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Dr. Fritz Reusswig

© promo

Interview: „Da müssen bald Entscheidungen fallen“

Experte Dr. Fritz Reusswig über Potsdams Klimaschutzkonzept – und dessen schleppende Umsetzung

Herr Dr. Reusswig, schon vor Jahresfrist hat Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) das Potsdamer Klimaschutzkonzept, das Sie maßgeblich entworfen haben, schon als Erfolg gewertet. Ist es für solchen Jubel nicht verfrüht?

So gut es ist, ein Konzept zu haben: Man muss es eben auch umsetzen. Die Stadtverordneten haben es 2011 als „Orientierungsrahmen“ beschlossen, von rund 50 vorgeschlagenen Maßnahmen sind aber erst ganz wenige umgesetzt. Einmal ist die Fachstelle Klimaschutz nun dem Oberbürgermeister unterstellt, und es gibt einen Klimaschutzpreis, an dem sich auch Schulen beteiligen können. Das ist alles schön – um den Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid substanziell zu senken, braucht es aber größere Investitionen. Da müssen bald Entscheidungen fallen.

Bis 2020 sollen die Kohlendioxidemissionen in Potsdam gegenüber denen des Jahres 2005 um 20 Prozent gesenkt werden, es geht da um 173 334 Tonnen CO2. Welche drei wichtigsten Maßnahmen müssen dafür umgesetzt werden?

Leider gibt es nicht die eine Lösung – man muss die zu senkenden Tonnen CO2 zusammenkratzen. Selbst symbolische Maßnahmen haben dabei eine Bedeutung, weil sie Bürger für das Thema gewinnen können. Aber natürlich gibt es Maßnahmen, die stärker wirken: Der Ausbau der Fernwärme, eine stärkere Nutzung Erneuerbarer Energien und die Förderung energetischer Gebäudesanierung.

Der Reihe nach. Die Stadtwerke-Tochter Energie und Wasser Potsdam (EWP) arbeitet gerade an ihrem Energiekonzept: Was empfehlen Sie?

Nehmen wir die Fernwärme. Das Netz dafür ist in Potsdams sehr gut – und die Zahl der Anschlüsse kann durch Verdichtung und Ausweitung wachsen. Die Schlüsselfrage dabei ist die Preisgestaltung, weil Fernwärme teurer ist als Gas. Aber muss das so sein? Oder könnte die EWP die Preise senken? Dazu brauchen wir eine politische Debatte – etwa ob die EWP eher den öffentlichen Nahverkehr oder die Fernwärme subventionieren soll. Und dafür muss die Tarifgestaltung bei der EWP transparenter werden.

Sie fordern in ihrem Konzept auch, dass sich die EWP unabhängiger von fossilen Brennstoffen machen soll ...

Zunächst einmal ist diese Frage im Interesse der EWP. Nutzt sie mehr Erneuerbare Energien als die Versorger im Bundesschnitt, erhält sie wie zur Zeit eine Gutschrift. Doch der Anteil der Erneuerbaren Energie in Deutschland steigt – da muss die EWP mitziehen.

Wie kann die EWP das tun?

Sie kann sich an Offshore-Windkraftanlagen in der Nordsee oder an Solaranlagen in Spanien beteiligen – die Stadt München macht es vor. Oder sie kann vor Ort in solche Projekte investieren. Zudem hat Potsdam große Parks und landwirtschaftliche Flächen, also genug Potenzial, um ein kleineres Biomassekraftwerk zu betreiben – da wäre dann kein dritter Block im Heizkraftwerk Süd nötig. Zudem muss die EWP ihren Ökostrom besser vermarkten, sich als grünes Unternehmen platzieren. Das käme in Potsdam auch gut an.

In Potsdam wird über fehlenden preisgünstigen Wohnraum debattiert. Klimaschutz bei der Sanierung, so heißt es, würde auch die Mietpreise treiben. Richtig?

Klimaschutz ist nur ein Aspekt, der die Nebenkosten steigen lässt. Und es gibt Basismaßnahmen, die den Heizverbrauch schon sehr kostengünstig senken. Am Beispiel des Projekts Gartenstadt Drewitz lässt sich sehen, wie eine Sanierung sozialverträglich und energetisch gut funktionieren kann. Die Genossenschaften und auch die Pro Potsdam haben in den vergangenen Jahren schon viel in Sachen Klimaschutz getan – jetzt rücken die Privateigentümer stärker in den Blickpunkt. Das ist ein Punkt, den wir in der neuen Kommission diskutieren, die sich mit der Frage erschwinglicherer Mieten in Potsdam befasst.

Beim Thema Gebäude fällt auf, dass viele öffentliche Bauten in Potsdam noch nicht energetisch saniert sind. Muss hier schneller gehandelt werden?

Auf jeden Fall. Öffentliche Gebäude haben eine hohe symbolische Bedeutung. Ein Beispiel ist das Stadthaus. Wenn dort ein privater Bauherr sieht, dass beim Energiepass alles im roten Bereich liegt, fehlt die Vorbildwirkung. Hier muss die Stadt ein paar wichtige Gebäude auswählen und das ihrem Gebäudemanager, dem Kommunalen Immobilien Service (KIS), ins Pflichtenheft schreiben. Sonst sitzt die Potsdamer Klimapolitik in einer Glaubwürdigkeitsklemme.

Für Bürger haben Sie ganz praktisch ein Energieberatungszentrum vorgeschlagen. Was kann das bringen?

Zum Beispiel könnten sich Hauseigentümer über Fördermöglichkeiten beraten lassen. Ebenso könnte mobile Beratung vor Ort für Mieter stattfinden, wie sich Energiekosten sparen lassen. In Einzelfällen habe ich gehört, dass Vermieter bei zweifelhaften Energieberatern Gutachten zur Energiesituation ihrer Häuser in Auftrag gegeben haben, um dann die Mieten zu erhöhen – das geht ja seit dem Mietspiegel von 2010. Das dient nicht dem Klimaschutz. Hier könnte ein Energiebüro Mieter vor ungerechtfertigten Forderungen schützen – auch damit die gerechtfertigten besser akzeptiert werden.

Es gibt also viele Baustellen. Eine etwas ketzerische Frage drängt sich auf: Warum muss denn Potsdam überhaupt Vorreiter in Sachen Klimaschutz sein?

Die Emissionen von Potsdam sind im Weltmaßstab natürlich sehr klein. Aber das gilt letztlich für jede einzelne Stadt – und doch sind Städte weltweit beim Klimaschutz aktiv, auch in den USA übrigens. Potsdam als Landeshauptstadt hat eine gewisse Vorbildfunktion für Brandenburg. Und als wachsende Stadt mit einigen gut betuchten Steuerzahlern sogar ohne die Sorgen anderer Städte im Land. Gut umgesetzt kann mehr Klimaschutz außerdem die lokale Wirtschaft und die Lebensqualität stärken.

Das Interview führte Henri Kramer

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