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Gesellenprüfung: Nach der Flucht: Ausbildung in Potsdam erfolgreich absolviert

Ehsan Heshemi ist einer der ersten, die seit dem Flüchtlingszuzug 2015 und 2016 erfolgreich eine Ausbildung in Potsdam abgeschlossen hat.

Von Katharina Wiechers

Potsdam - Dreimal schon hatte Ehsan Hashemi seine Sachen gepackt und war drauf und dran, in seine iranische Heimat zurückzukehren. Er vermisste die Familie, die Freunde, fühlte sich in Deutschland oft nicht willkommen. Dazu noch die fremde Sprache, die bürokratischen Hindernisse, der komplizierte Schulstoff. Doch jedes Mal entschied er sich doch dafür, zu bleiben. Am Ende hat sich sein Durchhaltevermögen gelohnt: Vor wenigen Wochen hat er seine Gesellenprüfung abgelegt und nun einen unbefristeten Arbeitsvertrag als Groß- und Außenhandelskaufmann bei einer Potsdamer Firma in der Tasche. Der 30-Jährige gehört zu den ersten, die seit dem großen Flüchtlingszuzug 2015 und 2016 erfolgreich eine Ausbildung abgeschlossen haben – trotz vieler Hürden. In den kommenden Jahren werden dies Experten zufolge aber deutlich mehr. 

Von Iran über Istanbul nach Deutschland

Es war der 11. November 2015, als Ehsan Hashemi zum ersten Mal deutschen Boden betrat. Mit einem Freund war er vom Iran nach Istanbul geflogen und von dort wie so viele in jenen Monaten zu Fuß, mit dem Zug oder mit dem Bus Richtung Nordeuropa getourt. Das Ziel der beiden war eigentlich Schweden, doch als sie gerade in München waren, bekam Hashemi eine so starke Grippe, dass sie sich kurzerhand zum Bleiben entschieden. Von den deutschen Behörden wurden sie in die Erstaufnahmestelle nach Eisenhüttenstadt und dann nach Potsdam geschickt, Ehsan Hashemi landete in der Babelsberger Flüchtlingsunterkunft Sandscholle.

Potsdam ist etwa so groß wie Ehsan Hashemis Heimatstadt Buschehr, ansonsten haben die Orte kaum Gemeinsamkeiten: Buschehr, das manchen wegen des gleichnamigen Atomkraftwerkes bekannt ist, ist eine Wüstenstadt am Persischen Golf. „Dort sind es fast immer 40 Grad bei einer Luftfeuchtigkeit von 70 Prozent“, sagt Hashemi. Auch die Kultur sei ganz anders als hier. Als Beispiel nennt Ehsan Hashemi den chaotischen Verkehr oder das Essen: „Wir essen dort traditionell mit den Händen.“ Und: „Die Leute sind dort sehr, sehr gastfreundlich.“ 

Deutsch im Selbststudium gelernt

Und doch wollte der ehrgeizige junge Mann weg aus seiner Heimat. Er hatte Jura studiert, aus Ermangelung an Jobs aber als Rettungssanitäter und Feuerwehrmann in einer Ölraffinerie gearbeitet. „Ich habe mich wie ein Fisch in einem Teich gefühlt. Aber ich wollte ein Fisch im Ozean sein.“ 

In Deutschland machte er sich sofort daran, die Sprache zu lernen – größtenteils im Selbststudium. Am Anfang hatte er sich mit Englisch durchgeschlagen, aber es frustriere Ehsan Hashemi, dass er sich so nicht mit allen Deutschen verständigen konnte. Irgendwann entschied er, ganz auf das Englische zu verzichten, um sich voll auf die neue Sprache zu konzentrieren. Mit Erfolg: Schon ein dreiviertel Jahr nach seiner Ankunft konnte er Sprachniveau B1 vorweisen – also „Fortgeschrittene Sprachverwendung“. 

Zur Ausbildung entschieden

Das ist gut so, denn Ehsan Hashemi wollte auf das Asylverfahren verzichten und ohne offiziellen Flüchtlingsstatus versuchen, in Potsdam zu leben. Denn nur dann könnte er eines Tages seine Familie im Iran zu besuchen. Er fand heraus, dass es noch einen anderen Weg gibt, bleiben zu können: eine Ausbildung. Denn bei Erfolg greift die „3+2-Regelung“ oder auch Ausbildungsduldung. Diese besagt, dass Menschen trotz Ausreisepflicht während der dreijährigen Ausbildung bleiben und danach zwei Jahre lang arbeiten dürfen. Und wenn all das eintritt, sind die dauerhaften Bleibechancen gut. 

Im August 2016 fing er ein Praktikum bei der Babelsberger Firma Vemm Tec an, die vor allem Zähler für die Gasindustrie herstellt. Während des einmonatigen Praktikums baute er in der Werkshalle in der Gartenstraße Platinen zusammen, dann wechselte er als Azubi für Groß- und Außenhandelskaufmann hinüber ins Bürogebäude. Dort arbeitete er drei Jahre lang immer dienstags, donnerstags und freitags, am Montag und Mittwoch besuchte er die Berufsschule in Berlin-Kreuzberg. „Anfangs war es sehr schwer“, erinnert sich Hashemi. Die Lehrer sprachen schnell, die Fachwörter machten ihm zu schaffen. Doch er nahm einen Nachhilfekurs, den der Internationale Bund für Auszubildende anbietet. Und er lernte „Tag und Nacht“. 

