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Die Freundschaftsinsel um 1890.

© Selle & Kuntze/Stadtarchiv Potsdam

Historischer Kalender für Potsdam 2017: Baustelle vor Königs Schlafzimmer

Im historischen Potsdam-Kalender geht es um mehr als plakative Schönheit: 2017 werden Brücken gebaut, Gleise verlegt und die Wiesen der Nuthe sind überflutet.

Potsdam - Mutig legte man den ersten Spatenstich für den Bau des Teltowkanals auf den 22. Dezember 1900. Aber dann wurde es doch ein relativ strenger Winter. Die Arbeiten verzögerten sich. Und trotzdem wurde schon Anfang September 1901 die Schlossbrücke über den neuen Kanal zwischen Babelsberg und Klein Glienicke eröffnet. Peter Rogge hat dazu ein Foto im Stadtarchiv gefunden. In seinem Kalender historischer Stadtansichten für 2017 ist es die Juli-Aufnahme. Das passt. „Das Bild könnte im Sommer gemacht worden sein. Die Bäume sind belaubt. Und die Gleise der Transportloren sind von einem Erdrutsch total überspült. Vielleicht hatte es ein Sommergewitter gegeben.“ Auf Klein Glienicker Seite stehen ein paar Anwohner oder Sommerfrischler auf der Böschung, ein paar Mutige sogar hinter der Absperrung, und schauen hinunter ins künftige Flussbett. Auf die Baustelle.

Der mittlerweile sechste historische Kalender des Potsdamer Grafikers Peter Rogge ist etwas baustellenlastig. Gebaut wird auch an der neuen Langen Brücke und an den Tramgleisen auf dem Wilhelmplatz, wie der Platz der Einheit damals hieß. „Ich bin immer am Suchen nach neuen Bildern. Um auch mal was Anderes ans Licht zu fördern.“ Das lässt sich ganz wörtlich verstehen. Rogge findet seine Bilder hauptsächlich im Archiv der Stadt Potsdam. Eine Schatzkiste für alle, die gern in Potsdams Vergangenheit wühlen. Etwa 10 000 Fotos liegen hier. Jeder kann sie sich anschauen. Kostenlos. „ Man muss sich nur in ein Benutzerbuch eintragen.“ Am Rechner gibt man Schlagworte für die Suche ein. Oder macht es so wie Rogge, der sich zuletzt einmal durch alle 10 000 Bilder durchklickte – in drei Tagen.

Blick auf die Stadtgeschichte und das Jetzt schärfen

Mit seiner Auswahl will er nicht nur plakativ Schönes zeigen. Sondern Ansichten, die den Blick auf die Stadtgeschichte und das Jetzt schärfen. Wie das Bild der Gleisarbeiter vor der Hauptpost. Kenn ich schon, sagt das Hirn. Dann sieht man die Synagoge, die 1928, als das Bild entstand, noch steht; sich perfekt in die Lücke zwischen Post und Wohnhäuser schmiegt. Man sieht die Türme auf dem Postgebäude. In denen sich eine Sendeanlage der Telegrafenstation befand. Die Türme wurden 1936 abgerissen, die Synagoge 1938 nur leicht zerstört. Bis 1945 nutzte man sie als „Posthörsaal für den Rundfunk- und Fernsehgemeinschaftsempfang“ – eine Art Public Listening-Salon. Das ist zur Entstehungszeit des Fotos noch weit weg. 1928 werden die Tramgleise gebaut, die Straße gepflastert, das kleine hübsche Holzwartehäuschen mit zwei Türmchen steht bereits. Die Arbeiter in ihren Wattejacken schauen zum heute unbekannten Fotografen, Achtung, Aufnahme.

Auf den Blättern Mai und September wird an der Langen Brücke gebaut. 1887 muss sich der König mit einer ziemlich großen Baustelle vor dem Schlafzimmerfenster abfinden. Überall stehen Gerüste, lagert Material, und schon damals trennt ein blickdichter Bauzaun die Fußgänger vom Baufeld. Auffällig: Die Arbeiter stehen tatenlos herum, als sollen sie für den Fotografen am anderen Ufer innehalten und posieren. Aktion war weniger gefragt. Beide Baustellenbilder von Selle & Kuntze zeigen die alte und neue Brücke, dazu das alte Steuerhaus, das später abgerissen wurde. Hier wurde noch bis 1909 jedes Schnitzel versteuert. Die Schlachtsteuer wurde für Schlachtvieh erhoben, das man nach Potsdam einführte. Wer sich einen Jagdschein leisten konnte, hatte Glück: Wildbret wurde nicht besteuert.

1890 mutete Potsdam noch fast ländlich an

Potsdam veränderte sich auch damals schnell. Die historische Mitte, die heute nachgebaut wird, ist Abbild eines kleinen Zeitfensters, sagt Rogge. Noch 1890, als das Titelbild entstand, mutete Potsdam fast ländlich an. Vermutlich von einem Boot aus schaut der Fotograf auf die Nordspitze der Freundschaftsinsel, parkähnliches Gartenland. Dampfer liegen am Ufer. Die Uferbebauung an der Alten Fahrt ist kleinstädtisch und spitzgiebelig, dazwischen fette Schornsteine kleiner Industriebauten. Wenige Jahre später steht das wuchtige Palasthotel. Das Dezemberblatt zeigt einen traulich-winterlichen Blick vom Lustgarten zur Langen Brücke. Potsdam 1920 ist zart verschneit und schon ganz vornehm.

Ganz anders die Peripherie. 1940 fotografierte Richard Kruschwitz die Nuthewiesen. Den Blick von der Brücke über die Nuthe am Horstweg Richtung Industriegebiet gibt es so schon lange nicht mehr. Hier liegen längst die Schnellstraße und das Knäuel der Auffahrten, dahinter ist alles zugebaut. Nur ein paar Gärten sind Natur geblieben. Das März-Kalenderblatt zeigt überflutete Wiesen vom letzten Winterhochwasser. „Hier lernten alle Potsdamer Schlittschuhlaufen“, sagt Rogge. Ein Fischerboot liegt still im Fluss. Ganz hinten rauchen Schornsteine, die markante Lokomotivfabrik von Orenstein & Koppel ist klar zu erkennen. Der Blick über Babelsberg ist das jüngste Foto. Hier hätte Rogge die Fotorechte einholen müssen. Doch die Nachfahren des Fotografen, der Anfang der 1960er nach Westdeutschland ging, vermutlich weil sein Fotostudio verstaatlicht werden sollte, sind nicht aufzufinden. „Ich würde mich über Hinweise dazu, was aus Richard Kruschwitz wurde, sehr freuen“, sagt Rogge.

Fotografische Kostbarkeiten aus Potsdams Stadtarchiv. Der Kalender für das Jahr 2017 kostet 18,90 Euro und ist erhältlich im PNN-Shop in der Wilhelmgalerie, im Internationalen Buch, Ecke Brandeburger-Straße/ Friedrich-Ebert-Straße, und im Shop im Potsdam Museum Am Alten Markt 9.

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