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Familie in Potsdam drangsaliert: Ein "auffällig brutaler" Überfall aus "reiner Geldgier"

Der Prozess um den Überfall auf eine Familie in Potsdam endete mit hohen Haftstrafen und einem Freispruch. In der Urteilsbegründung des Richters wird das "Martyrium" der Familie deutlich.

Potsdam - Drei lange Haftstrafen und ein Freispruch: Am Freitag ist der Prozess um den Überfall auf eine Villa am Jungfernsee am Landgericht Potsdam zu Ende gegangen. Die beiden Haupttäter Jorge H. und John R. müssen für neun Jahre und sechs Monate beziehungsweise acht Jahre und sechs Monate in Haft. Beide haben sich nach Ansicht des Gerichts der schweren räuberischen Erpressung, des erpresserischen Menschenraubs und der schweren Körperverletzung schuldig gemacht.

Sie sitzen seit Sommer 2017 in Untersuchungshaft und müssen im Gefängnis bleiben, weil wegen der langen Haftstrafen „erheblicher Fluchtanreiz“ bestehe, wie der vorsitzende Richter Tiemann erklärte. Der Mitangeklagte Florian G. soll als Ideengeber und Planer der Tat fünf Jahre in Haft, ihn sah das Gericht der räuberischen Erpressung für schuldig. Beim Strafmaß für G. gingen die Richter über die vom Staatsanwalt geforderten drei Jahre hinaus. Für den vierten Angeklagten Nico N. endete das Verfahren erwartungsgemäß mit Freispruch.

Detaillierte Urteilsbegründung

Fast zwei Stunden Zeit nahm sich der vorsitzende Richter für die Erläuterung der Urteilsfindung. Noch einmal wurden dabei allen Zuhörern die entsetzlichen Ereignisse der Tatnacht vor Augen geführt, Richter Tiemann sprach von einem „Martyrium“ der Familie T.*. Er bezeichnete die Tat – einen nächtlichen Überfall in eine private Wohnung im Schlafzimmer und die rücksichtslosen Angriffe sowohl gegen die Eltern als auch gegen ein minderjähriges Kind – als „insgesamt auffällig brutal“. Jorge H. zeigte sich angesichts der Ausführungen des Richters unberührt, R. hörte mit versteinerter Miene und gesenktem Blick zu. Florian G. schüttelte mehrfach den Kopf im Unverständnis.

"Die reine Geldgier"

G. war nach Ansicht des Gerichts der Ideengeber für den Überfall. Der heute 33 Jahre alte Berliner hatte bei einem Familientreffen von der Haushälterin der späteren Opfer von einer angeblich im Haus in der Bertinistraße befindlichen hohen Bargeldsumme erfahren – die Rede war von 140 000 Euro. Die von den Angeklagten vertretene Annahme, es sei um Schwarzgeld gegangen, erklärte der Richter als haltlos. Das Motiv für die zunächst von G. allein verfolgte Planung war nach Ansicht der Richter „die reine Geldgier“. G. habe das Haus der Familie ausgespäht und eine Kamera installiert.

Erst unmittelbar vor der Tat am 24. Juli 2017 weihte er Jorge H. ein. Mit dem heute 24 Jahre alten gebürtigen Kubaner arbeitete G. in einem Burrito-Restaurant in Berlin. H. sprach am selben Abend John R., wie er Exilkubaner, an und überredete ihn zum Mitmachen – ihm wurde ein Anteil von 50 000 Euro versprochen. Bei einer ersten Fahrt zum Haus in Potsdam stellte sich heraus, dass dort Licht brennt. In dem Moment habe den Männern klar gewesen sein müssen, dass es nicht beim Wohnungseinbruch bleiben würde, sondern eine räuberische Erpressung nötig werden würde, so die Richter. Zum eigentlichen Überfall kam es dann erst gegen 4 Uhr, nachdem das Trio zurück nach Berlin gefahren und von dort Nico N. als möglichen vierten Mann geholt hatte. N. entschied sich dann aber vor Ort gegen die Teilnahme. Dass es in der Nacht nur um die Kontrolle der Kamera gegangen, ein Einbruch nicht vorgesehen gewesen sei, wie G. erklärt hatte, hielt das Gericht für unglaubwürdig.

Minderjährige Tochter im Würgegriff

Die beiden Haupttäter seien kalt berechnend, brutal und mit großer Selbstverständlichkeit vorgegangen, so Richter Tiemann. Mit einem Pizzamesser bewaffnet haben H. und R. direkt das Schlafzimmer im ersten Stock angesteuert, um Geld von der Familie zu erpressen. Während Frank T. zu Boden gestoßen und von H. mit dem Messer in Schach gehalten wurde, ging R. „mit ungehemmter Brutalität“ auf Ina T. los. Später nahm R. die im Schlafzimmer befindliche minderjährige Tochter in den Würgegriff, drohte den Eltern mit ihrem Tod und verschwand mit ihr ins Badezimmer. Das Gericht geht von einer vorher abgesprochenen Rollenverteilung zwischen R. und H. aus. Selbst angesichts der blutig geschlagenen Frau seien sie unbeeindruckt geblieben. Als weiteres Zeichen kalter Berechnung werteten die Richter die Tatsache, dass H. seinen Komplizen mit dem falschen Namen „Ahmed“ anredete und gegenüber Frank T. eine angebliche Lebensgeschichte als traumatisierter syrischer Flüchtling auftischte. Damit hätten Spuren gezielt verwischt und der Verdacht in eine falsche Richtung gelenkt werden sollen. Ina T. hatte schließlich aus dem Haus flüchten und beim Nachbarn Hilfe rufen können. H. und R. flüchteten, als sie Florian G. und Nico N. nicht mehr antrafen, über den Jungfernsee zur Tramhaltestelle Glienicker Brücke. In der Tram wurden sie um 5.55 Uhr am Morgen des 25. Juli festgenommen.

*Namen von der Redaktion geändert

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