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Sieht einfach aus, ist aber schwer. Matteo bei der Adelitherapie.

© privat

Hilfe für Matteo: Potsdamer unterstützen Jungen mit schwerer Behinderung

Matteo ist schwerstbehindert. Dass er jetzt sprechen und spielen kann, liegt auch an der Hilfe vieler Potsdamer.

Potsdam - Würstchen und Nudeln liegen im Korb. Matteo nimmt die Spaghettipackung in die linke Hand, die rechte hält den Scanner. „Piep“, sagt er und legt die Nudeln auf den Tisch. „Noch einen Wunsch?“ Die Kundin reicht ihm einen Apfel, aber Matteo schüttelt den Kopf. „Was ist denn los, willst du den nicht verkaufen?“ fragt Kerstin Joedecke. Matteo bleibt hart. „Nein, heute ist apfelfreier Tag.“

Dass es einst so eine Spielszene im Kaufmannsladen geben würde, dass Matteo sprechen und greifen kann und sogar eine gute Portion Humor entwickelt hat, hätte sich seine Mutter vor wenigen Jahren nicht vorstellen können. 2011 wurde Matteo als winziges Frühchen geboren. Durch Sauerstoffmangel wurden sein Gehirn und das Nervensystem stark geschädigt. Die Diagnose des Kinderarztes lautete damals: Das schwerst mehrfachbehinderte Kind werde weder sprechen lernen noch sich selbst fortbewegen können.

Spielend lernen. Matteo Joedecke, acht Jahre alt, spielt mit seiner Mutter Kerstin im Kaufmannsladen. Dabei lernt er greifen, loslassen und sprechen. Sein Wunschberuf ist Busfahrer. Dann will er beim Behindertenfahrdienst arbeiten, sagt Matteo.
Spielend lernen. Matteo Joedecke, acht Jahre alt, spielt mit seiner Mutter Kerstin im Kaufmannsladen. Dabei lernt er greifen, loslassen und sprechen. Sein Wunschberuf ist Busfahrer. Dann will er beim Behindertenfahrdienst arbeiten, sagt Matteo.

© Andreas Klaer

Für seine Eltern begann eine schwere Zeit. Sie wollten trotz dieser Prognose alles versuchen, um ihren Sohn bestmöglich zu fördern. 2013 wandten sie sich erstmals an die Öffentlichkeit, um Spenden für eine Delfintherapie zu sammeln. Viele Potsdamer, auch PNN-Leser, halfen, sodass Matteo insgesamt drei Mal an einer solchen Therapie auf der Karibikinsel Curaçao teilnehmen konnte. Mit großem Erfolg, sagt Kerstin Joedecke, und das sollten auch die vielen Helfer wissen.

"Dann muss er laufen"

Noch sitzt Matteo im Rollstuhl und kann nicht alleine stehen. Aber er geht zur Schule, kann, zwar undeutlich, sprechen und mit Hilfe auch schon kurz stehen. 20 Kilogramm wiegt er, die Stufen zur Hochparterrewohnung muss seine Mutter ihn tragen. Was wird sie tun, wenn er schwerer wird? Sie lacht. „Dann muss er laufen.“ Mit diesem Denken, dieser Zuversicht hat sie es bis hierher geschafft. „Ich gucke nicht weit in die Zukunft, ich plane Tag für Tag. Ob er dann laufen können wird oder wir eine Rampe brauchen, das werden wir sehen, wenn es soweit ist.“

Seit der Trennung von Matteos Vater ist Kerstin Joedecke alleinerziehend, alles lastet auf ihr. Die Sorge für das behinderte Kind, die Sorge, dass sie für Matteos große Schwester zu wenig Zeit hat. Die Sorge für sich selbst. „Krank werden darf ich nicht“, sagt sie. Sie arbeitet Teilzeit in einer Bank. Wenn der Fahrdienst Matteo aus der Oberlinschule bringt oder er vom Hort abgeholt wird, fährt sie mit ihm zur Therapie. Oder arbeitet mit ihm zuhause. Dafür gibt es ein Gerät, das wie ein Mini-Ergometer aussieht, und eins, das vibriert und den kleinen Körper rüttelt, zur Muskelbildung. Sie machen Spiele mit Karten und Bildern, bei denen die Verknüpfungen im Gehirn gestärkt oder neu aufgebaut werden. Beim Kochen darf er helfen und im Topf rühren, um die Motorik zu stärken. Sie spielen Kaufladen, weil er Spaß am Rollenspiel und Sprechen hat und beim Greifen die Hände lockert, die früher immer verkrampft waren.

Kommunikation gelernt

Die Delfintherapie tat ihm jedes Mal sehr gut. Warum das so ist, kann Joedecke sich auch nicht erklären. War es die Wärme? Die Begegnung mit diesem besonderen Tier, das die Bedürfnisse des Kindes genau zu spüren schien? Die Wirkung der Schallwellen, die Delphine senden? Egal, es half – das war entscheidend. Matteo lernte in diesen intensiven Therapiezeiten zu entspannen und zu kommunizieren. Der Erfolg ist anhaltend. „Er holt immer mehr auf und ich glaube, da ist noch sehr viel Potenzial“, sagt Joedecke. Sie ist froh, dass es trotz des Inklusionsansatzes weiterhin Förderschulen gibt, wo Unterricht, individuelle Förderung und medizinische Betreuung aus einer Hand kommen. Der Regelhort wiederum sei eine gute Ergänzung. Dort wird Matteo von einem Einzelfallhelfer betreut.

Besondere Begegnung. Matteo bei seiner ersten Delfintherapie 2014.
Besondere Begegnung. Matteo bei seiner ersten Delfintherapie 2014.

© privat

Spenden für Therapie nötig

Im vergangenen Jahr konnte Matteo überraschend an einer besonderen Therapie in der Slowakei teilnehmen – finanziert vom Hilfsfonds Rest Cent des E.on-Konzerns in Deutschland. Bei der Adelitherapie steckt der Körper in einem Anzug mit ausgetüftelten Stütz- und Belastungselementen. Mehrere Therapeuten gleichzeitig arbeiten dann mit Matteo, damit Muskeln, Nerven und Gehirn lernen, miteinander zu kommunizieren. Schwere Arbeit, die Matteo aber Spaß machte und viel bewirkte. Er kann sich sicherer bewegen und vielleicht schon bald alleine stehen. Gerne würde Joedecke die Therapie, die von der Krankenkasse leider nicht bezahlt wird, wiederholen und freut sich über Spenden. Es sei ihr anfangs sehr schwer gefallen, um Geld zu bitten, sagt sie. Aber die Resonanz sei jedes Mal sehr positiv gewesen. „Die Menschen freuen sich, wenn sie helfen können.“ Für die Stadt Potsdam wünscht sie sich mehr abgesenkte Bürgersteige und inklusive Spielplätze mit Schaukeln, Wippen und Karussells, die man mit Rollstuhl benutzen kann. „Das gibt es ja alles – nur nicht hier.“

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