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Interview: „Es geht um gut oder schlecht“

Reiner Nagel, neuer Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, über Gegenwartsarchitektur und ihre gesellschaftliche Akzeptanz sowie Schwächen der Schiffbauergasse.

Herr Nagel, der Architekt Volkwin Marg forderte, dass die Bundesstiftung nicht nur der verlängerte Arm des Bundesbauministeriums sein dürfe. Ich nehme an, Sie würden diese Forderung nach einer Nichteinmischung der Politik in die Belange der Stiftung unterschreiben?

Die Stiftung ist selbstverständlich kein verlängerter Arm des Bundesbauministeriums, sondern die Stiftung gehört sich selbst. Sie ist unabhängig und überparteilich, und sie hat einen Gesetzesauftrag, der aus dem Parlament kommt, also aus der Gesamtgesellschaft. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir da irgendwie konditioniert werden. Überhaupt nicht. Wir haben unsere Gremienstrukturen und ansonsten gestalten wir unseren Wirkungsbereich selbst.

Sie sehen keine Gefahren für die geistige Freiheit in Ihrem Haus?

Nein, absolut nicht.

Es wird bemängelt, dass die Finanzierung der Bundesstiftung nicht besonders üppig ist. Auch Sie sprachen von der Notwendigkeit des Einwerbens von Drittmitteln. Das wirft wiederum die Frage nach der Unabhängigkeit auf.

Wir haben immerhin ein dauerhaftes Budget von circa 1,2 Millionen Euro pro Jahr. Damit kann man gezielt politische Lobbyarbeit machen für mehr Qualität unserer gebauten Umwelt. Die Basisfinanzierung wollen wir aufstocken durch Projektfinanzierungen von Kooperationspartnern und durch das Mitwirken von Unternehmen aus der Baubranche. Dafür ist auch unser Förderverein wichtig.

Zu den von Ihnen definierten Arbeitsschwerpunkten gehören die Themen Wohnen und nutzungsgemischte Quartiere. Das sind Stichworte, die Potsdamer hellwach werden lassen.

Wohnen ist ein brandaktuelles Thema – das wir auch auf der ,Stadt für eine Nacht’ mit einer Talkrunde diskutieren werden. Der aktuelle Bedarf an Wohnungen in Potsdam und Berlin ist eine Herausforderung. Im Moment diskutieren wir dabei aber eher über Quantitäten: Wie schaffen wir es, in Potsdam 1000 Wohnungen im Jahr, in Berlin 6000 bis 10000 zu bauen? Bei aller Hast fehlt der qualitative Aspekt: denn diese Wohnungen müssen auch nach zwanzig und mehr Jahren auf dem Markt bestehen können. Deshalb ist neben dem Kriterium Lage auch die Qualität – nämlich Baukultur – sehr relevant. Schon jetzt ist absehbar, dass aufgrund des demografischen Wandels nach 2030 außerhalb von Städten liegende oder schlecht angeschlossene Standorte eine zu geringe Nachfrage haben werden. Und deshalb sollte es vorrangiges Ziel der Städte sein, Wohnungen in den bestehenden Quartieren zu konzentrieren, sie infrastrukturell an Straße und Schiene anzubinden und Nachbarschaften zu ermöglichen, die Vitalität bringen.

Warum bauen wir heute nicht schöne Straßenzüge und Plätze wie etwa im 19. Jahrhundert in Potsdam-West. Das ist heute eine der begehrtesten und attraktivsten Wohnlagen.

Es ist richtig, dass die Gründerzeitbebauung mit hoher Dichte – die übrigens nach der heutigen Baunutzungsverordnung nicht mehr realisierbar wäre – und mit begrünten öffentlichen Räumen die attraktivsten sind. Diese Quartiere sind flexibel nutzbar für Wohnen und Arbeiten, für große und kleine Familien. Im Übrigen können in den Erdgeschossen kleine Läden, Galerien oder Kneipen unterkommen, so dass eine belebte Kiezstruktur entsteht. Warum bauen wir das nicht neu?

gute Frage

Wir bauen es ja teilweise neu. Wenn Sie die Strategien von Berlin und Potsdam hinsichtlich der Nachverdichtung des gebauten Siedlungskörpers betrachten, dann sehen Sie: Hier werden genau diese Leitbilder angestrebt. Nicht in der gleichen Gründerzeitarchitektur, aber mit einer ähnlichen Dichte. Und dieses Sich-Beziehen auf Nachbarschaft schafft dann auch eine interessante Stadt. Ich glaube, dass die Nachverdichtung, das Erfinden von neuen Siedlungsräumen in der Stadt, die Zukunft des Städtebaus ist. Da gibt es immer noch sehr viel Potenzial.

