprochen, Krampnitz, Garnisonkirche, Personalnot im Rathaus. Mal vom Krisenjahr abgesehen: Frustriert es Sie, dass es offenkundig nur langsam vorangeht?
Nein, weil wir überall weiter sind. Wir sind in diesem Ausnahmejahr vielleicht nicht so schnell vorwärts gekommen wie gedacht. Das hat Gründe in Corona, es hat auch mit der IT-Situation am Anfang des Jahres zu tun. Wir stellen uns ja nicht hin und sagen, es ist alles erreicht. Wir sind nicht selbstzufrieden.   

Anfang des Jahres hatte eine Cyberattacke die Verwaltung teils Monaten lahmgelegt. Verantwortlichkeiten und Versäumnisse sollten aufgeklärt werden. Haben Sie dazu mittlerweile Erkenntnisse?
Erkenntnisse haben wir keine. Aber mittlerweile gibt es seitens der Datenschutzbeauftragten des Landes eine klare Aussage, die weit unterhalb einer Rüge liegt.

Unter Sozialdemokraten wird die Potsdamer Lage hinter vorgehaltener Hand nicht immer freundlich besprochen. Bevor Sie persönlich landespolitische Ambitionen hegten, sollten Sie erst einmal Ihre Stadt in Ordnung bringen, heißt es da. Ärgert Sie das?
Potsdam nimmt eine sehr gute Entwicklung. Das zeigen auch in diesem Jahr wieder viele objektive Bewertungen. 

Ich kann den Quatsch einer Nachfolge-Diskussion nicht mehr hören

Mike Schubert über die Diskussion um die Nachfolge von Brandenburg Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD).

Hintergrund der Freundlichkeiten ist sicher, dass in der SPD die Frage der Woidke-Nachfolge näher rückt. Zwei Namen werden immer genannt: Kathrin Lange und Mike Schubert. Machen Sie bald den Platzeck, also einen vorzeitigen Abgang?
Ganz ehrlich: ich kann den Quatsch einer Nachfolgediskussion, angeheizt von manchen Medienvertretern, mittlerweile wirklich nicht mehr hören. Eine ähnliche Frage wie diese gab es auch im letzten Jahr. Da war Dietmar Woidke gerade wiedergewählt und ich ein Jahr im Amt. Nachfolge-Diskussionen führt man zu Zeitpunkten, wenn sie nötig werden.  

Ich sage auch, warum das so ist: Wir machen alle unseren Job auf der Stelle wo wir sitzen. Wir haben da genug zu tun.

Landesvize der Partei sind Sie schon mal nicht geworden – erst hatten Parteifreunde Sie als Kandidat ins Spiel gebracht, dann aber wegen angeblicher Potsdam-Dominanz wieder fallen gelassen. Es hieß, Sie seien sehr enttäuscht und auch sauer gewesen darüber. Stimmt das?
Was ich bei dieser Diskussion bemerkenswert finde: Seit mittlerweile zehn Jahren bin ich Mitglied des brandenburgischen SPD-Landesvorstandes. Es ist also nicht so, dass ich in diesem Jahr erstmalig entschieden habe mich landespolitisch zu engagieren. Der Vorgang, den Sie beschreiben, ist unspektakulär: Dietmar Woidke hat einen Potsdamer als Generalsekretär vorgestellt. Da verbietet es sich, dass sich ein weiterer Potsdamer für den geschäftsführenden Vorstand zur Verfügung stellt. Für mich war sofort klar, dann einen Schritt zur Seite zu gehen, da habe ich Platz gemacht. David Kolesnyk und ich arbeiten auch schon ein paar Jahre zusammen.   

Bundespolitisch sind Sie 2020 mit Ihrem Einsatz für Flüchtlinge aufgefallen. Wie ist die Lage aus Ihrer Sicht?
Die Situation der Geflüchteten im Mittelmeerraum zeigt sehr, sehr deutlich, was man mit Aufmerksamkeitsökonomie beschreibt. Während es für viele Anfang 2020 eine große Rolle gespielt hat, war es in Deutschland, als wir uns um die Corona-Pandemie kümmern mussten, praktisch vom Radar verschwunden. Diejenigen, die sich vorher engagiert hatten, fanden kein Gehör mehr. Das ging nicht nur mir so, das ging meinem Kollegen Belit Onay in Hannover genauso. Das änderte sich kurz noch einmal mit der tragischen Brandkatastrophe im Lager von Moria. Da hat die Öffentlichkeit noch einmal wahrgenommen, dass es in der für Europa wichtigen humanitären Frage immer noch keine Lösung gibt.

Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert im Frühjahr 2020 im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos - vor dem Brand im Spätsommer.
Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert im Frühjahr 2020 im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos - vor dem Brand im Spätsommer.

© PNN

Wo sehen Sie die Rolle Potsdams?
Wir haben es geschafft, als Landeshauptstadt das Städtebündnis Sicherer Häfen zu schmieden. So etwas gab es vorher nicht. Es ist auch ein besonderes Verdienst von Ursula Löbel, die sich sehr engagiert hat. Wir haben mit 15 Städten angefangen, die sich damals in Potsdam getroffen haben. Heute sind wir ein starkes Bündnis - und haben den Mut, den nächsten Schritt zu wagen, nämlich ein europäisches Bündnis aufzubauen. Ich habe vor einigen Tagen, mit Leoluca Orlando, meinem Kollegen aus Palermo,  eine Erklärung unterschrieben, um das kommunale Bündnis aus Deutschland auf die nächste Ebene zu tragen, um ein europäisches Netzwerk daraus zu machen. Es geht nicht darum, Außenpolitik zu machen. Wir zeigen aber, dass es jenseits nationaler Egoismen in Europa beim Umgang mit Migration in den Städten eine Aufnahmebereitschaft gibt, die demokratisch legitimiert ist. Wenn Städte freiwillig bereit sind, dann fällt es denjenigen, die gern so tun, als gäbe es dafür keine Legitimation, keine Rechtsgrundlage schwerer, diesen Popanz aufzubauen. 

Sie haben auch persönlich eine schwierige Zeit hinter sich. Eine Augenverletzung hat Sie einige Wochen aus dem Verkehr gezogen. Was haben Sie in diesem Corona-Jahr – vielleicht auch über sich selbst – gelernt?
Ich denke, jeder von uns lernt in so einer Ausnahmesituation dazu. Es ist auch für mich nicht das erste Mal. Für mich war es ein Zeichen, aufzupassen, demütig zu sein, weil es immer schnell passieren kann, dass sich Lebensumstände gravierend verändern. Ich musste mich ja zwischenzeitlich mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass mein Auge vielleicht nicht wieder vollständig gesund wird. Dass man es schaffen kann, damit klar zu kommen, aktiv zu bleiben, nehme ich als Ermutigung. Nicht nur für mich, sondern vielleicht auch für andere Menschen die mit den Folgen einer schweren Verletzung umgehen müssen.

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