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Bürgerrechtler Rudolf Tschäpe. Er starb am 14. April 2002.

© Simone Römhold

Fall Tschäpe: Mordtheorie nicht erhärtet - aber für den Sohn bleiben Zweifel

Die Staatsanwaltschaft Neuruppin hat keine Hinweise darauf, dass der Potsdamer Bürgerrechtler Rudolf Tschäpe durch die DDR-Staatssicherheit radioaktiv verstrahlt worden ist.

Potsdam - Ein zweijähriges Ermittlungsverfahren werde in etwa zwei Wochen beendet, erklärte der leitende Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Neuruppin, Gerd Schnittcher, auf PNN-Anfrage. Offen seien noch „Randermittlungen“, sagte Schnittcher, „diese werden jedoch nicht zur Erhärtung des Vorwurfes führen.“

Rudolf Tschäpe, eine der Leitfiguren des Wendeherbstes 1989 in Potsdam, war am 14. April 2002 an einer seltenen Blutkrebsart verstorben, einem Non-Hodgkin-Lymphom. Auch andere namhafte DDR-Bürgerrechtler starben an Krebs, so Jürgen Fuchs, Rudolf Bahro und Gerolf Pannach. Noch Jürgen Fuchs selbst habe die Vermutung geäußert, dass seine Erkrankung „nicht gottgewollt war, sondern menschengemacht“ ist, wie der Liedermacher Wolf Biermann in seinem Nachruf auf Fuchs erklärte.

Auch Freunde von Rudolf Tschäpe hegen die Vermutung, dass die Stasi die Krebserkrankung verursacht haben könnte. Im Mai 2010 stellte die Potsdamer Bürgerrechtlerin Carola Stabe Anzeige wegen des Verdachts des Mordes an Rudolf Tschäpe. Ansatzpunkt ist ein Röntgengerät im Potsdamer Stasi-Untersuchungsgefängnis Lindenstraße 54, mit dem Tschäpe verstrahlt worden sein könnte. Carola Stabe zufolge war Tschäpe einen Tag lang in die Lindenstraße 54 „zugeführt“, wie eine Verhaftung im Stasi-Jargon hieß.

Bürgerrechtler fanden im Herbst 1989 auch in anderen Stasi-Haftanstalten Röntgengeräte, in keiner sei der Verdacht so intensiv gewesen wie in der in Gera, erklärte der leitende Oberstaatsanwalt Schnittcher. Von dort seien Akten angefordert und eingesehen worden. Ergebnis: Auch in Gera habe sich der Verdacht nicht bestätigt. Ferner habe die Neuruppiner Staatsanwaltschaft, bis 2001 Schwerpunktstaatsanwaltschaft für DDR-Staats- und Justizunrecht, „zwei bis drei“ ehemalige Bedienstete der Lindenstraße 54 ausfindig gemacht und befragt. Deren Aussage: Das Röntgengerät in der Lindenstraße habe der Durchleuchtung von Paketsendungen an die Häftlinge gedient. Niemals sei es bewusst oder unbewusst zur Bestrahlung von Gefangenen gekommen. Schnittcher sagte den PNN, er hege zwar Bedenken gegen die These der Paketdurchleuchtung, für einen hinreichenden Tatverdacht sei aber eine bestätigende Aussage eines Stasi-Bediensteten nötig. Schnittcher: „Es wird uns niemand mehr bestätigen.“ Den Verdacht anders zu erhärten sei allerdings „illusorisch“.

Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ zum Thema im Jahr 1999 – „In Kopfhöhe ausgerichtet“ – veröffentlichte der ehemalige Stasi-General Gerhard Niebling im Internet eine Reaktion. Niebling zufolge seien die Röntgengeräte angeschafft worden, um „inhaftierte Spione“ auf versteckte „nachrichtendienstliche Hilfsmittel“ zu untersuchten.

„Quatsch!“ – so die Reaktion von Carola Stabe auf die Pakete- und die SpioneDurchleuchtungs-Theorien. In Stasi-Untersuchungsgefängnissen „hat kein Mensch Pakete bekommen“; die Inhaftierten seien nur kurz dort gewesen, die Angehörigen hätten zumeist erst nach der Verurteilung vom Aufenthaltsort der Häftlinge erfahren. Zudem: In der Lindenstraße habe sich das Röntgengerät in der Krankenstation befunden – „dort werden wohl keine Pakete geröntgt worden sein“. Spione zu durchleuchten sei Carola Stabe zufolge auch Unsinn, da der Spionageverdacht oft nur angedichtet worden sei. Die meisten Bürger seien inhaftiert worden, weil sie sich kritisch gegenüber dem SED-Regime äußerten. Die Rechtfertigungsversuche ehemaliger Stasi-Verantwortlicher ist für die DDR-Bürgerrechtlerin indes sehr gut nachvollziehbar: „Die haben Angst, weil Mord nicht verjährt.“

Für Konrad Tschäpe, 37-jähriger Sohn von Rudolf Tschäpe, „bleibt das ungute Gefühl, wenn eine Situation nicht restlos geklärt ist“, wie er den PNN erklärte. So lange die Verstrahlungstheorie nicht restlos bewiesen ist, gehe er davon aus, dass sein Vater nicht ermordet worden ist. Tschäpe: „Aber die Fragezeichen sind noch da.“

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