Sehen Sie einen Widerspruch zwischen Wirtschaftlichkeit und Ästhetik?

Nein. Im Gegenteil. Wirtschaftlichkeit im Sinne von nachhaltiger Werterhaltung eines Gebäudes kann ja nur durch ein ästhetisch anspruchsvolles Gebäude funktionieren, das auch nach 30, 40, 50 Jahren noch in der Substanz akzeptabel erscheint und nicht mit hohen Kosten ,umdekoriert’ werden muss.

Das wird nicht von allen so gesehen. Dem Gestaltungsrat wird bisweilen vorgeworfen, seine Forderungen nach besserer Architektur mache das Wohnen teurer.

Sie können heute nicht mehr unter 2000 Euro pro Quadratmeter Baukosten bauen. Die meisten Menschen wissen gar nicht, dass bezahlbare Mieten mit finanzierbaren Neubauten korrespondieren. Bauen ist deshalb so teuer, weil technische Anforderungen einzuhalten sind, weil Baustoffe dem Markt unterliegen, denken Sie an die Preissteigerungen beim Stahl. Gestaltungsqualität aber ist kein Kostenthema. Gute Architektur wirkt nicht preistreibend.

Manchmal hat man schon den Eindruck, dass Investoren aus Preisgründen eine Fassadengestaltung weglassen.

Wenn es allein die Fassadengestaltung ist, dann ist es nicht die Qualität, die ich meine. Es geht nicht darum, das Geld in teure Materialien zu versenken, sondern es geht um eine strukturelle, substanzielle Qualität. Wenn wir sagen, wir bauen einen schlichten Rohbau und kleben da eine Goldfassade dran, würde ich Ihnen recht geben. Das wäre kostentreibend. Worum es aber geht, sind die Kategorien gut oder schlecht, nicht schön oder hässlich.

Welches Fazit möchten Sie am Ende Ihrer Amtszeit ziehen, was möchten Sie erreicht haben?

Wir wollen die Qualitätsfragen im Bauen, die Baukultur, in Politik und Gesellschaft voranbringen. Gesamtgesellschaftlich geht es ja darum, wie wir unsere Lebensqualität langfristig absichern, wie wir auch ohne quantitatives Wachstum in der Qualität wachsen. Wenn wir dazu einen Beitrag mit der Baukultur leisten können, wäre ich sehr zufrieden. Mein persönliches Fazit sollte auch sein: Es soll auch Spaß gemacht haben, denn damit kann man mehr Wirkung erzielen, andere mitreißen und vielleicht auch den einen oder anderen ansprechen, der sich vorher nicht um Baukultur gekümmert hat.

Wie gefällt es Ihnen hier an der Schiffbauergasse?

Wir finden es wunderbar, es ist ein kontemplativer, inspirierender Ort, man bündelt hier kulturelle Kompetenz. Es gibt aber auch ein Strukturdefizit: Der Ort ist zu wenig frequentiert – vor allem tagsüber. So machen wir hier mit viel Mühe eine Ausstellung, doch die hat kaum Besucher, weil sich kaum jemand hierher verirrt. Ich denke, der Kulturstandort muss noch einmal in die Werkstatt. Die Gleichwertigkeit der öffentlichen Räume, die hier durch das Quartier mäandern, die geringe Wegehierarchie, die vielleicht noch zu geringe Attraktionsdichte oder auch die schlechte Erreichbarkeit vom Zentrum führen dazu, dass zu wenige Besucher vorbei kommen um die Qualitäten dieses wirklich schönen Quartiers am Wasser zu nutzen. Wir denken auch deshalb darüber nach, an frequentierten Orten der Bundeshauptstadt und in anderen Städten Schaufenster der Baukultur einzurichten. Daraus soll sich ein Netzwerk bilden, das nach Potsdam zurückführt.

Auch ein Schaufenster in der Potsdamer Mitte?

Ja, das wäre auch richtig. Man könnte es föderal sehen und sagen, wir machen das in den Landeshauptstädten. Wenn sich dazu in Potsdam eine gute Lösung anbietet, gerne! Nachdem sich Potsdam sehr dafür eingesetzt hat, dass die Bundesstiftung Baukultur hierher kommt, fragen wir uns, was können wir für Potsdam tun? Wir denken, die Debatten über das Bauen in dieser Stadt könnten hier geführt werden als neutralem Ort. Erste Veranstaltungen etwa mit der Brandenburgischen Architektenkammer, sind in Planung. Aber darüber hinaus gilt mein Angebot an die Bürger und die Stadt: In unseren Räumen könnte in regelmäßigen Abständen ein Stadtsalon stattfinden, der aktuelle Fragen zur Zukunft Potsdams diskutiert.

Das Interview führte Guido Berg

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