Viele Freunde haben die Ausbildung abgebrochen

Geholfen hat ihm dabei auch Claus Goldenstein, Potsdamer Rechtsanwalt und Geschäftsführer bei Vemm Tec. Er setzte sich oft nach Feierabend mit Ehsan Hashemi zusammen und ging mit ihm den Stoff durch. „Am schlimmsten war Zollrecht“, sagt Goldenstein. „Er musste Worte wie Equivalenzgewährleistung lernen – und die Bedeutung verstehen.“ Equivalenzgewährleistung bedeutet, so erklärt es Goldenstein, dass ein Produkt, das etwa wegen Mängeln ersetzt werden muss, bei der Einfuhr nicht erneut versteuert wird. Ehsan Hashemis Chef erinnert sich auch noch an einen Satz aus dem Lehrbuch, der für ihn die ganze Komplexität der deutschen Sprache widerspiegelt: „Der Sohn trat in die Firma des Vaters ein und eröffnete mehrere Filialen.“ Für Ehsan Hashemi habe der Satz gleich mehrere Fragen aufgeworfen. „Warum tritt der Sohn? Und was hat er aufgemacht?“ Heute lachen beide über diese Anekdote. Doch der Weg war lang und beschwerlich. In der Schule sei er genauso behandelt worden wie seine deutschen Mitschüler, weder hätten die Lehrer extra langsam gesprochen, noch hatte er mehr Zeit in den Prüfungen. „Viele meiner Freunde haben die Ausbildung abgebrochen“, sagt Ehsan Hashemi. Er habe es nur dank der Unterstützung geschafft, die er von seinen Mitschülern, von Goldenstein und anderen Potsdamer Freunden bekommen hat. 

Kein Auge zudrücken

Dass die Sprache im Fachunterricht oft ein Problem ist, weiß auch Yvonne Meyer von der Industrie- und Handelskammer Potsdam, die drei Jahre lang im dort angesiedelten Welcome Integration Network (WIN) Service-Center gearbeitet hat. Dennoch sei es nicht sinnvoll, dass die Lehrer bei Flüchtlingen ein Auge zudrücken: „Schließlich müssen sie am Ende die gleichen Prüfungen wie die anderen schreiben.“ Trotz aller Schwierigkeiten entscheiden sich laut Meyer immer mehr Flüchtlinge in der Region für eine Ausbildung. 2018 befanden sich 363 Menschen nicht-deutscher Herkunft im Kammerbezirk in Ausbildung, deutlich mehr als im Jahr davor (292)

„Ein großer Anteil davon sind Flüchtlinge. Und es werden immer mehr“, sagt sie. Konkretere Zahlen hat die Handwerkskammer Potsdam: Derzeit befinden sich laut Sprecherin Ines Weitermann 140 Menschen aus Flüchtlingsländern wie Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien im Bezirk Potsdam in Ausbildung, elf haben im ersten Halbjahr 2019 ihre Gesellen- und Abschlussprüfungen abgelegt – unter anderem in den Gewerken Ausbaufacharbeiter, Kraftfahrzeuglackierer und Kraftfahrzeugmechaniker. Dass erst jetzt verstärkt Ausbildungen begonnen werden, hat aus Sicht von Yvonne Meyer zwei Gründe: Zum einen dauerte der Spracherwerb länger, als man angenommen hatte. Außerdem mussten die Ankommenden erstmal Zeugnisse besorgen. „Gerade viele Syrer haben ja eine hohe Bildung. Doch manchmal gibt es Probleme mit den Dokumenten.“

Übernahme bei der Vemm Tec

Ehsan Hashemi hat den Papierkram hinter sich. Die Gesellenprüfung hat er im Sommer bestanden – mit Werten zwischen 70 und 90 Prozent. Mittlerweile sieht er die Dinge so: „In Deutschland wirst du umso mehr gefördert, je fleißiger du bist. Im Iran werden ehrgeizige Menschen dagegen eher unterdrückt.“ Schon vor seinem Abschluss war klar, dass er bei Vemm Tec übernommen werden soll. Dort ist er für den Persischen Raum zuständig und wegen seiner Farsi-Kenntnisse begehrt. Er will in Potsdam bleiben, hat hier eine Wohnung und eine Freundin. Er will auch nochmal studieren, einen Master of Law machen, vielleicht nächstes Jahr, berufsbegleitend.

Doch bevor Ehsan Hashemi nun zum 1. September seine Arbeitsstelle antrat, reiste er für vier Wochen in seine Heimat. Bei seiner Ankunft wurde ein Fest organisiert, 185 Familienmitglieder empfingen den erfolgreichen Heimkehrer. „Und das war nur die Familie mütterlicherseits“, sagt er grinsend. Es sei schön gewesen, so empfangen zu werden. Doch nach zehn Tagen rief er seinen Chef an und sagte: „Ehrlich gesagt vermisse ich Deutschland.“ 

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